Bauen 4.0 mit BIM: Modell für den Lebenszyklus

Bauen 4.0 mit BIM: Modell für den Lebenszyklus

Energie, Technik & Baustoffe

Bauen 4.0 mit BIM: Modell für den Lebenszyklus

Text: Timo Péli | Foto (Header): © BAUMSCHLAGER EBERLE ARCHITEKTEN, BERLIN

Planungsqualität, Kostensicherheit und Effizienz und davon jeweils mehr: Die Erwartungen, die an Building Information Modeling (BIM) gestellt werden, sind hoch. Tatsächlich aber wird über BIM in Deutschland noch wesentlich häufiger gesprochen als es in der Praxis zur Anwendung kommt. Die Berliner Wohnungsbaugesellschaft HOWOGE hat BIM bereits bei mehreren Projekten im Einsatz. Ein Hochhaus an der Frankfurter Allee in Berlin mit fast 400 Wohnungen steht nun kurz vor der Baufertigstellung – der „digitale Zwilling“ ist schon lange im Einsatz.

Auszug aus:

BIM ist keine Software, sondern eine digitale Planungsmethode, die ein 3D-Gebäudemodell mit einer Datenbank verknüpft. Der Vorteil: Alle Beteiligten greifen in der Planungsphase auf dasselbe Gebäudemodell zu, können ihre Planung besser koordinieren und durch eine  Software auf Kollisionen überprüfen lassen. Auch der Bauherr kann das „fertige“ Bauprojekt schon in der Planungsphase virtuell begehen und mit seinen Projektzielen abgleichen. Aus dem Modell lassen sich zudem Massen ziehen, die für Kalkulation und Ausschreibung genutzt werden können. Auf der Baustelle kann das 3D-Modell mit dem realen Bau abgeglichen werden. Doch auch über den eigentlichen Planungs- und Bauprozess hinaus ist die Methode ein Gewinn, denn ein weiterer Wert von BIM zeigt sich für Bestandshalter in der Bewirtschaftungsphase.

Wohnhochhaus

An der Frankfurter Allee 218 im Berliner Bezirk Lichtenberg errichtet die HOWOGE auf einem Grundstück von nur 4.600 m² ein Wohnhochhaus mit 394 Wohnungen und rund 2.800 m² Gewerbefläche. Mit einer Höhe von 64 m und 50 % geförderten Wohneinheiten ist das Vorhaben das mit Abstand höchste neu gebaute HOWOGE-Wohnhaus und eines der höchsten im kommunalen Wohnungsbau insgesamt. Das Gebäude wird im KfW 55-Standard errichtet, der Turm nutzt Fernwärme und dezentrale Wohnungsstationen für die Warmwassererzeugung, ein Mieterstrommodell mit hauseigener PV-Anlage und Windkraft ist in Vorbereitung.

Städtebaulich herausfordernd sind die Lage, der Zuschnitt und die Topografie des Grundstücks, das an der viel befahrenen Frankfurter Allee direkt am S-Bahnhof Lichtenberg gelegen von drei Seiten durch Straßen- und Bahnverkehr belastet ist. Darauf reagiert das Gebäude mit hoch schallgedämmten Fenstern, Loggien mit Prallscheiben, einer maschinellen Be- und Entlüftung mit Wärmerückgewinnung und im Außenbereich mit einer Schallschutzwand hinter der vielfach nutzbare Frei- und Spielflächen entstehen. Städtebaulich reiht sich das Projekt in die Tradition der bestehenden Hochpunkte entlang der geschichtsträchtigen Hauptverkehrsachse aus Osten bis zum Alexanderplatz ein und ist bereits das zweite Hochhaus, dass die HOWOGE an der Frankfurter Allee realisiert.

Der dreigeschossige Gewerbesockel vermittelt mit seinem zweigeschossigen Eingangsbereich zwischen den verschiedenen Geländeniveaus und belebt die unteren Etagen auch in Zusammenspiel mit der Umgebung. Auf dem Dach entsteht eine Dachterrasse mit Sportbereich. Mit diesem Konzept hat die HOWOGE wesentliche Parameter des Berliner Hochhausleitbildes von 2020 bereits vorweggenommen.

Warum BIM?

Für den Einsatz der BIM-Methode ist die Frankfurter Allee 218 als Hochhaus besonders gut geeignet: ein Solitär, wenige, vielfach wiederholte Regelgeschosse und viel Technik, die in kompakten Grundrissen und wirtschaftlichen Geschosshöhen untergebracht werden muss. Da hilft der digitale Zwilling schon in frühen Planungsphasen, alle Gewerke untereinander zu koordinieren, Platz für Technikeinbauten zu minimieren und somit die Gebäudeeffizienz zu optimieren. Denn Flächeneffizienz ist besonders im Hochhausbau  in relevanter Schlüssel zur Wirtschaftlichkeit.

Das ist anfangs zwar aufwendiger, macht sich aber im weiteren Projektverlauf bezahlt, wenn der digitale Zwilling am Ende real gebaut werden soll. In einer sechsmonatigen „Partneringphase“ zwischen Bauherr und Generalübernehmer zu Beginn des Projekts konnte frühzeitig Flächen- und Kostensicherheit für beide Seiten erreicht werden und die Baunachträge (KG 300–400) im weiteren Projektverlauf auf deutlich unter 1 % begrenzt werden.

Potenzial liegt neben der Optimierung von Versorgungsschächten auch in der Gestaltung der Technikräume, die für Wartung und  Revision optimiert werden können: Technikbauteile z. B. erhalten im Modell bereits die erforderlichen Bewegungsflächen für die spätere Wartung. Diese werden bei der Kollisionsprüfung auf Überschneidung mit anderen Bauteilen überprüft. Gleiches lässt sich auch für optimierte Möblierungsplanung und Grundrissgestaltung einsetzen.

Last but not least, kann auf der Baustelle über einen Abgleich des 3D-Modells mit der Realität – dies erfolgt über das Smartphone – eine erste Qualitätskontrolle effizient erfolgen.

Die gemeinsame Logik einer transparenten Planung führt also auch zu einer effizienteren, kostengünstigeren und qualitätsgesicherten Bauphase. Wird dies auch bei den Bauunternehmen konsequent weitergedacht, ist BIM mit Blick auf Effizienz, Abfall- und  Verschnittreduzierung sowie den Fachkräftemangel in der Baubranche ein großer Vorteil.

In der Projektkonzeption wurde die HOWOGE von ihrem Projektsteuerer Drees & Sommer unterstützt und beraten. Als Generalplaner zeichnete sich Baumschlag Eberle Architekten verantwortlich. Bei der BIM-Anwendung und Umsetzung konnte auf die Erfahrungen der pde integrale Planung GmbH, die sämtliche BIM Projektanforderungen auf der Baustelle koordinierte, und des Generalübernehmers PORR Deutschland, der schon seit Jahren mit BIM arbeitet, aufgebaut werden.

Dynamische Auswertung der Parameter in der Integrationsplattform
ABBILDUNG: PDE INTEGRALE PLANUNG GMBH

BIM-Strategie und Umsetzung

Um die Mehrwerte für die Planung, die Bauphase und langfristig auch für die Bewirtschaftung zu generieren, galt es zunächst, eine geeignete BIM-Strategie für das Projekt zu entwickeln. Entschieden hat sich die HOWOGE für Open-BIM, das es jedem Partner u. a. ermöglicht, seine eigene BIM-Software zu nutzen. So können Planer aus verschiedenen Fachrichtungen wie Außenraumplanung, Architektur, Tragwerksplanung und Gebäudetechnik mit unterschiedlichen Software-systemen direkt zusammenarbeiten. Die HOWOGE als Bauherr hat über ein Viewer-Programm stets Zugriff auf das aktuelle Modell. In diesem Zusammenhang wurde 2020 mit dem Partner der HOWOGE, der ThinkProject/Conclude eine eigene webbasierte BIM-Plattform entwickelt und installiert, die es allen Projektbeteiligten ermöglicht, ohne technische Hürden direkt und gleichzeitig auf das BIM-Modell zuzugreifen.

Building Information Modeling bedeutet digitale Projektarbeit mit vielen Beteiligten. Das birgt Herausforderungen, insbesondere für Partner, die erstmalig mit dieser Methode arbeiten. Neben der erforderlichen Einarbeitung in die neue Planungsmethode galt es zu entscheiden, welche Informationen im Modell selbst und welche nur in der Datenbank bzw. dem Raumbuch enthalten sein sollten. Dazu  wurden sog. Anwendungsfälle für die einzelnen Planungsphasen vorgegeben, die die Verfügbarkeit der Daten sowie deren  Informationsgehalt definieren. Dies erfolgte frühzeitig über gewerkespezifische Anforderungen zur Detaillierung und dem Informationsgrad der Bauelemente – der sog. LOD (Level of Detail) und LOI (Level of Information).

Neben dem Austausch der Arbeitsstände und Koordinationsmodelle wurden in der Planungsphase alle wichtigen BIM-Meilensteine auf  der Plattform bereitgestellt. Vergleichbar mit den klassischen Baustellenbegehungen konnten diese Daten bereits in der Planungsphase im Rahmen der Qualitätssicherung auf Kollisionen zwischen den Gewerken geprüft und daraus resultierende Probleme und Aufgaben über das BIM-Collaboration Format (BCF) geteilt und nachverfolgt werden. Somit hat auch der Bauherr fortlaufend einen Überblick über die Koordinierung und Qualität der Planung.

Ein planungsbegleitendes Raumbuch dient zur Erfassung sämtlicher raumbezogener und betriebsrelevanter Informationen. Das stellt neben den frühzeitigen vermietungsspezifischen Informationen zu den Wohnungen, wie Größe, Ausstattung und Förderstatus, auch eine strukturierte Übergabe aller Dokumente wie Zertifikate oder Gebrauchsanleitungen sicher. Alle im Modell und/oder Raumbuch hinterlegten Informationen (Attribute) wurden vorab mit der zuständigen Abteilung der HOWOGE, die das Gebäude nach Fertigstellung bewirtschaften wird, abgestimmt.

Mit dem Start der Bauausführung durch die PORR zeigte sich der Nutzen der vorher strukturierten Daten deutlich, da beim Übergang zwischen den Leistungsphasen in herkömmlicher Arbeitsweise oft ein großer Wissensverlust auftritt. Besonders für die geforderte As-Built-Dokumentation war es wichtig, hier direkt aufbauen zu können und Daten nicht neu sortieren zu müssen.

Zur direkten Nutzung auf der Baustelle wurden Techniken wie Augmented Reality in das System implementiert. Augmented Reality ermöglicht eine virtuelle Begehung der Baustelle. Mittels Visualisierungen auf dem Smartphone lassen sich schon im Rohbau die nächsten Ausführungsschritte oder der geplante Ausbau über eine App darstellen und mit der Realität überlagern. Es kann somit digital in die Zukunft gesehen werden. Mit dem baubegleitenden Abgleich zwischen 3D-Modell mit dem realen Bau lässt sich beispielsweise die richtige Position von Durchbrüchen, Aussparungen oder Versprüngen frühzeitig überprüfen und lassen sich etwaige Abweichung schneller feststellen.

BIM für den gesamten Lebenszyklus

Für Wohnungsunternehmen wie die städtische HOWOGE, die ihre Immobilien im eigenen Bestand halten, gilt es, die entscheidenden Vorteile von BIM vollumfänglich zu nutzen, damit der Einsatz wirtschaftlich umsetzbar ist. Denn: Der Einsatz von BIM kostet, zumindest derzeit noch, zusätzliches Geld. Viele Projektpartner kalkulieren noch einen Mehraufwand in Planung, Ausführung und Dokumentation ein und es wird vermutlich noch eine Zeit vergehen, bevor sich daran signifikant etwas ändert. Was für Planer, die bereits mit BIM arbeiten, zumeist unstrittig ist, ist für viele Baufirmen oft noch mit einem Fragezeichen versehen. Vielfach scheitert auch das Einbeziehen von kleineren Subunternehmern in die BIM-Bauabwicklung am noch mangelnden Wissen und der technischen Ausrüstung. Ein langfristiges Durchsetzen von BIM sehen jedoch die meisten.

Für Bestandshalter wie die HOWOGE ergibt die Investition in BIM jedoch nur Sinn, wenn die Daten aus der Planungs- und Bauphase auch in der anschließenden Bewirtschaftungsphase nutzbar sind. Denn diese dauert um ein Vielfaches länger: Ein Bauvorhaben mag in vier Jahren konzipiert, geplant und gebaut werden, betrieben wird es 100 Jahre.

Und dabei ergibt sich durch den Einsatz eines As-Built-Modells mit verknüpfter Datenbank in der Bewirtschaftung des Gebäudes ein deutlicher Mehrwert: Ist beispielsweise ein Filter der Lüftungsanlage auszutauschen, muss der Installateur nicht erst vor Ort herausfinden, um welchen Filter es sich handelt. Vielmehr klickt er im Büro das entsprechende Bauteil im „digitalen Zwilling“ an und erhält sofort die gewünschte Information. Möglich ist sogar noch mehr: Mit dem Bauteil lässt sich zusätzlich der nächste Filterwechsel verknüpfen, sodass der Monteur mit einem Mausklick den nächsten Termin, z. B. in zwölf Monaten, planen und dokumentieren kann.

Die größte Herausforderung stellt dabei das Verknüpfen der neuen Arbeitsinstrumente mit den bestehenden Softwarelösungen und Arbeitsprozessen dar. Auch hier gilt: Wenn daraus erheblicher Mehraufwand entsteht oder erwartet wird, ist die Akzeptanz gering. Die HOWOGE arbeitet daher an Lösungen, sinnvolle technische und prozessuale Schnittstellen zu entwickeln und in Pilotprojekten wie dem Wohnhochhaus an der Frankfurter Allee auszuprobieren. Parallel werden Mitarbeiter geschult, und es wird die Neugierde geweckt. Eine Nutzung der BIM-Daten wird an diesem Projekt zunächst mit einem webbasierten Raumbuch mit verknüpfter Datenbank getestet.

Spannend bleibt die Frage, wie Änderungen und Aktualisierungen während des gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes, z. B. beim Austausch von Bauteilen, auch durch Mitarbeiter aus der Bewirtschaftung vorgenommen und aus der Datenbank zurück in das Modell gespielt werden können. Denn das Modell ist immer nur so gut wie es aktuell ist. Wie lassen sich Aufträge direkt aus der BIM-Datenbank auslösen und mit der SAP-basierten Buchhaltung weiterverarbeiten? Wie erhalten Firmen gefahrlos Zugriff auf Modell und Datenbank? Wie lassen sich Vermietungsstände tagesaktuell im Modell visualisieren und ggf. online am Markt platzieren?

Nutzung der BIM-Modelle auf der Baustelle in der Augmented Reality App „GAMMA AR“
FOTO: PORR GMBH & CO. KGAA

Fazit und Ausblick

Der „digitale Zwilling“ lässt sich also, neben den Instandhaltungs- und Wartungsprozessen, auch für Vermietungen oder Visualisierungen nutzen, ebenso können Termine, Kosten und Materialien hinterlegt werden. Letzteres ist auch für das Recycling eines Gebäudes wichtig, wenn das Ende seines Lebenszyklus erreicht ist. Dies ist für die HOWOGE der nächste Schritt: Mit der BIM-Methode sollen perspektivisch ökologische und ökonomische Konzepte so strukturiert, geplant und umgesetzt werden, dass dabei auch Rückbau, Wiederverwertung und/oder durch effizientere Wartung und Instandhaltung der langfristige Erhalt noch nachhaltiger zu planen und der Bestand zu betreiben ist.

Die Methode und die Arbeit im Team haben viele neue Erkenntnisse gebracht und Möglichkeiten aufgezeigt. Es gilt, die richtigen auszuwählen und effizient einzusetzen. Mit zunehmender Akzeptanz und Anwendung, auch durch die Baufirmen, können hoffentlich Synergien identifiziert und Kosten gesenkt werden. Denn aktuell zahlt den BIM-Einsatz immer der Bauherr.

Die HOWOGE als kommunale Wohnungsbaugesellschaft kann dies nur abbilden, wenn einerseits die Investitionskosten bei der Projektumsetzung mit BIM sinken und andererseits auch für die anschließende Bewirtschaftung ein Mehrwert aus effizienteren Prozessen und transparenteren Informationen erzielt wird. Und dabei gilt es auch immer, den Altbestand mitzudenken.

Die Umsetzung im Projekt Frankfurter Allee 218 hat bereits gezeigt: BIM kann nicht nur helfen, sondern auch Spaß machen und die Vorfreude auf das fertige Gebäude noch steigern. Das Ergebnis spricht für sich.

Der Autor


Timo Péli
Timo Péli ist Projektleiter im Bereich Neubau der HOWOGE Wohnungsbaugesellschaft mbH.

www.howoge.de

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