Baugruppen-Projekt in Tübingen: Haus am Park

Baugruppen-Projekt in Tübingen: Haus am Park

Realisierte Objekte

Baugruppen-Projekt in Tübingen: Haus am Park

Text: YONDER & SOMAA | Foto (Header): © BRIGIDA GONZÁLEZ

Das Wohnprojekt bietet zwölf Wohnungen für Menschen unterschiedlicher Lebens- und Einkommenssituationen und kultureller Hintergründe. Die Anlage wird durch einen vorgelagerten Nachbarschaftstreff ergänzt. Die architektonische Grundstruktur ermöglicht wandlungsfähige Wohngrundrisse, vom kleinteiligen Wohnen für Geflüchtete bis zum offenen Loft für den Selbstnutzer. Die formale Strenge, die Konzentration auf ausgewählte räumliche Elemente und wenige Materialien schaffen innerhalb des engen Kostenrahmens Qualitäten für alle Nutzer gleichermaßen.

Auszug aus:

In bester Lage in Tübingen am Neckar erprobt das Wohnprojekt der privaten Baugruppe Wolle+ neue Strategien und Wohnkonzepte zur Integration von Menschen unterschiedlicher Lebens- und Einkommenssituationen, sozialer Milieus und kultureller Hintergründe. Inhaltlich maßgeblich mitentwickelt durch den Wohnsoziologen Dr. Gerd Kuhn, wird Wolle+ als sozialorientiertes Wohnprojekt unmittelbar auf den Wohnbedarf und auf die sozialkommunikativen Anforderungen von geflüchteten Menschen reagieren, perspektivisch jedoch das adaptive Konzept Wohnen für alle verfolgen.

Die Gesamtanlage besteht aus dem Haus am Park und dem vorgelagerten Brückenhaus. Das Haus am Park bildet mit zwölf unterschiedlichen Wohneinheiten den Wohnschwerpunkt, während das Brückenhaus mit einem offenen Nachbarschaftszentrum im Erdgeschoss auch die Anwohner miteinbezieht und damit einen Mehrwert fürs Quartier schafft, ergänzt durch eine Cluster-Wohngemeinschaft für Alleinerziehende im Obergeschoss. Die Vielfalt unterschiedlicher Nutzer und Akteure bildet sich auch im Planerteam ab: Yonder und SOMAA entwickeln gemeinsam das Haus am Park, für das Brückenhaus zeichnet Simon Maier aus Tübingen verantwortlich.

Lageplan
ABBILDUNG: YONDER, SOMAA

Wandlungsfähige Grundrisse
ABBILDUNG: YONDER, SOMAA

Das Haus am Park zielt von Beginn an auf eine maximale Durchmischung unterschiedlicher Wohntypen: Selbstnutzerwohnungen in der Penthouse-Etage, Wohnraum für Geflüchtete in den anderen Etagen sowie Microwohneinheiten für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge im Erdgeschoss, die von der kit jugendhilfe betreut werden, das ganze organisiert als Baugruppe unterschiedlicher Privatpersonen.

Planmäßig gehen manche der Wohnungen, die zunächst von Geflüchteten genutzt werden, nach zehn Jahren in die Eigennutzung durch die Eigentümer über, andere bleiben darüber hinaus weitere fünf bis zehn Jahren in der Sozialbindung.

Im Gegenzug gewährte die Stadt Tübingen beim Verkauf des städtischen Grundstücks Preise unterhalb der erhitzten Marktlage. Die ambitionierte Sozialagenda des Projekts insgesamt war dabei entscheidend für den Zuschlag an die Baugruppe Wolle+ im Vergabeverfahren, das wie üblich von der Stadt als Konzeptverfahren abgehalten wurde.

In der robusten architektonischen Grundstruktur sind die tragenden Elemente auf ein Minimum reduziert. Sie ermöglicht somit wandlungsfähigen Wohnungsgrundrissen und Wohnnutzungen eine Anpassung an sich verändernde Wohnbedarfe und schafft damit langfristige Nachhaltigkeit. Eine Wohnung für Geflüchtete mit bis zu sechs Zimmern kann zu einem offenen durchgesteckten Loft werden, die Microappartements lassen sich zu einer Studenten-WG zusammenschalten.

Treppenhaus mit Blick in den Park
FOTO: BRIGIDA GONZÁLEZ

Ansicht Süd vom grünen Innenhof mit weit ausladenden Balkonen
FOTO: BRIGIDA GONZÁLEZ

Nordfassade mit Eingangsbereich
FOTO: BRIGIDA GONZÁLEZ

Die Außenwand aus kerngedämmten Beton-Halbfertigteilen ist das primäre tragende Bauteil. Ihre elementare Stellung in der Tektonik des Gebäudes drückt sich durch das regelmäßige Vor- und Zurückspringen der gleichförmigen Betonformate und deren geschossweisen Versatz in der Fassade aus, analog einem Mauerwerksverband. Durch die formale Betonung der Gliederung ist sie gleichermaßen Konstruktion und Bekleidung. Rhythmisch gesetzte Fenster fügen sich in das Rastermaß ein.

Die formale Strenge, die Konzentration auf ausgewählte räumliche Elemente und die Reduktion auf wenige unterschiedliche Materialien schaffen auch innerhalb des engen Kostenrahmens eine räumliche Qualität und Wertigkeit, von der alle Nutzer gleichermaßen profitieren. Der überhohe, eingezogene Eingangsbereich vermittelt schon beim Ankommen eine räumliche Großzügigkeit. Roh belassener Beton, grünliche Terrazzofliesen und das weiß lackierte Geländer setzen im Treppenhaus den atmosphärischen Rahmen zwischen leichter Eleganz und robuster Härte.

Balkone mit halbtransparenter Brüstung
FOTO: BRIGIDA GONZÁLEZ

Wohnraum für Geflüchtete
FOTO: BRIGIDA GONZÁLEZ

In den Wohnungen sorgen große, bodentiefe Öffnungen in allen Räumen für eine helle, freundliche Stimmung und holen den üppigen alten Baumbestand im Norden ins Innere. Tiefe Balkone orientieren sich zum Neckar und erweitern die Wohnungen jeweils um einen vollwertigen Freiraum. Das leichte, gewellte, weiße Kleid der Brüstungen schafft durch die feine Lochung des Blechs Privatsphäre und Ausblick gleichermaßen.

Lediglich die Dachterrassen bleiben den Bewohnern der obersten Etage vorbehalten. Ansonsten weicht die übliche Hierarchisierung von der unattraktiven Straßenwohnung bis zum Luxuspenthouse einem anspruchsvollen, egalitären Gestaltungsprinzip, um dem Wohnen für Alle einen angemessenen architektonischen Rahmen zu geben, der ein echtes Miteinander der unterschiedlichsten Bewohnergruppen entstehen lässt.

Projektdetails


Bauherr
Private Bauherrengemeinschaft Wolle+
Projektleitung
Tobias Bochmann, Katja Knaus
Nutzung
10 Wohnungen und 4 Microappartements
Mitarbeiter
Benedikt Bosch, Florian Hagmüller, Felix Krummlauf, Tina Pal, Eva Ruof, Lea Single, Hadi A. Tandawardaja
Planungsbeginn
Juli 2016
Projektentwicklung
Dr. Gerd Kuhn, Tübingen
www.urbi-et.de
Baubeginn
Mai 2018
Ausschreibung & Bauleitung
Bernd Wezel, Tübingen
Fertigstellung
Januar 2020
Fachplanung TGA
Ingenieurbüro für nachhaltige Gebäude und Energietechnik
Georg Armbrust, Tübingen
www.ingenieurbuero-tuebingen.de
Größe
Grundstück 724 m²
Bruttogrundfläche 1.726 m²
Geschossfläche 1.130 m²
Wohnfläche 1.001 m²
Bruttorauminhalt 4.767 m³
Tragwerksplanung
Ströbel Bilger Mildner Ingenieure, Tübingen
www.ib-stroebel.de
Architektur
Yonder – Architektur und Design
Katja Knaus und Benedikt Bosch
Architekten BDA PartG mbB, Stuttgart
www.studioyonder.de
und
SOMAA – Gesellschaft für
Architektur & Design
Tobias Bochmann und
Hadi Tandawardaja, Stuttgart
www.somaa.de

Die Autoren


YONDER
Yonder – Architektur und Design wurde von Benedikt Bosch und Katja Knaus 2011 in Stuttgart gegründet. Durch die Erforschung von Raum, Material, Konstruktion und deren  Zusammenspiel schafft Yonder ungewöhnliche und innovative Lebensräume, die nicht nur unsere Wahrnehmung von Raum, sondern auch das soziale Miteinander nachhaltig prägen.

www.studioyonder.de

SOMAA
SOMAA ist ein Büro für Architektur und Innenarchitektur. Es wurde 2007 von Hadi A. Tandawardaja und Tobias Bochmann in Stuttgart gegründet und bis zum Ausscheiden von Tobias Bochmann Ende 2020 von den beiden gemeinsam geführt. Die Hochbauten und Innenräume von SOMAA verbinden Ratio mit Poesie, erzeugen einen klaren Mehrwert und schaffen eine unverwechselbare Identität. Tobias Bochmann (projektverantwortlich für das Haus am Park) führt sein neues Büro unter eigenem Namen seit 2021 ebenfalls in Stuttgart.

www.somaa.de

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