Realisierte Objekte
Schönau-Quartier: Innerstädtische Nachverdichtung
Text: Michaela Allgeier | Foto (Header): © FOTOSTUDIO9 WIESBADEN
In Schierstein hat die GWW Wiesbadener Wohnbaugesellschaft mbH eine nicht sanierungsfähige Siedlung durch ein attraktives Gebäudeensemble ersetzt. Das neue Quartier besticht durch einen breiten Wohnungsmix mit vielfältig nutzbaren Gemeinschafts- und Grünflächen sowie einer nachhaltigen Energieversorgung. Dafür gab es den Hessischen Preis für Innovation und Gemeinsinn im Wohnungsbau.
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 6.2025
QUARTIER abonnieren
Diese Ausgabe als Einzelheft bestellen
Für Wiesbaden gilt das, was derzeit in den meisten Städten zu beobachten ist: Die Bevölkerung wächst, während das Angebot an verfügbaren Wohnungen sinkt, ganz besonders im günstigen Segment. Hinzu kommt, dass sich die Lebensstile deutlich verändert haben. So ist die Zahl der 3-Personen- Haushalte um rund 6,0 % zurückgegangen, wie ein aktueller Bericht des Wiesbadener Amts für Statistik und Stadtforschung besagt. Stattdessen zeigt sich ein neuer Trend: „Weg von der ‚Standard‘-Familie, hin zu allein oder zu zweit lebenden Älteren, berufstätigen Singles, aber auch größeren Familien.“ Mit dem Schönau-Quartier im Stadtteil Schierstein stellt die Wiesbadener GWW unter Beweis, wie man dieser Entwicklung mit Einfallsreichtum und einem Gespür für sich wandelnde Wohnbedürfnisse begegnet. Das Unternehmen, das 2024 sein 75. Jubiläum feierte, verfügt über einen Bestand von mehr als 14.000 Wohnungen und hat ein umfangreiches Neubauprogramm aufgelegt. Als größtes Wohnungsunternehmen in Wiesbaden trägt die GWW dazu bei, dass Wohnen trotz schwieriger Rahmenbedingungen bezahlbar bleibt.
Ein überzeugender Beleg für dieses Selbstverständnis sind die 260 neu errichteten Mietwohnungen im Schönau- Quartier. So beträgt der Förderanteil von Wohnungen für mittlere bzw. untere Einkommen 31 %. Die Miethöhe reicht von 6,70 bis 8,08 €/m2 bei den geförderten Wohnungen und von 11,63 bis 12,76 €/m2 bei den frei finanzierten Wohnungen. „Alle Wohnungstypen der Regelgeschosse orientieren sich an den Förderkriterien der Sozialen Wohnraumförderung“, sagt Marcus Gröschel, Architekt und Teamleiter der Abteilung „Projektsteuerung Bauplanung“ bei der GWW. Zugunsten einer gemischten Bewohnerstruktur wurden die geförderten und freifinanzierten Wohnungen bewusst gestreut.
Zusätzlicher Wohnraum
Ein weiterer Pluspunkt des Neubauprojekts: Die Anzahl der Wohnungen hat sich durch die kompakte Bauweise deutlich erhöht. „Der ursprüngliche Wohnungsbestand umfasste lediglich 160 Wohneinheiten, die zudem nicht mehr dem heutigen Standard entsprachen“, berichtet Marcus Gröschel und nennt als Beispiel die fehlende Barrierefreiheit.
„Im Schönau-Quartier wird eine Nachkriegssiedlungsstruktur aus den 1960er-Jahren hin zu einem neuen, lebendigen Stadtbaustein transformiert. Dieser stellt sich als innerstädtische Nachverdichtung in die Tradition des gründerzeitlichen Blocks mit klaren Adressen, grünen Höfen und einer hohen Nutzungsflexibilität“, so das Resümee des Abteilungsleites „Projektsteuerung Bauplanung“ Alexander Harff.
Das Bauvorhaben startete 2016 im Rahmen einer Mehrfachbeauftragung. Den städtebaulichen Entwurf erarbeitete das Wiesbadener Büro „Stadt. Quartier“ in Zusammenarbeit mit „HKK Landschaftsarchitektur“ und ROSA Wirtz Architektur (ehemals Architekten Stein Hemmes Wirtz) aus Frankfurt. In der anschließenden Planungsphase verantwortet ROSA den Hochbau und „HKK Landschaftsarchitektur“ (1. Bauabschnitt) und das Büro Kamphausen aus Wiesbaden (ab dem 2. der drei Bauabschnitte) die Freiraumplanung. Die Bauausführung übernahm im 1. Bauabschnitt die Schneider Bau GU GmbH und im 2.+3. Bauabschnitt die Brömer & Sohn GmbH als Generalunternehmer. Die Umsetzung der geplanten Maßnahmen stimmte die GWW eng mit den bisherigen Bewohnern ab. Man bot ihnen sowohl Ausweichwohnungen innerhalb oder in der Nähe ihres bisherigen Quartiers sowie ein Umzugsmanagement an. „Wir haben alle betroffenen Personen persönlich beraten, um ihren Unterstützungsbedarf zu klären“, sagt Luisa Bouffier vom Team „Mietmanagement“. 90 % nahmen das angebotene Umzugsmanagement in Anspruch, während die übrigen 10 % ihren Umzug selbst organisierten.
Vielfalt als Gestaltungsprinzip
Innerhalb des 1. Bauabschnitts mit Baubeginn Mitte 2018 entstanden 69 Wohnungen und erste Tiefgaragen. Im 2. Bauabschnitt waren es 87 Wohnungen, verteilt auf fünf Gebäude (7 Hauseingänge). Mit dem 3. Bauschnitt, der seit Februar 2024 in der Realisierung ist, kommen nochmals 104 Wohnungen hinzu. Deren Fertigstellung ist für Anfang 2026 vorgesehen.
„Eine große Herausforderung war die extreme Hanglage im Gebiet“, sagt Architektin Sabrina Wirtz. „Die drei- bis fünfgeschossigen Baukörper nehmen den Höhensprung auf und folgen dem Verlauf des Urgeländes.“ Nicht nur die Kubaturen der Gebäude variieren, sondern auch die Gliederung und Farbigkeit der Fassaden. Jede Wohnung wurde entweder mit einer Loggia, einem Balkon oder einer Dachterrasse ausgestattet. Die Erdgeschosswohnungen erhielten einen Gartenanteil oder eine Terrasse. Zugleich fügt sich alles zu einem harmonischen Gesamtbild, das perfekt in das stadträumliche Umfeld passt.
Gärtnern erwünscht
Zwischen den Gebäuden verläuft ein barrierefreies Fußwegesystem, das zu den vorhandenen Wohnstraßen und einem Quartiersplatz mit unterschiedlichen Spiel- und Aufenthaltsangeboten führt. Darüber hinaus gibt es ausreichend Platz, um Fahrräder, Kinderwagen und Rollatoren abzustellen. Geschützte Wohnhöfe mit Urban-Gardening- Flächen laden zum gemeinsamen Gärtnern ein. Große Teile der vorhandenen Bäume konnten erhalten werden und ließen sich in die neu gestaltete Grünstruktur integrieren.
Wohntypen für eine diverse Stadtgesellschaft
Die abwechslungsreiche Architektur korrespondiert mit dem breiten Spektrum unterschiedlicher Wohntypen. Diese reichen von Wohneinheiten für 1- bis 4-Personenhaushalte (mit 45 bis 125 m2) über Maisonetten bis hin zu Clusterwohnungen. Sabrina Wirtz erläutert: „Die Maisonnetten wurden in zwei Gebäuden nach dem Haus-im- Haus-Prinzip mit eigenen Eingängen realisiert.“
Da alle Wohnungen barrierefrei und zum Teil rollstuhlgerecht sind, gehören ältere Menschen und Menschen mit Behinderung ausdrücklich zur Zielgruppe.
Ein besonderes Angebot im Quartier ist das „Wohnen im Cluster“. Dafür stehen drei Etagen mit je acht Apartments und einer Gemeinschaftsküche (jeweils 250 m2) zur Verfügung. Die drei Clusterwohnungen werden von zwei Trägern der Kinder- und Jugendhilfe genutzt. Im Erdgeschoss des Hauses befindet sich ein gemeinschaftlicher Wasch- und Trockenraum. Aufgrund seiner hohen Aufenthaltsqualität eignet er sich als idealer Treffpunkt, wo die Jugendlichen mit der übrigen Nachbarschaft ins Gespräch kommen können.
Zwei Gewerbeeinheiten entlang des Quartiersplatzes tragen ebenfalls zur Belebung des Stadtteils bei. Auch das GWW-Außendienstbüro hat dort seinen Sitz. Es dient als niedrigschwelliger Stützpunkt und kann Wünsche und Anliegen, z. B. zur Organisation von Festen, an das Quartiersmanagement im GWW-Haupthaus weiterleiten.
Nutzungsneutrale Räume
Ein zentrales Gestaltungsprinzip des Schönau-Quartiers ist die resiliente Grundstruktur. Bei Bedarf lassen sich z.B. die nutzungsneutralen Räume in den Dreispännern mit einem geringen Aufwand umbauen.
Das gilt auch für die Etagen, die zurzeit an Wohngruppen vermietet werden. „Die erforderlichen Stürze für zusätzliche Türöffnungen sind bereits vorhanden“, nennt Sabrina Wirtz als Beispiel. Marcus Gröschel ergänzt: „Das ermöglicht eine hohe Flexibilität bei der Belegung und kommt heutigen Lebensentwürfen entgegen, die sich oftmals wandeln können.“
Energieeffizienz und Nachhaltigkeit
Alle Gebäude entsprechen dem Energiestandard KfW-Effizienzhaus 55 und werden über ein Nahwärmenetz mit Biogas-Anteilen auf Basis eines Blockheizkraftwerks mit Energie versorgt. Sie wurden in Massivbauweise mit Kalksandstein als Baustoff errichtet. Die Wärmedämmverbundsysteme bestehen aus Mauerwerk und Mineralwolle bzw. EPS (expandiertes Polystyrol). Für positive ökologische Effekte sorgen die begrünten Dachflächen. Beispielsweise reduzieren sie die Umgebungstemperatur, verbessern die Luftqualität und speichern das Regenwasser. Zum Teil sind sie als Retentionsdächer ausgebildet, was aufgrund zunehmender Starkregenereignisse als wichtige Maßnahme zur Regenwasserrückhaltung und zum Schutz der Infrastruktur gilt.
Angesichts all dieser Vorteile ist es nicht verwunderlich, dass die Wohnungen im Schönau-Quartier ausgesprochen begehrt sind. Alle fertiggestellten Wohnungen wurden bereits vermietet.
Weiterführende Informationen/Quellen
www.gww-wiesbaden.de/neubauprojekte/quartiersentwicklung-schoenauquartier-68
www.gww-wiesbaden.de/schoenau-quartier-3-bauabschnitt
www.rosa.team
wirtschaft.hessen.de/wohnen-und-bauen/buendnis-fuer-wohnen
sensor-wiesbaden.de/wohnen-in-wiesbadenals-herausforderung
www.wiesbaden.de/medien/downloads/leben-in-wiesbaden/amt-12/StA-135_2025-Stadtanalyse-Wohnen-in-Wiesbaden-2024-Wohnraumnachfrage.pdf
Die Autorin
Michaela Allgeier
Michaela Allgeier arbeitet als freie Journalistin und ist auf den Themenbereich „Demografische Entwicklung“ spezialisiert. Ihr Interesse gilt vor allem den Themen Gesundheit, Pflege und Zivilgesellschaft. In diesem Zusammenhang befasst sie sich regelmäßig mit Fragen der Quartiersentwicklung sowie mit neuen Wohnformen. Sie hat einen Abschluss als Diplom-Heilpädagogin (Schwerpunkt: Gerontologie) und als Germanistin.








