Energie, Technik & Baustoffe
Rückbau der Zentralbibliothek der technischen Universität Dortmund: Kreislaufwirtschaft im Mauerwerksbau
Text: Peter Theissing | Foto (Header): © BRANDREVIER
Auf dem Weg zur Klimaneutralität ist die Ressourceneinsparung durch die Schaffung von Kreislaufstrukturen der größte Hebel. Für die mittelständischen Kalksandsteinhersteller des Markenverbunds KS-Original gilt es deshalb, nicht nur neue Produktionsprozesse, sondern auch Geschäftsmodelle und Netzwerke für die Gewinnung und den Handel von Sekundärrohstoffen und wiederverwendbaren Materialien zu entwickeln.
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 3.2025
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Für das mineralische KS-Abbruchmaterial werden bereits seit vielen Jahren verschiedene Recyclingpfade zur Weiterverwertung genutzt. Die rückgebauten Steine haben sich vor allem im Straßen-, Beton- und Deponiebau oder als Vegetationsbaustoffe, z. B. zur Dachbegrünung, bewährt. Doch dieses Recycling ist nur der erste Schritt von vielen hin zur Wiederverwertung von Bauprodukten und im besten Fall sogar deren Wiederverwendung.
Vor über zwei Jahren produzierte das in Bayern ansässige Unternehmen Zapf-Daigfuss erstmals den KS-Kreislaufstein mit einem Recyclinganteil von 12%. Das Material stammte aus einem rückgebauten Gebäude auf dem Gelände der zukünftigen Technischen Universität Nürnberg. Zur Herstellung neuer Kalksandsteine wurde es auf Sandkörnung gebrochen und konnte als Sekundärrohstoff für die Wiederverwertung im Fertigungsprozess eingesetzt werden.
Inzwischen lassen sich Kalksandsteine mit einem Recyclinganteil von bis zu 20% herstellen, wobei der Kreislaufstein dem herkömmlichen Kalksandstein weiterhin in allen relevanten Eigenschaften gleicht: Er setzt sich aus rein natürlichen Bestandteilen zusammen und ist frei von Schadstoffen. Zusätzlich bietet er die Möglichkeit, sortenrein abgebrochenes Material immer wieder in den Kreislauf zurückzuführen. Auch Schnittmaterial aus dem Werk und Baurestmassen von den Baustellen können in die energiearme Produktion zurückgeführt werden.
Mag die Zugabe von Recyclingmaterial zwar keine Veränderung an der herkömmlichen, umweltschonenden Produktion erfordern, so sind die vorgelagerten Prozesse jedoch umso komplexer. „Das beginnt schon bei der Beschaffung des Materials“, erinnert sich Anke Warnck, Chemieingenieurin beim KS-Hersteller Cirkel, der Teil des KS-Original Markenverbunds ist. Gemeinsam mit Prokurist Dr. Holger Müller ist sie für das erste Pilotprojekt verantwortlich, in dessen Rahmen das Unternehmen Erfahrungen für die Entwicklung einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft sammeln möchte. „Wir selbst haben gar keine Übersicht darüber, wo ein Gebäude beziehungsweise Kalksandsteinwände zurückgebaut werden. Deshalb sind interdisziplinäre Allianzen wie beispielsweise die Partnerschaft zwischen KS-Original und Concular umso wertvoller“, erklärt sie. Seit 2020 setzt sich das Berliner Unternehmen für die Entwicklung zirkulärer Materialströme auf Gebäudeebene ein und unterstützt seine Partner bei der Materialbeschaffung sowie der Etablierung von Kreislaufstrukturen. So auch im Fall der Cirkel GmbH & Co. KG, auf die das Team von Concular mit einem konkreten Pilotprojekt auf dem Campus der Technischen Universität Dortmund zukam. Die hier befindliche Zentralbibliothek aus dem Jahr 1976 war aus energetischer Sicht ineffizient und eine Ertüchtigung unwirtschaftlich. Bis 2029 soll sie daher durch einen Neubau ersetzt werden. Dieser soll nicht nur den energetischen Anforderungen, sondern auch dem zeitlichen Wandel einer Bibliothek Rechnung tragen, die zunehmend an Bedeutung als Lern- und Begegnungsort gewinnt, während die Regalmeter für Bücher kontinuierlich schrumpfen. Darüber hinaus lautete die Vorgabe des Bauherrn, dem Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW, die im Bestand befindlichen Baustoffe auf Wiederverwertbarkeit und Wiederverwendung zu prüfen.
Materialien sortenrein getrennt
Dies betraf u. a. auch die Kalksandsteinwände im Untergeschoss des Bestands, bestehend aus 2DF-Formaten mit einer Dicke von 11,5 bis 20 cm. Beim ersten Begehungstermin wurden sie zunächst auf ihre grundsätzliche, sortenreine Rückbaubarkeit überprüft: Mit welchen Gerätschaften sind die Wände für ein Abbruchunternehmen problemlos zugänglich? Müssen vorab Leitungen demontiert werden? Wie groß ist der händische Aufwand? Und wie rein ist das potenzielle Recyclingmaterial? Für Letzteres nahmen Anke Warnck und Dr. Holger Müller gemeinsam mit Harald Kurkowski von der auf mineralische Stoffkreisläufe spezialisierten Bimolab gGmbH repräsentative Stichproben der Steine – in Form von Bohrkernen sowie mit und ohne Mörtel. Die Proben wurden durch das akkreditierte Labor, die Wessling GmbH (ALS Limited), zunächst auf die grundsätzliche Eignung geprüft – insbesondere auf Schadstoff- sowie Asbestfreiheit, organische Rückstände und Umweltverträglichkeit. „Erfreulicherweise handelte es sich in Dortmund um ziemlich reine Kalksandsteinwände, sodass wir weitermachen konnten“, fährt Warnck fort. Im Sommer 2024 starteten schließlich Entkernung und Rückbau des Gebäudes mit einer weiteren Herausforderung: Bis heute wird i. d. R. lediglich nach mineralischem Bauschutt getrennt – Kalksandstein, Beton, Ziegel und Porenbeton landen demnach auf einem Haufen. Da beim Rückbau in Dortmund jedoch die Reinheit des Materials sichergestellt werden musste, galt es für das verantwortliche Abbruchunternehmen Stricker Holding GmbH & Co, KG, entsprechend sortenrein zu trennen. „Dieses Vorgehen ist bei vielen Recyclingunternehmen noch gar nicht etabliert, was den gesamten Prozess natürlich sehr zeit- und kostenintensiv macht“, ergänzt Warnck. Die aus dem Gebäude geholten Kalksandsteine wurden im Anschluss in Brechanlagen der Firma Stricker zerkleinert, sodass 190 t gebrochenes und sortiertes Material als Sekundärrohstoff gewonnen werden konnten.
Kalksandsteine bestehen neben Kalk und Wasser zu rund 90% aus Sand mit einer unterschiedlichen Korngrößenverteilung an Fein-, Mittel- und Grobsanden mit einem Größtkorn von 8,0 mm. „Um einen möglichst festen Baustoff zu erhalten, ist es wichtig, dass nicht nur eine Korngröße verwendet wird“, so Dr. Müller. „Wir kombinieren deshalb feine, mittlere und grobe Sande miteinander.“ Ziel des Pilotprojekts war es, eine optimale Rezeptur für neue Kalksandsteine zu entwickeln – der als Primärrohstoff eingesetzte Sand sollte dabei zu einem Anteil von 20 bis 40% durch das gewonnene Recyclingmaterial ersetzt werden. Die Korngröße ist nur einer von vielen Parametern, die vor Einsatz des sog. RC-Materials geprüft wurden. Grundlage hierfür war die neue DIN SPEC 19458, mitinitiiert vom Bundesverband Kalksandstein e. V. sowie dem Forschungsverein Kalk-Sand e. V. „Bei der Produktion gibt es eine ganze Menge an Störstoffen, die den Reaktionsprozess zwischen Kalk, Sand und Wasser negativ beeinflussen können. Das kann zum Beispiel zu Rissen in den Steinen, einer verminderten Druckfestigkeit und auch Rohdichte führen“, erklärt Dr. Holger Müller. „Die DIN SPEC legt deshalb unter anderem das Maximum an Störstoffen fest, die im RC-Material enthalten sein dürfen.“ Das Labor prüfte also Teilmengen des gewonnenen Materials auf verschiedenste Eigenschaften und Bestandteile: Feuchtigkeit, pH-Wert, Leitfähigkeit, Phenolindex, sichtbare Verunreinigungen, humusartige Komponenten, elementarer Schwefel, Schwermetalle, Sulfat, Chlorid, polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), extrahierbare organisch gebundene Halogene (EOX) und polychlorierte Biphenylen (PCB). „Nachdem wir die Bestätigung hatten, dass die Proben in Ordnung sind, starteten wir Ende 2024 mit den Produktionsversuchen“, so Anke Warnck.
Forschung für die optimale Rezeptur
Produziert wurden Kalksandsteine im XL-Format in verschiedenen Wandstärken in der Druckfestigkeitsklasse 20 und der Rohdichteklasse 2.0. Die Versuche sollten vor allem Erkenntnisse darüber bringen, wie sich die Erhöhung des Recyclinganteils auf die Druckfestigkeit und Rohdichte der Steine auswirkt. „In den Vorversuchen testeten wir dementsprechend Rezepturen mit einem RC-Anteil von 20, 25, 35 und 40%“, erläutert die Chemieingenieurin. Dabei zeigte sich, dass die Steindruckfestigkeit – eine der wesentlichsten Eigenschaften des massiven Baustoffs – mit zunehmender Menge an Recyclingmaterial abnahm. Aus den Versuchen ergab sich, dass RC-Kalksandsteine mit einem RC-Anteil von 20% Steine der Druckfestigkeitsklasse 20 ergaben und mit einem Anteil von 40% Steine der Festigkeitsklasse 16. Ebenso verhielt es sich bei der Rohdichte, die ab 25% RC-Anteil die Rohdichteklasse 1,8 erreichten. „Mit den Versuchsergebnissen lagen wir zwar immer noch deutlich über den Werten anderer Mauerwerksprodukte. Dennoch haben wir weitere verfahrenstechnische Anpassungen an den Pressen durchgeführt, die die bauphysikalischen Eigenschaften der Steine weiter erhöht haben“, fährt Dr. Holger Müller fort. Letzten Endes haben wir uns dann für eine Rezeptur mit einem Recyclinganteil von 25% entschieden und daraus KS-XL-Rastersteine in verschiedenen Wandstärken an unserem Standort in Wickede produziert. Optisch zeigten die KS- RC-Steine eine leichte Marmorierung auf, die aber keinen negativen Einfluss auf die Verwendung der Steine hat. Bereits im Juli dieses Jahres sollen sie auf einer Baustelle im Rahmen der Errichtung eines mehrgeschossigen Wohnungsbaus mit 20 Wohneinheiten verarbeitet werden. Das Forschungsprojekt ist damit allerdings noch nicht abgeschlossen. Denn das RC-Material wird auch noch auf seinen Recarbonatisierungsgrad untersucht. Dieser gibt Aufschluss über die Menge des in den Steinen gebundenen Kohlenstoffdioxids, das maßgeblichen Einfluss auf die CO₂-Bilanz der neuen KS-RC-Steine hat.
Kalksandstein als aktiver CO₂-Speicher
Kalksandstein ist in der Lage, während seiner Lebensdauer, die weit über 100 Jahre betragen kann, CO₂ zu binden. Das ergaben zwei Versuchsreihen der Universität Kassel, Fachgebiet Werkstoffe des Bauwesens und Bauchemie, unter der Leitung von Prof. Dr. Bernhard Middendorf. Durch die sog. Recarbonatisierung entzieht der Kalksandstein der Luft CO₂. Diese Aufnahmefähigkeit wird durch das Bindemittel Branntkalk bedingt, das aus natürlichem Kalk – genauer gesagt Calciumkarbonat – gewonnen wird. Während der ersten 50 Jahre seiner Lebenszeit kann das Mauerwerk rund 50 kg/ t Kalksandstein aufnehmen und dauerhaft binden. Auch im Fall eines Abbruchs tritt das CO₂ nicht aus dem Material aus. Zudem zeigte sich, dass sich die Festigkeiten der weißen Wandbildner mit steigender CO₂-Aufnahme zusätzlich erhöhen.
DIN SPEC 19458: Kalksandstein als Rohstoff für das Bauwesen – Aufbereitung, Verwendung und Anforderungen für rezyklierte Gesteinskörnungen
Mitinitiiert vom Bundesverband Kalksandstein e. V. und dem Forschungs verein Kalk- Sand e. V., setzt die neue DIN SPEC 19458 seit September 2024 wegweisende Standards für das Recycling von Kalksandstein aus dem Bauwerksabbruch. Neben der Festlegung von physikalischen und chemisch-mineralogischen Qualitätsanforderungen an recycelte Gesteinskörnungen, soll sie auch die Zusammenarbeit aller Beteiligten – von den Planenden über Recyclingunternehmen, Baustoffherstellern, Bauunternehmen und Betreiber von Deponien bis hin zu Behörden – fördern. Ziel ist die Steigerung der Recyclingquote von Kalksandsteinmaterial. Die DIN SPEC 19458 kann kostenlos heruntergeladen werden unter:
www.dinmedia.de

Der Autor
Peter Theissing
Peter Theissing ist seit 2015 Geschäftsführer der KS-Original GmbH, dem Markenverbund mittelständischer Kalksandstein-Hersteller. Überzeugt, dass zukunftsfähige Architektur eine nachhaltige und wertbeständige Bauweise bedingt, zählen zu seinen Tätigkeitsschwerpunkten der mehrgeschossige Wohnungsbau, die Nachhaltigkeitskommunikation und das Prozessmanagement zum Aufbau eines Kreislaufwirtschaftssystems.
www.ks-original.de