Senioren-Wohnpark in der Nähe von Memmingen: Wohnen und Pflege kombiniert

Senioren-Wohnpark in der Nähe von Memmingen: Wohnen und Pflege kombiniert

Realisierte Objekte

Senioren-Wohnpark in der Nähe von Memmingen: Wohnen und Pflege kombiniert

Text: Eva Mittner | Foto (Header): © Herrmann + Bosch Architekten/David Matthiessen

Auf der Rottuminsel im Zentrum der Stadt Ochsenhausen bei Memmingen hat das Architekturbüro Herrmann + Bosch Architekten einen Wohnpark mit zukunftsweisenden Wohnformen für Senioren geplant und realisiert. Nach rund zwei Jahren Bauzeit ist das Gebäude-Ensemble aus drei verknüpften Häusern nun ein Zuhause für mehr als 90 Menschen geworden.

Auszug aus:

In Baden-Württemberg sind die Anforderungen an die stationäre Betreuung und Pflege in den letzten Jahren stark angestiegen. Vielerorts wurden daher neue Pflegeplätze geplant und realisiert. So auch beim Senioren-Wohnpark auf der Rottuminsel im Herzen der Stadt Ochsenhausen, einer ländlichen Kleinstadt mit rund 9.000 Einwohnern.

Herrmann + Bosch Architekten GbR aus Stuttgart haben als Planer zusammen mit den Betreibern – der St. Elisabeth-Stiftung mit Sitz in Bad Waldsee – den Neubau verwirklicht, der auf die steigende Nachfrage nach Unterstützung im Alltag und den Wunsch nach individuellen Wohnformen im Alter reagiert. Im Mai 2022 wurde der Wohnpark eingeweiht und vereint nun Pflegeheim, Wohnen mit Service, Wohnen mit Service +, Tagespflege und verschiedene Praxen.

„Die besondere Aufgabe bei diesem innerstädtischen Bauvorhaben war es, auf der schmalen Insel einen Wohnort mit hoher Lebensqualität zu errichten. Der ungewöhnliche Standort erforderte dabei einige ausgeklügelte Maßnahmen, “berichten die Architekten. „Der Innenausbau sollte lebendig und interessant werden, weil einige Personen, die hier leben, das Gebäude eher selten verlassen. Trotzdem sollte dieses Zentrum aber nicht vom städtischen Leben isoliert sein “, erläutert Max Rude, Projektleiter der St. Elisabeth-Stiftung. „Wir haben die Vorgabe nach einem ruhigen, aber auch lebendig gestalteten Quartier gemacht.“

1 | Das Haus verfügt über ein Pflegeheim, pflegenahes Wohnen, Wohnen mit Service und Tagespflege und geht damit auf die sehr unterschiedlichen Anforderungen von Senioren ein. Büroräume des Kreisjugendamts und drei Praxen finden dort ebenso Platz.
FOTO: HERRMANN + BOSCH ARCHITEKTEN/DAVID MATTHIESSEN

Untergrund und Grundstück

Beim Untergrund handelt es sich um einen sog. Talkies-Boden, der aus weitgestuftem, schwach sandigem Kies besteht. Talkiese sind nach DIN 18130 als stark durchlässig eingestuft und entsprechend tendenziell durchlässig. Aufgrund dieser Voraussetzung und um die hohen Anforderungen an den Schallschutz zu erfüllen, wurde das Gebäude in Ortbeton/ Stahlbetonbauweise mit schlanken Stützen im Erdgeschoss realisiert.

Die Abmessungen des Grundstücks, das nur eine Größe von ca. 2.000 m² umfasst, sind mit einer maximalen Länge von 135 m und einer Breite von ca. 39 m relativ schmal.

Viele Nutzungen unter einem Dach

Die Hauptschwierigkeit bestand darin, das Gebäude mit acht verschiedenen Nutzungseinheiten in einer städtebaulich verträglichen Gesamtform auf der durch das Wasser begrenzten Grundstücksfläche unterzubringen – „alles unter einem großen Dach “war ein wesentlicher Ansatz für die Planung. Durch die Knicke in der Gebäudeform hat man auf die örtliche Situation subtil reagiert. Diese nehmen dem Gebäude auch seine wahre Größe.

Der viergeschossige Bau setzt sich aus unterschiedlichen Komponenten zusammen: Das hohe Sockelgeschoss für Sondernutzungen hat eine lichte Raumhöhe von 3 m. Die zwei Pflegegeschosse verfügen über große Fensterelemente. Das Dachgeschoss ist mit einer großzügigen Terrasse und Umgang ausgestattet und beheimatet das Wohnen mit Service.

2 | Durch die Form und Kompaktheit integriert sich der langgestreckte Bau mit Satteldach optimal in die umgebende Bebauung und bildet einen vom Verkehrslärm geschützten Außenraum Richtung Rottum. Ungewöhnlicher Schnitt des Grundstücks: Die Planung erforderte eine ausgeklügelte Antwort in Form und Material.
FOTO: ST. ELISABETH-STIFTUNG/FELIX KÄSTLE

Konstruktion und Erscheinungsbild

Der massive Baukörper erhielt großzügige Öffnungen für maximalen Lichteinfall. Die modulare Bauweise der gewählten Pfosten-Riegel-Fassade aus Aluminium erlaubte die Vorfertigung der Elemente im Werk des Herstellers und den zügigen Aufbau auf der Baustelle vor Ort.

Für ein harmonisches Erscheinungsbild bekam das Gebäude eine beigefarbene Putzfassade aus rein mineralischem Putz ohne Zusatzmittel. Die anthrazitfarbenen Fenster und Fensterbänder werden durch eine weiße Putzfläche zusammengebunden und bewirken eine horizontale Gliederung.

Abschluss des Gebäudes bildet das große geneigte Ziegeldach, das umlaufend von dem Gebäudesockel gestalterisch abgelöst ist. Die Ziegeldeckung aus regionaler Herstellung und Photovoltaikanlage sind farblich aufeinander abgestimmt, sodass die ruhige Wirkung des Daches im Ortsbild gewahrt bleibt. Der große Dachüberstand bildet neben dem Witterungsschutz auch eine wirksame Beschattung im Sommer. Verkehrstechnisch wurde das Gebäude über die Zufahrt des neuen Kreisverkehrs erschlossen. Der Parkplatz bietet Platz für 35 Autos. Durch einen Steg, den die Stadt Ochsenhausen im Süden errichten ließ, ist der Wohnpark auch für Fußgänger öffentlich zugänglich und einladend gestaltet.

Kompaktes Volumen

Durch seine Lage, Form und Dimension soll der Baukörper das Areal und das angrenzende Wohngebiet gegen die Lärmimmissionen der Biberacher Straße (B 312) abschirmen und damit eine ruhige Hofsituation mit beschützendem Charakter schaffen. Der Bau spannt mit seinem kompakten Volumen nach Süden auf und wird durch die halböffentlichen Außenräume zu einem grünen Naherholungsort.

Durch die vier Geschosse entlang der Biberacher Straße entstand eine städtebaulich angemessene, maßstäbliche Identität. Der Clou: Durch die abgewinkelte Form und das Satteldach integriert sich der Baukörper in die umgebende Bebauung. Das Gebäude rückt optisch attraktiv an den Flusslauf der Rottum heran und fügt sich mit zurückhaltendem Gesamteindruck in die prägnante Umgebung ein.

3 | Das Ensemble aus drei Gebäuderiegeln mit bepflanztem Freiplatz zum Fluss Rottum zeigt, wie Seniorenwohnen heute sein kann: unkompliziert, ungebunden, unkonventionell.
FOTO: HERRMANN + BOSCH ARCHITEKTEN/DAVID MATTHIESSEN

Anspruchsvolle Tragwerksplanung

Aufgrund wiederkehrender regionaler Hochwasserereignisse verzichtete die Bauherrenschaft auf den Bau einer Tiefgarage. Das Bauvorhaben steht auf einer sog. „Brunnengründung “mit durchgängiger Betonbodenplatte deutlich über der Jahrhunderthochwassergrenze HQ 100.

Dafür war es unerlässlich, eine anspruchsvolle Tragwerksplanung zugrunde zu legen. Beauftragt wurde das Ingenieurbüro Rohmer GmbH aus Laupheim. Die größten Herausforderungen in Bezug auf die Statik waren die geplante Geometrie des Gebäudes auf dem speziellen Untergrund, da sich die tragfähigen Bodenschichten in unterschiedlichen Tiefen befinden. Die Anordnung der Arbeitsfugen wurde schließlich so geplant, dass diese gleichzeitig die physikalischen Schwindvorgänge des Betons ausgleichen konnten.

Bei den zwei infrage kommenden Gründungsarten, nämlich einer elastisch gebetteten Bodenplatte oder der Brunnengründung, hat sich nach Überprüfung die Brunngengründung als die sicherste und zugleich wirtschaftlichere Variante herausgestellt. Durch die gewählte Ausführung wurde ein „steifer “Stahlbetonkörper erzielt, der in der Lage ist, kleinere, unterschiedliche Setzungen gut auszugleichen.

Zentraler Treffpunkt und barrierefreie Wohnungen

Im Erdgeschoss und den drei Obergeschossen gibt es 45 Dauerpflegeplätze, 23 Tagespflegeplätze, 13 Wohnungen als Konzept „Wohnen mit Service “, 12 Wohnungen Wohnen mit Service + und 4 Dienstleistungsbereiche im Erdgeschoss. Herz des Gebäudes sind ein Multifunktionsraum und das Foyer, die als zentrale Treffpunkte dienen.

Das gesamte Gebäude ist barrierefrei erschlossen, d. h. alle Geschosse und alle Wohnungen können über Aufzüge barrierefrei erreicht werden. 13 Wohnungen sind umfassend rollstuhlgerecht gebaut worden. Die überdachten Balkone der Bewohnerzimmer und die gemeinschaftlichen Terrassen ermöglichen den Blick auf die Stadt und das Kloster Ochsenhausen.

Moderne Senioren-Zimmer und viel Service

Durch viele beteiligte Experten für Gesundheit, Pflege und Wohlbefinden entstand ein Netzwerk von Partnern, die in die neuen Räumlichkeiten eingezogen sind: Eine Zweigstelle des Sana MVZ, die Ergotherapiepraxis Zembrod, eine Außenstelle des Allgemeinen Sozialen Dienstes des Jugendamtes Biberach sowie der Pflegestützpunkt als neutrale Beratungsstelle des Landratsamtes.

4 | Durch die Wahl dieser Gründungsvariante konnten baugrundbedingte Verformungen durch die Eigenlast des Bauwerks minimiert werden.
ABBILDUNG: INGENIEURBÜRO ROHMER GMBH/STATIK SOFTWARE DLUBAL GMBH

Energetisch fit

Verwirklicht wurde eine klassische Fußbodenheizung und der Anschluss an das mit regenerativen Energien betriebene örtliche Fernwärmenetz. Über eine großflächige Photovoltaikanlage wird das Gebäude mit Solarstrom versorgt. Auf diese Weise erreicht man Werte, die deutlich über den Vorgaben des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) liegen.

„So eigenständig wie möglich, so sicher wie nötig. Dieses Motto hat man auch beim Energiekonzept verwirklicht. Die Stromgewinnung erfolgt aus einer PV Anlage 30 kwp für die Grundlastversorgung des Eigenbedarfs. Die Fernwärme kommt vom örtlichen Versorger, NWO, und dies nachhaltig aus regenerativem Energieträger – um fossile Energieträger zu vermeiden. Auch eine Ladestation für Elektrofahrzeuge hat man eingerichtet.

Der neue Wohnpark Rottuminsel gewährleistet, dass die Bewohner die Vitalität der Stadt nutzen und aktiv am städtischen Leben teilnehmen. Mit dem ruhigen Hof, den geschützten Balkonen und komplexen Gemeinschaftsbereichen können sie jedoch auch ihre Privatsphäre genießen.

Die Autorin


Eva Mittner

Eva Mittner ist Autorin und lebt im Raum München. Nach Festanstellungen als Redakteurin und Pressesprecherin schreibt sie freiberuflich für verschiedene Architekturmedien. Sie hat sich zudem auf Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für Architekten und Ingenieure spezialisiert.

www.architektur-journalismus.com

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