Anforderungen an Laubengänge als Flucht- und Rettungswege: Brandschutz

Anforderungen an Laubengänge als Flucht- und Rettungswege: Brandschutz

Energie, Technik & Baustoffe

Anforderungen an Laubengänge als Flucht- und Rettungswege: Brandschutz

Text: Reinhard Eberl-Pacan | Foto (Header): Jan Bitter – Sauerbruch Hutton

Das Laubenganghaus findet sich häufig bei Gebäuden mit Wohnformen, die sich durch ein gemeinschaftliches Leben auszeichnen, z.B. bei experimentellen Wohnbauten. Doch was ist im Umgang mit den Anforderungen an den Brandschutz zu beachten und welche speziellen Regelungen gibt es in Hinblick auf Laubengänge in den verschiedenen Landesbauordnungen?

Auszug aus:

Laubengänge oder Galerien erfreuen sich als außen liegende horizontale Erschließungselemente z.B. für mehrgeschossige Wohngebäude bei Bauherren und Architekten durchaus wechselnder Beliebtheit. Einerseits minimieren sie die Erschließungsflächen für den Anschluss möglichst vieler, oft kleiner, Wohnungen an nur ein Treppenhaus und sparen Baukosten, da sie nicht mit Außenwänden umschlossen werden. Andererseits sind sie der Witterung ausgesetzt und sowohl die Bausubstanz als auch die Nutzung kann – z.B. in kalten Wintern durch Vereisung – leiden. Bei offenen Gängen fallen zusätzlich hohe Brandschutzauflagen an. In vielen Fällen kann das eine Nutzung – über die Erschließung sowie zur Flucht und Rettung der Bewohner hinaus – erschweren und damit im Ergebnis jeden Geranientopf verbieten.

Baurechtliche Definition

Baurechtlich stellen „offene Gänge, [die] vor den Außenwänden angeordnet sind“ nach § 36 Abs. 5 MBO [1] Sonderformen „notwendiger Flure“ dar. Diese sind wiederum Flure, über die „Rettungswege aus Aufenthaltsräumen oder aus Nutzungseinheiten mit Aufenthaltsräumen zu Ausgängen in notwendige Treppenräume oder ins Freie führen“ und müssen „so angeordnet und ausgebildet sein, dass die Nutzung im Brandfall ausreichend lang möglich ist“.

Diese Anforderung an Laubengänge bedeutet, dass sie, wie notwendige Treppen oder notwendige Flure, eine Breite aufweisen müssen, die „für den größten zu erwartenden Verkehr“ ausreicht. Da – außer für notwendige Treppen – keine weiteren Regeln zur Bemessung dieser Breite verfügbar sind, kann dafür z.B. die „Treppen-DIN“ (DIN 18065) [2] herangezogen werden. Soweit in seltenen Fällen Beschäftigte in Arbeitsstätten betroffen sind, dürfen die Technischen Regeln für Arbeitsstätten (ASR) [3] nicht außer Acht gelassen werden.

Bauordnungen oder Durchführungsverordnungen einzelner Länder (z.B. Niedersachsen) schreiben eine Breite von 1,25 m für notwendige Flure und damit auch für Laubengänge vor.

1 | Baurechtlich stellen „offene Gänge, [die] vor den Außenwänden angeordnet sind“ nach § 36 (5) MBO Sonderformen „notwendiger Flure“ dar.
ABBILDUNG: BRANDSCHUTZ PLUS GMBH

Rettungsweglängen

Bezüglich der Länge des (ersten) notwendigen Rettungswegs ist § 35Abs. 2 zu beachten: „Von jeder Stelle eines Aufenthaltsraumes […] muss mindestens ein Ausgang in einen notwendigen Treppenraum oder ins Freie in höchstens 35 m Entfernung erreichbar sein.“ Da der Ausgang auf den Laubengang einem Ausgang ins Freie gleichkommt, ist eine Entfernung von maximal 35 m bis zum Laubengang ausreichend.

Decken, Wände und Türen

Ebenso wie die Anforderungen an die Breite leiten sich auch die Anforderungen an Decken, Wände und Türen zu Nutzungseinheiten von notwendigen Fluren ab. Aus der Formulierung „so […] ausgebildet, dass die Nutzung im Brandfall ausreichend lang möglich ist“ ergibt sich sinngemäß, dass (auskragende) Decken von Laubengängen den gleichen Feuerwiderstand wie die Decken des restlichen Gebäudes aufweisen müssen, z.B. hochfeuerhemmend bei Gebäuden der Gebäudeklasse (GK) 4.

Besonders bei leichten vorgestellten Konstruktionen aus Stahl oder Holz können diese Brandschutzanforderungen zu einem erheblichen bautechnischen Mehraufwand führen. Hier bietet es sich an, gemeinsam mit der prüfenden Behörde zu überlegen, ob nicht auch ein geringerer Feuerwiderstand „ausreichend“ ist i.S.d. § 36 Abs.1 MBO. Analog zu den Anforderungen an notwendige Treppen kann abweichend für die Decke des Laubengangs der Feuerwiderstand auf 30 Minuten reduziert werden, wenn z.B. Flucht und Rettung in zwei entgegengesetzten Richtungen möglich sind.

Bei den Anforderungen an die Wände von Laubengängen zu den Nutzungseinheiten unterscheidet die MBO zwischen Laubengängen mit einer oder mit zwei Fluchtrichtungen. Feuerhemmend (F30) hergestellt werden müssen lediglich die Gebäudeaußenwände an Laubengängen mit nur einer Fluchtrichtung. In diesen Außenwänden sind allerdings Fenster ohne Feuerwiderstand ab einer Brüstungshöhe von 90 cm (in Baden-Württemberg ab 120 cm) zulässig.

Ohne Feuerwiderstand, jedoch dichtschließend, sind die Türen zu den Nutzungseinheiten herzustellen. Im Gegensatz zu Wohnungseingangstüren, die direkt aus dem Treppenraum in die Nutzungseinheiten führen, ist eine Selbstschließung für diese Türen nicht erforderlich.

Oberflächen, Wärmedämmungen und Fußböden

Bekleidungen, Putze, Unterdecken und Dämmstoffe müssen aus nichtbrennbaren Baustoffen bestehen. Wände oder Decken aus brennbaren Baustoffen (z.B. Holzkonstruktionen) benötigen eine Bekleidung aus nichtbrennbaren Baustoffen in ausreichender Dicke. Diese „ausreichende Dicke“ ist – unabhängig von der „brandschutztechnisch wirksamen Bekleidung“ nach MHolzBauRL [4] – durch eine deutlich schlankere Bekleidung, z.B. Gipskartonplatten mit einer Dicke von 12,5 mm, gegeben.

Die Anforderung „nichtbrennbar“ an die Oberflächen der Außenwände von Laubengängen hat deutliche Konsequenzen für die Ausführung von Fassadendämmungen, z.B. Wärmedämmverbundsystem (WDVS). Während bei Gebäuden bis GK3 für die übrigen Außenwände normalentflammbare (B2) und in der GK4 und 5 schwerentflammbare (B1) Dämmungen zulässig sind, müssen diese im Bereich des Laubengangs nichtbrennbar (A) ausgeführt werden (s. „Praxismerkblatt Brandschutzmaßnahmen bei WDVS mit EPS-Dämmstoffen [5]). Die LBO in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen fordern – ohne ersichtlichen Grund – zusätzlich mindestens schwerentflammbare Fußbodenbeläge; eine Anforderung, die ansonsten vertikalen Rettungswegen vorbehalten bleibt.

2 | Die auskragenden Decken von Laubengängen müssen den gleichen Feuerwiderstand wie die Decken des restlichen Gebäudes aufweisen, z.B. hochfeuerhemmend bei Gebäuden der Gebäudeklasse 4.
ABBILDUNG: ANNE BEHR – BRANDSCHUTZ PLUS GMBH

3 | Die Anforderung „nichtbrennbar“ an die Oberflächen der Außenwände von Laubengängen hat deutliche Konsequenzen für die Ausführung von Fassadendämmungen, z.B.
Wärmedämmverbundsystem (WDVS).

ABBILDUNG: FACHVERBAND WÄRMEDÄMM-VERBUNDSYSTEME E.V.

Brüstungen und Verglasungen

Gemäß der DVO-NBauO [6] dürfen in Niedersachsen Umwehrungen von Laubengängen keine Öffnungen haben und müssen aus nichtbrennbaren Baustoffen bestehen. Verglasungen in diesen Umwehrungen müssen mindestens 30 Minuten widerstandsfähig gegen Feuer sein.

Die Ausbildung eines offenen Geländers für höhere Gebäude ist – abweichend von Bauvorschriften einzelner Länder – brandschutztechnisch vorteilhafter als geschlossene Brüstungen. Bei Brandsimulationen stellte sich heraus, dass sich durch die brandschutzrelevante Wirkung der Kragplatte des Laubengangs bei einem offenen Geländer der Rauch von der Fassade weg bewegt und in den darüberliegenden Stockwerken die Rauchtemperaturen deutlich mehr abnehmen [7].

Es kommt häufig vor, dass Laubengänge bei der Errichtung des Gebäudes oder zu einem späteren Zeitpunkt durch eine vorgehängte oder eingestellte Glasfassade nachträglich geschlossen werden. In diesem Fall werden die offenen Gänge zu notwendigen Fluren und die bisher außen liegenden Fenster verlieren ihre Privilegierung. Die Fenster sind entsprechend den Anforderungen an notwendige Flure mit feststehenden F30-Verglasungen auszustatten [8].

Einschränkung der Nutzung

Das Laubenganghaus findet sich häufig bei Wohnformen, die sich durch ein gemeinschaftliches Leben über die Zelle der Familie hinaus auszeichnen. Historische Beispiele wie das Familistère in Guise oder die Laubenganghäuser in der Berliner Karl-Marx-Allee ebenso wie experimenteller Wohnungsbau der Gegenwart – Baugruppenmodelle, Mehrgenerationenhäuser oder Altenwohngemeinschaften – bewerten die Laubengangerschließung positiv. Der Laubengang wird dabei als Bereich angesehen, in dem sich Bewohner informell begegnen können und der hilft, Hausgemeinschaften zu bilden bzw. zu stärken.

Diesem Aspekt der Laubengänge stehen i.d.R. die unübersichtlichen und unterschiedlichen bauaufsichtlichen Regelungen in den LBO und nachfolgenden Verordnungen, die z.T. sogar wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Brandgeschehen widersprechen – diametral gegenüber. Konflikte zwischen Benutzern und Brandschutz, die die architektonische Qualität und die Nutzung der Laubengänge einschränken, gilt es, frühzeitig aus dem Weg zu räumen. Maßnahmen zur Sicherheit der Bewohner sollten flexibel und teilweise abweichend von den Regelungen auf ihr Kernschutzziel – Sicherung der Flucht- und Rettungswege über einen ausreichend langen Zeitraum – zurückgeführt werden. So ist z.B. bei ausreichender Breite des Laubengangs eine Nutzung als Freifläche außerhalb der benötigten Gangbreite für den Fluchtweg möglich.

Fazit

Einschränkungen der Benutzbarkeit des Rettungswegs über die Laubengänge, insbesondere durch Rauchgase, finden weniger auf Ebene des Brandes als in allen darüberliegenden Etagen statt. Dabei wirkt sich die Kragplatte des Laubengangs sogar positiv auf die Ableitung heißer Rauchgase über die Außenwand des Gebäudes aus. Bei der Nutzung des Laubengangs als Aufenthaltsbereich sollte daher eine Gangbreite von ca. 1,0 bis 1,25 m von Einrichtungen, Möblierungen oder anderen Gegenständen freigehalten werden.

Die Einschränkungen von Flucht und Rettung hängen beim Laubengang stark von dem Ort des Brandgeschehens ab. Da dieser vorher nicht bekannt ist, kann dieser „Gang“ entweder unmittelbar an der Außenwand – günstig für die Flucht ober- oder unterhalb der Brandebene, ungünstig für die Nutzung – oder nahe der Brüstung – günstiger für die Flucht auf der Brandebene und für die Nutzung – angeordnet werden.

Trotz der erforderlichen Abweichungen vom Baurecht sollte durchdachten baulichen Maßnahmen, wie z.B. Rauchschürzen, die eine seitliche Ausbreitung der Rauchgase verhindern und ihre Ableitung ins Freie fördern, der Vorzug vor Maßnahmen hinsichtlich z.B. des Feuerwiderstands der Decken gegeben werden. Letztere können erst lange nach dem Brandgeschehen ihre Wirkung entfalten, nämlich dann, wenn alle Nutzer bereits in Sicherheit sein sollten.

Setzt man diese positive Wirkung von Schutzschildern und Rauchschürzen bewusst ein, können einfache Maßnahmen dazu beitragen, offene Gänge als Flucht- und Rettungswege sicher gestalten.

Quellen/Literatur


[1] Musterbauordnung (MBO), zuletzt geändert am 22./23.09.2022
[2] DIN 18065:2020-08 „Gebäudetreppen – Begriffe, Messregeln, Hauptmaße“
[3] Technische Regeln für Arbeitsstätten – Fluchtwege und Notausgänge – ASR A2.3 Ausgabe: März 2022
[4] Muster-Richtlinie über brandschutztechnische Anforderungen an Bauteile und Außenwandbekleidungen in Holzbauweise (MHolzBauRL) Fassung Oktober 2020
[5] Fachverband WDVS: KOMPENDIUM WDVS und BRANDSCHUTZ“ www.fachverband-wdvs.de.
[6] Allgemeine Durchführungsverordnung zur Niedersächsischen Bauordnung (DVO-NBauO) vom 26. September 2012, zuletzt geändert am 18. Mai 2022
[7] Martina Schwarz: Wie sicher sind offene Gänge als Rettungswege, in FeuerTrutz Magazin, Ausgabe 3.2018
[8] FREIE UND HANSESTADT HAMBURG, Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt – Amt für Bauordnung und Hochbau: Bauprüfdienst (BPD) 05/2012 Brandschutztechnische Auslegungen (BTA)

Der Autor


Reinhard Eberl-Pacan
Dipl.-Ing. Architekt; Planer & Sachverständiger für den vorbeugenden Brandschutz (AK Berlin); Sachverständiger für die brandschutztechnische Bau- und Objektüberwachung (EIPOS); Nachweisberechtigter für Brandschutzplanung in der Brandenburgischen Architektenkammer; Vize-Präsident des DIvB; Referent und Autor.
www.brandschutzplus.de

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