§ 34 BAUGB: Spielräume erkennen und rechtssicher nutzen

§ 34 BAUGB: Spielräume erkennen und rechtssicher nutzen

Recht & Steuern

§ 34 BAUGB: Spielräume erkennen und rechtssicher nutzen

Text: Dr. Markus Johlen | Foto (Header): © EYETRONIC – stock.adobe.com

In der Baurechtspraxis ist für die planungsrechtliche Bewertung von Bauvorhaben nach wie vor § 34 BauGB die absolut zentrale Vorschrift. Doch bei welchen Voraussetzungen gilt die Regelung und welche Spielräume gibt es? Ein Überblick.

Auszug aus:

Für viele bebaute Gebiete gibt es keinen Bebauungsplan, und ein solcher ist auch in Zukunft nicht zu erwarten, weil die vorhandenen Strukturen – z. B. eine Mischung aus Wohngebäuden und „störenden Gewerbebetrieben“ – die Aufstellung eines abwägungsfehlerhaften Bebauungsplans erschweren oder gar unmöglich machen. Oft existiert zwar vordergründig ein Bebauungsplan. Dieser erweist sich bei einer gerichtlichen Klärung jedoch als unwirksam. Dies ist selbst z. B. bei älteren Bebauungsplänen denkbar, die nicht mehr in der Normenkontrolle angegriffen werden können, weil es sich bei einem Großteil der in der Rechtsprechung entwickelten Unwirksamkeitsgründen um sog. „Ewigkeitsmängel“ handelt, sodass auch ein Plan für unwirksam erklärt werden kann, der seit 30 Jahren existiert und von der Bauaufsichtsbehörde seither angewendet wird.

Zur näheren Umgebung eines Baugrundstücks gehört möglicherweise auch ein Bereich, der selbst mit einem bestehenden Bebauungsplan überplant ist.
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Systematik

Die Regelung des § 34 BauGB klingt simpel und gerecht. Im Prinzip darf der Bauherr ein Vorhaben realisieren, das es in seiner Nachbarschaft, der sog. „näheren Umgebung“, hinsichtlich der Kriterien „Art der baulichen Nutzung“, „Maß der baulichen Nutzung“, „Bauweise“ und „überbaubare Grundstücksfläche“ bereits gibt. Zudem muss die „Erschließung gesichert“ sein. Weitere Anforderungen gibt die Regelung nicht vor, sodass einem in diesem Sinne zulässigen Bauvorhaben nicht entgegengehalten werden kann, dass es z. B. den Zielen der Raumordnung, den Darstellungen des Flächennutzungsplans oder den Vorgaben eines Einzelhandels- und Zentrenkonzepts widerspricht.1

Eingrenzung der „näheren Umgebung“

Die erste Schwierigkeit liegt darin, zu klären, wie weit die nähere Umgebung reicht und auf welche Bauvorhaben sich der Bauherr berufen kann.

Ausgangspunkt ist insoweit die Frage, ob zwischen dem Baugrundstück und dem Vorhabengrundstück eine „wechselseitige Prägung“ besteht. In Gerichtsverfahren streitig ist dabei oft die Frage, wann einer Straße insoweit eine trennende Wirkung zukommt. Dies kann der Fall sein, wenn die Straße besonders hoch frequentiert oder besonders breit ausgebaut ist oder wenn – bezogen auf das jeweilige Kriterium – diesseits und jenseits der Straße eine unterschiedliche Bebauungsstruktur besteht.2 All diese Varianten beinhalten Wertungsfragen und hängen von der Beurteilung der jeweiligen Situation ab, sodass es in Gerichtsverfahren nicht ungewöhnlich ist, dass z. B. ein Verwaltungsgericht einer Straße eine trennende Wirkung beimisst, die das Oberverwaltungsgericht nicht sieht. Auch wird oft übersehen, dass die „nähere Umgebung“ eines Baugrundstücks auch eingegrenzt sein kann, obgleich zwischen dem Baugrundstück und dem Vorhabengrundstück keine optisch wahrnehmbare Zäsur durch Straße, Schienenstrang, Gewässerverlauf oder Geländekante besteht. Dies ist nämlich dann der Fall, soweit – bezogen auf das jeweilige Merkmal – zwei einheitlich geprägte Bebauungskomplexe mit voneinander abweichenden Bau- und/oder Nutzungsstrukturen aneinanderstoßen.3 Bei einer derartigen Struktur kann dann die nähere Umgebung an der Grundstücksgrenze enden oder dies sogar dazu führen, dass ein einheitliches Baugrundstück in verschiedene Bereiche im Sinne von § 34 BauGB zu unterscheiden ist.

Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Reichweite der näheren Umgebung für sämtliche Kriterien des Bauplanungsrechts (Art, Maß, Bauweise, überbaubare Grundstücksfläche, Erschließung) gesondert abzugrenzen ist.4 Dies kann zur Folge haben, dass bei der Art der baulichen Nutzung ein Grundstück zur näheren Umgebung gehört, das beim Maß der baulichen Nutzung hingegen eine andere Beurteilung erfährt.

„Trittbrettfahren“ erlaubt

Auf der anderen Seite bietet § 34 BauGB viel mehr Gestaltungsspielräume, als den Beteiligten oftmals klar ist. So gehört zur näheren Umgebung („Nachbarschaft“) eines Baugrundstücks möglicherweise auch ein Bereich, der selbst mit einem bestehenden Bebauungsplan überplant ist, d. h., der Bauherr kann sich durchaus auf Bauvorhaben in der unmittelbaren Umgebung berufen, die erst durch einen Bebauungsplan realisiert werden konnten.5

Überraschend, was so alles prägt

Auch vor mehreren Jahren abgerissene Gebäude können noch als Vorbild herangezogen werden, wenn nach der Verkehrsauffassung mit einer Wiedererrichtung zu rechnen war.6 In der Praxis erfolgt auch oftmals eine Fehlbewertung der Bauaufsichts- oder Stadtplanungsämter insoweit, als dass man nur diejenige Bebauung als zulässig erachtet, die „absolut überwiegt“. Dies ist jedoch deshalb nicht zutreffend, weil auch völlig untergeordnete Bauvorhaben Vorbild sein können, wenn diese nicht als Fremdkörper/Ausreißer qualifiziert werden. Dies setzt jedoch voraus, dass es sich um singuläre bauliche Anlagen handelt.7 Gibt es in einer Straße z. B. 30 Gebäude, die nur mit einem Vollgeschoss bebaut sind, und zwei Gebäude, die mit fünf Vollgeschossen errichtet wurden, ist auch die Errichtung eines weiteren Gebäudes mit fünf Vollgeschossen zulässig. Selbst ungenehmigte bauliche Anlagen können als Vorbild herangezogen werden, soweit die Bauaufsichtsbehörde hiergegen nicht ordnungsbehördlich einschreitet.8

Bei faktischem Baugebiet ist von der Art nicht nur das Vorhandene zulässig

Bei der „Art der baulichen Nutzung“ ist zu berücksichtigen, dass bei Vorliegen eines faktischen Baugebiets (z. B. Mischgebiet, Gewerbegebiet, Kerngebiet) auch Vorhaben realisiert werden können, die bislang in der Umgebung noch nicht vorhanden sind, soweit sie nach dem Willen des Gesetzgebers in derartigen Gebieten zulässig sind (vgl. § 34 Abs. 2 BauGB). Besteht beispielsweise die nähere Umgebung aus Wohngebäuden und kleineren Gewerbebetrieben – also liegt ein faktisches Mischgebiet vor – sind Bürogebäude oder Einzelhandelsbetriebe (bis 800 m² Verkaufsfläche) zulässig, auch wenn es derartige Betriebsformen bislang nicht gibt.

Bei „Gemengelage“ ist Typisierung entscheidend

Kann die nähere Umgebung aufgrund der vorhandenen Nutzungen (z. B. Mischung aus Wohnungen und „das Wohnen wesentlich störenden Gewerbebetrieben“) keinem der Baugebietstypen der BauNVO zugerechnet werden, ist dies anders. In der sog. „Gemengelage“ bedarf es wiederum für das Bauvorhaben eines konkreten (vorhandenen) Vorbilds. Die Besonderheit liegt dabei darin, dass das Vorbild nur aus der vom Gesetzgeber in der BauNVO vorgegebenen „groben Typisierung“ kommen muss, nicht jedoch aus Feindifferenzierungen, die in Bebauungsplänen möglich sind. So kann eine kerngebietstypische Spielhalle Vorbild für eine Großraumdiskothek sein, weil es sich bei beiden Betriebsformen um „kerngebietstypische Vergnügungsstätten“ handelt. Ein 20-m²-Blumenhandel kann dann ebenso Vorbild für einen Lebensmitteldiscountmarkt mit 800 m² Verkaufsfläche sein, weil es sich bei beiden Formen um „kleinflächige Einzelhandelsbetriebe“ handelt.

Kein Vorbild für Dachausbau erforderlich

Beim „Maß der baulichen Nutzung“ kann auch der „erste“ Dachausbau durch Errichtung von Dachgauben zulässig sein, selbst wenn es Dachgauben in der Umgebung nicht gibt, soweit hierdurch die zulässige Firsthöhe nicht verändert wird und durch die Gaube das oberste Geschoss nicht zu einem (unzulässigen) Vollgeschoss wird. Auch die Errichtung von mehreren Gebäuden kann nach § 34 BauGB – also ohne Aufstellung eines Bebauungsplans – zulässig sein, soweit sich die Bauvorhaben bei allen Kriterien einfügen. Ein entgegenstehendes „Planbedürfnis“ als solches gibt es bei § 34 BauGB nicht. Genauso wenig gibt es das Maßkriterium „Gebäudelänge“, ein diesbezügliches Vorbild kann daher vom Bauherrn nicht verlangt werden.9

Bei der „Bauweise“ ist zu berücksichtigen, dass nach § 22 Abs. 2 BauNVO auch Doppelhäuser und Hausgruppen bis 50 m Länge zur offenen Bauweise gehören, somit z. B. mehrere Reihenhäuser (im Sinne einer Hausgruppe) in Baugebieten errichtet werden können, die bislang lediglich aus freistehenden Einzelhäusern bestehen.

Die Errichtung von Dachgauben kann zulässig sein, selbst wenn es Dachgauben in der Umgebung nicht gibt. Die zulässige Firsthöhe darf aber dadurch nicht verändert und durch die Gaube das oberste Geschoss nicht zu einem (unzulässigen) Vollgeschoss werden.
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Die „unzulässige Bebauung in zweiter Reihe“ gibt es rechtlich nicht

Die „überbaubaren Grundstücksflächen“ werden zudem lediglich durch eine vordere und rückwärtige Baugrenze eingeschränkt. Wie viele Häuser innerhalb dieses Rahmens errichtet werden können, ist somit kein Kriterium.10 Die oftmals entgegenstehende Behauptung einer „unzulässigen Bebauung in zweiter Reihe“ gibt es daher nicht. Auch Dachformen sowie sonstige gestalterische Elemente (Firstrichtung etc.) spielen im Rahmen von § 34 BauGB keinerlei Rolle.

Risiken bei Nachbarklagen richtig einordnen

Da es kein größeres Bauvorhaben ohne eine Nachbarklage gibt, ist es für den Bauherrn wichtig zu wissen, wo ein Risiko besteht und wo nicht.

Nachbarschutz vermittelt im Rahmen von § 34 BauGB stets die „Art der baulichen Nutzung“, soweit die nähere Umgebung einem der Baugebiete der BauNVO entspricht. So kann sich jeder Eigentümer in einem faktischen Gewerbegebiet gegen eine (nicht betriebsgebundene) Wohnbebauung zur Wehr setzen, unabhängig davon, ob er durch das Vorhaben überhaupt beeinträchtigt ist oder nicht. Gleiches gilt, wenn z. B. umgekehrt ein störender Gewerbebetrieb in einem reinen Wohngebiet errichtet werden soll.

Auch vermittelt das Gebot der nachbarlichen Rücksichtnahme im Rahmen von § 34 BauGB stets Nachbarschutz. Da nach ständiger Rechtsprechung Einsichtnahmemöglichkeiten sowie eine Verschattung in bebauten Gebieten in aller Regel hinzunehmen sind sowie eine „erdrückende Wirkung“ eines Baukörpers nur selten bestehen wird, ist ein Verstoß insoweit in der Praxis nur dann anzunehmen, wenn die zulässigen Immissionsrichtwerte zulasten der Nachbarbebauung überschritten oder Stellplätze (oder Zufahrten) in Bereichen errichtet werden, die bislang rein gärtnerisch genutzt wurden.

Immer da, wo es Zweifel gibt, ob sich ein Gebäude in die nähere Umgebung einfügt, weil das als Vorbild herangezogene Gebäude möglicherweise durch eine Straße vom Baugrundstück getrennt ist, ist es umgekehrt wichtig zu wissen, unter welchen Gesichtspunkten ein Bauvorhaben vom Nachbarn nicht angegriffen werden kann. Insoweit ist es beruhigend zu wissen, dass die Kriterien „Maß der baulichen Nutzung“, „Bauweise“ (bis auf die Situation Doppelhaus oder Hausgruppe) sowie die „Grundstücksfläche, die überbaut werden soll“ für sich genommen keinen Nachbarschutz vermitteln.11 Die Sorge, dass ein Nachbar ein Bauvorhaben wirksam anfechten kann, ist daher oftmals unberechtigt.

Daher: „Viel Spaß beim Bauen“

1 Vgl. zu Flächennutzungsplan BVerwG, Urt. v. 03.04.1981, Az. 4 C 61/78, zitiert bei juris.
2 Vgl. hierzu u. a. BVerwG, Urt. v. 29.04.1997, Az. 4 B 67/97, BRS 59 Nr. 80.
3 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 28.08.2003, Az. 4 B 74/03, zitiert bei juris.
4 BVerwG, Beschl. v. 13.05.2014, Az. 4 B 38/13, zitiert bei juris.
5 BVerwG, Beschl. v. 27.03.2018, Az. 4 B 60/17, zitiert bei juris.
6 VGH München, Beschl. v. 16.11.2015, Az. 4 ZB 12.611, zitiert bei juris.
7 BVerwG, Urt. v. 07.12.2006, Az. 4 C 11/05, zitiert bei juris.
8 OVG Münster, Urt. v. 11.07.2017, Az. 2 A 470/15, zitiert bei juris.
9 BVerwG, Urt. v. 08.12.2016, Az. 4 C 7/15, zitiert bei juris.
10 OVG Münster, Urt. v. 01.03.2017, Az. 2 A 45/16, zitiert bei juris.
11 VGH München, Beschl. v. 05.12.2012, Az. 2 CS 12.2290, zitiert bei juris; OVG Münster, Beschl. v. 18.09.2015, Az. 7 B 310/15, zitiert bei juris.

Der Autor


Dr. Markus Johlen
Fachanwalt

Rechtsanwalt/Fachanwalt für Verwaltungsrecht in der bundesweit auf das Immobilienrecht spezialisierten Kanzlei Lenz und Johlen in Köln und seit 19 Jahren ausschließlich auf das öffentliche Baurecht spezialisiert.

www.lenz-johlen.de

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