Energie, Technik & Baustoffe
Betonkernaktivierung: Heizen und Kühlen mit den Bauteilen des Gebäudes
Text: Alexandra Borke | Foto (Header): © BVF EV
Die Betonkernaktivierung (BKA), auch thermische Bauteilaktivierung (TBA) genannt, nutzt die Bauteile des Gebäudes – insbesondere Betondecken und -wände –, um Räume auf gleichmäßige und komfortable Weise zu heizen und zu kühlen. Durch wasserführende Rohrsysteme in den massiven Bauteilen zirkuliert temperiertes Wasser, das die thermische Masse des Betons aktiviert: Im Winter wird Wärme gespeichert und langsam an die Räume abgegeben, im Sommer überschüssige Wärme aufgenommen und abgeführt.
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 6.2025
QUARTIER abonnieren
Diese Ausgabe als Einzelheft bestellen
Der Bundesverband Flächenheizungen und Flächenkühlungen e. V. (BVF) hat mit der Richtlinie 15.7 „Kühlen und Heizen mit Deckensystemen – Thermische Bauteilaktivierung“ ein herstellerneutrales Regelwerk geschaffen, das als allgemein anerkannte Regel der Technik gilt. Es bietet Planern und Ausführenden eine verlässliche Grundlage für die fachgerechte Auslegung, Ausführung und Regelung solcher Systeme und trägt wesentlich dazu bei, die Qualität und Effizienz thermisch aktivierter Bauteile in Gebäuden sicherzustellen.
Das Funktionsprinzip der Betonkernaktivierung überzeugt durch Einfachheit und Wirksamkeit. Der Beton übernimmt dabei die Rolle eines thermischen Speichers mit großer Trägheit und hoher Speicherkapazität. Diese Eigenschaft sorgt für ein überaus gleichmäßiges Raumklima ohne Zugluft oder abrupte Temperaturschwankungen. Ein weiterer Vorteil ist die Doppelfunktion des Systems: Mit ein und derselben Installation kann sowohl geheizt als auch gekühlt werden, wodurch zusätzliche Heizkörper oder Klimageräte häufig entfallen. Dies führt nicht nur zu einer deutlichen Reduktion des Energieverbrauchs, sondern auch zu geringeren Investitions- und Betriebskosten.
Zwei Systemvarianten
In der Praxis werden zwei Systemvarianten unterschieden: die im Bauteilkern integrierte Betonkernaktivierung und die oberflächennahe thermische Bauteilaktivierung, auch TABS-System genannt. Bei der klassischen Betonkernaktivierung sind die Rohrleitungen tief im Betonbauteil eingebettet. Dadurch steht die gesamte Speichermasse des Betons zur Verfügung, was zu einer sehr stabilen, aber trägeren Temperaturregelung führt. Diese Systeme eignen sich ideal zur Deckung der Grundlast beim Heizen und Kühlen. Oberflächennahe Systeme reagieren aufgrund ihrer geringeren Einbautiefe schneller auf Temperaturschwankungen und erreichen höhere Heiz- und Kühlleistungen. Sie werden besonders in Gebäuden mit wechselnder Nutzung eingesetzt, etwa in Bürogebäuden, Schulen oder Pflegeeinrichtungen. Beide Varianten arbeiten mit geringen Temperaturdifferenzen zwischen Raumluft und Heiz- oder Kühlmedium, wodurch sie sich hervorragend mit regenerativen Energiequellen kombinieren lassen.
Die BVF-Richtlinie 15.7 legt besonderen Wert auf die Regelungstechnik. Im Heizbetrieb werden die Vorlauftemperaturen witterungsgeführt geregelt, im Kühlbetrieb hingegen an Außentemperatur und Raumfeuchte angepasst, um Kondensation sicher zu vermeiden. Eine integrierte Taupunktüberwachung sorgt dafür, dass niemals Kondensat bzw. Feuchtigkeit an den Oberflächen entstehen kann. Dieses Regelkonzept gewährleistet nicht nur Behaglichkeit und Kondensationsschutz, sondern auch eine optimale Nutzung der gespeicherten Energie. In Verbindung mit intelligenter Steuerungstechnik lässt sich die Wärmeerzeugung zeitlich vom Verbrauch entkoppeln, wodurch Lastspitzen reduziert und Energieverbräuche in günstigere Zeitfenster verlagert werden können.
Regelung und Energieeffizienz
Ein zentrales Merkmal der Betonkernaktivierung ist ihre Fähigkeit, Energie zeitversetzt zu speichern und wieder abzugeben. Dieses Verhalten lässt sich mit einer intelligenten und vorausschauenden Regelung optimal nutzen. Durch die gezielte Steuerung können Energieerzeugung und Energieabgabe zeitlich voneinander getrennt werden, sodass Lastspitzen geglättet und Energieverbräuche auf Zeiten niedrigerer Nachfrage verschoben werden.
Moderne Regelungssysteme arbeiten dabei mit Sensoren, Thermostaten und automatisierten Steuerungen, die das System selbstständig an die Umgebungsbedingungen anpassen. So kann beispielsweise die natürliche Nachtabkühlung eines Gebäudes genutzt werden, um das System zu regenerieren und tagsüber ein angenehmes Raumklima zu gewährleisten. Diese intelligente Nutzung der thermischen Speicherfähigkeit des Betons macht die Betonkernaktivierung zu einem ausgesprochen energieeffizienten und nachhaltigen System.
Auch in hydraulischer Hinsicht bietet die thermische Bauteilaktivierung hohe Flexibilität. Systeme können als Zwei- oder Vierleitervarianten ausgeführt werden. Während Zweileitersysteme die Umschaltung zwischen Heiz- und Kühlbetrieb zentral regeln, ermöglichen Vierleitersysteme gleichzeitiges Heizen und Kühlen in unterschiedlichen Gebäudebereichen. In beiden Fällen trägt ein sorgfältig durchgeführter hydraulischer Abgleich wesentlich zur Effizienz und Regelstabilität bei.
Industrielle Vorfertigung – Qualität und Wirtschaftlichkeit
Ein wichtiger Entwicklungsschritt ist die industrielle Vorfertigung von Betonkernaktivierungssystemen. Anstatt die Rohrsysteme auf der Baustelle zu verlegen, werden sie heute zunehmend bereits im Betonwerk in die Fertigteile integriert. Diese Vorgehensweise bringt gleich mehrere Vorteile mit sich. Die Arbeitskosten auf der Baustelle sinken deutlich, da weniger Personal und Zeit erforderlich sind. Gleichzeitig reduziert sich die Bauzeit, und die Qualitätssicherung wird vereinfacht, da alle Komponenten im Werk unter kontrollierten Bedingungen montiert und geprüft werden können.
Vorgefertigte Heizregister oder Kapillarrohrmatten, wie sie etwa in modernen Fertigteildecken eingesetzt werden, sind exakt auf die Geometrie der Bauteile abgestimmt. Sie werden in den automatisierten Produktionsprozess integriert und vor dem Transport einer Druckprüfung unterzogen. Auf der Baustelle müssen anschließend nur noch die einzelnen Heizkreise verbunden werden. Dieses Verfahren spart Zeit, senkt Kosten und reduziert die Abhängigkeit von mehreren Gewerken – ein entscheidender Vorteil in Zeiten von Fachkräftemangel und steigenden Baukosten.
Einsatzbereiche
Die Einsatzmöglichkeiten der Betonkernaktivierung sind vielfältig. Sie findet in öffentlichen Gebäuden wie Schulen, Museen, Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen ebenso Anwendung wie in Büro- und Verwaltungsbauten, Industrie- und Gewerbeobjekten oder im mehrgeschossigen Wohnungsbau. Überall dort, wo Komfort, Energieeffizienz und Langlebigkeit gefordert sind, bietet sie eine technisch ausgereifte und wirtschaftliche Lösung.
Für die Planung und Inbetriebnahme gelten klare Anforderungen. Die Auslegung erfolgt nach den einschlägigen Normen wie DIN EN 12831 zur Heizlast- und VDI 2078 zur Kühllastberechnung. Darüber hinaus fordert die BVF-Richtlinie eine sorgfältige Koordination der beteiligten Gewerke, insbesondere zwischen Heizung, Lüftung, Elektro und Statik. Prüfungen wie Spülung, Druck- und
Funktionsprüfung sind vor dem Betonverguss durchzuführen, um eine einwandfreie Inbetriebnahme sicherzustellen.
Insgesamt bietet die Betonkernaktivierung nach BVF-Richtlinie 15.7 ein in sich stimmiges, nachhaltiges und wirtschaftliches System, das Energieeffizienz, Komfort und architektonische Freiheit vereint. Sie nutzt die thermische Masse des Gebäudes auf intelligente Weise, lässt sich optimal mit Wärmepumpen, Geothermie oder Solarthermie kombinieren und ermöglicht durch ihre Trägheit ein stabiles Raumklima bei minimalem Energieeinsatz. In Kombination mit der industriellen Vorfertigung stellt sie eine zukunftsweisende Technologie für nachhaltiges und verantwortungsvolles Bauen dar – im Einklang mit den energetischen und ökologischen Anforderungen unserer Zeit.
Projektbeispiel: BarbaraPark
Bei dem Projekt handelt es sich um eine neu errichtete Seniorenresidenz und drei Stadtvillen, die ca. 200 Bewohnern ein neues Zuhause bieten können. Das Großprojekt besteht aus einem Wohnheim mit ganzheitlicher Betreuung für Senioren (80 Zimmer) und 59 barrierefreien Wohnungen in den Stadtvillen.
Das Projekt ist insofern ein Leuchtturmprojekt in der Region, als dass es verschiedene Handlungsfelder im Sinne einer klimagerechten Quartiersentwicklung berücksichtigt und miteinander verzahnt. Es wurde ein kaltes Nahwärmenetz geschaffen, und die vier neu errichteten Gebäude werden über 20 Erdwärmesonden (jeweils 99 m tief) mit Wärme und Kälte versorgt. Für die Wärmeerzeugung steht eine Wärmepumpen-Kaskade zur Verfügung sowie ein BHKW, welches je nach Marktsituation zugeschaltet werden kann; für Spitzenlasten als Ergänzung ein Gasbrennwertkessel. Der Strom für die fünf kaskadierten 22 kW Sole/Wasser-Wärmepumpen und Netzpumpen wird anteilig aus der PV-Anlage und dem BHKW gedeckt.
Besonders energieeffizient ist die Heizungsanlage, weil mit Geothermie nicht nur eine nachhaltige Energiequelle genutzt wird, sondern durch die Flächenheizung auf Basis von Kapillarrohren als Wärmeübergabesystem auch ein äußerst effizientes Heiz- und Kühlsystem zum Einsatz kommt. Dieses zeichnet sich beim Heizen durch geringe Heizungsvorlauftemperaturen (< 35 °C) und eine hohe thermische Leistung aus, lässt so die Wärmepumpenanlage besonders wirtschaftlich arbeiten und verhilft dadurch zu einem ausgezeichnet hohen Wirkungsgrad. Das (passive) Kühlen der Gebäude im Sommer erfolgt zu 100 % mit Geothermie und ist daher CO2-neutral.
Die Anlageneffizienz steigt außerdem dadurch, dass die Wärme im Sommer dank der in den Decken liegenden Kapillarrohrmatten zur Regeneration der Geothermieanlage genutzt wird.
Das eingesetzte Wärmeübergabe-System FILIblue der Firma GeoClima-Design besteht aus raumspezifisch geplanten und vorgefertigten Kapillarrohrregistern, die mit zwei Handgriffen zur thermischen Bauteilaktivierung bereits im Betonwerk in die Filigrandecken integriert werden. Die Anordnung erfolgt besonders oberflächennah, was zu schnellen Reaktionszeiten des Systems führt. Durch diese industrielle Vorproduktion kann ein Drittel der Bauzeit auf der Baustelle eingespart werden.
Fazit
Die Betonkernaktivierung vereint Energieeffizienz, Wirtschaftlichkeit und Komfort in einem System. Sie nutzt die vorhandene Bausubstanz auf intelligente Weise, um Wärme und Kälte zu speichern und bereitzustellen. In Kombination mit regenerativen Energiequellen entsteht so eine moderne Gebäudetechnik, die nicht nur den Energieverbrauch senkt, sondern auch das Wohlbefinden der Nutzer steigert. Durch die industrielle Vorfertigung wird das System zudem einfacher, schneller und kostengünstiger in der Umsetzung. Damit stellt die Betonkernaktivierung eine zukunftsweisende Technologie für nachhaltiges und ressourcenschonendes Bauen dar – ganz im Sinne einer modernen und verantwortungsvollen Architektur.
Die Autorin
Alexandra Borke studierte an der Gesamthochschule Essen Bauingenieurwesen und war danach als Marketingleiterin bei der Deutschen Montantechnologie im Bereich Mining tätig. Lange Jahre war sie als technische Vertriebsingenieurin in der Automobil- sowie Haustechnikbranche aktiv. Im Jahre 2019 übernahm sie beim Bundesverband Flächenheizung und Flächenkühlung (BVF) ihre Aufgabe als Technische Referentin. Seither betreut Alexandra Borke den Arbeitskreis Technik sowie die Fachgruppe Kühl- und Heizdeckensysteme beim BVF e. V.









