Standsicherheit von Reihenhäusern: Fallstricke bei der Tragwerksplanung

Standsicherheit von Reihenhäusern: Fallstricke bei der Tragwerksplanung

Recht & Steuern

Standsicherheit von Reihenhäusern: Fallstricke bei der Tragwerksplanung

Text: Stefan Reichert | Foto (Header): © STUDIO_EAST – stock.adobe.com

In Freiburg führte der Bau einer Reihenhausanlage und die Frage der Standsicherheit von insgesamt 21 Reihenendhäusern zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung. Die spannende Frage lautete, ob der beauftragte Statiker es fehlerhaft unterließ, die für die Standsicherheit der Reihen(end)häuser jeweils erforderliche horizontale Aussteifung durch tragwerksplanerische Vorgaben zu gewährleisten.

Auszug aus:

Nach § 49 Abs. 2 HOAI wird das Tragwerk als „das statische Gesamtsystem der miteinander verbundenen, lastabtragenden Konstruktionen, die für Standsicherheit von Gebäuden, Ingenieurbauwerken und Traggerüsten bei Ingenieurbauwerken maßgeblich sind“ bezeichnet. Dies erfordert eine Fachplanung, die häufig zu interessanten Urteilen führt, so wie auch das Folgende.

Der Sachverhalt

Die Auftraggeberin beabsichtigte den Bau einer Reihenhausanlage mit insgesamt 17 Reihenmittelhäusern und 21 Reihenendhäusern in Freiburg. Für deren Errichtung bzw. baurechtliche Genehmigung beauftragte sie u. a. einen Ingenieur mit der hierfür erforderlichen Tragwerksplanung. Die Bauträgerverträge, mit welchen die Auftraggeberin die neu zu errichtenden Reihenmittel- und Endhäuser verkaufte, sahen jeweils die grundbuchrechtliche Eintragung von Vereinigungsbaulasten vor, die durch die Eigentümer auch unstreitig übernommen worden sind. Nach dem Erlass der erforderlichen Baugenehmigungen realisierte die Auftraggeberin das Bauvorhaben.

Im Anschluss daran leitete die Auftraggeberin ein selbstständiges Beweisverfahren [1] ein, mit welchem sie die gerichtliche Feststellung der Mangelhaftigkeit der Reihen(end)häuser begehrte. Aufgrund der im selbstständigen Beweisverfahren getroffenen Feststellungen verklagte die Klägerin daraufhin ihren Tragwerksplaner wegen mangelhafter Planungsleistungen. Zur Deckung der Sanierungskosten forderte sie insgesamt eine Zahlung von über 845.250 Euro, mithin 40.250 Euro pro Reihenendhaus.

Das Urteil des Landesgerichts

Die Klägerin erzielte zunächst einen Erfolg. Das Landgericht Freiburg [2] orientierte sich an den gutachterlichen Feststellungen aus dem vorangegangenen selbstständigen Beweisverfahren und verurteilte den Tragwerksplaner zur Zahlung.

Laut Urteil habe es der beauftragte Tragwerksplaner „entgegen den Vorgaben der technischen Regelwerke unterlassen, im Zuge der Fertigung der Tragwerksplanung die für die Standsicherheit der 21 Reihenendhäuser erforderliche horizontale Aussteifung der Häuser durch tragwerksplanerische Vorgaben zu gewährleisten“.

Ein funktionstaugliches Werk läge nach Sicht des vom Gericht bestellten Sachverständigen deshalb nicht vor. Vielmehr hätte der Tragwerksplaner eine dauerhaft genehmigungsfähige Tragwerksplanung nach dem Stand der Technik vornehmen und nachweisen müssen. Verwunderlich ist dabei, dass das Landgericht Freiburg nur vom „Stand der Technik“ spricht. Die Mangelfreiheit einer Planung richtet sich grundsätzlich nach der Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik. [3]

Zu der vereinbarten Beschaffenheit gehöre nämlich auch „die Standsicherheit nach Maßgabe des § 13 Landesbauordnung Baden-Württembergs (kurz LBO BW) und der über § 3 Abs.1 LBO BW in das Bauordnungsrecht eingeführten untergeordneten Vorschriften“.

Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 LBO BW müssen „bauliche Anlagen sowohl im Ganzen als auch in ihren einzelnen Teilen sowie für sich allein standsicher sein“. Nach § 13 Abs. 1 Satz 2 LBO BW muss dabei auch die Standsicherheit während der Errichtung sowie bei der Durchführung von Abbrucharbeiten gewährleistet sein. Deren Voraussetzungen seien nicht erfüllt gewesen.

Der Tragwerksplaner habe keinen ingenieurmäßig sinnvollen Lastensatz formuliert, der den Vorgaben des § 13 Abs. 1 Satz .1 LBO BW entsprach. Vielmehr legte er seinem Lastensatz die unzureichenden Berechnungen des Anhangs B 2 der DIN 1055-100 [4] zugrunde. Diese Norm zählt zu den wichtigsten Regelungen, die sich mit den Lastannahmen auf Tragwerken befassen.

Zwar sei die DIN 1055-100 in die Liste der Technischen Baubestimmungen aufgenommen worden, der informative Anhang B sei aber von der Einführung ausgenommen gewesen. Der Gesetzgeber habe nämlich nicht daran gedacht, diese komplexen Regelungen als technische Baubestimmungen der breiten Masse der freiberuflich tätigen Ingenieure zugänglich zu machen. Denn die Fehleranfälligkeit sei gegenüber den einfachen Anwendungsregeln der dafür vorhandenen Bemessungsnorm beim ungeübten Anwender vergleichsweise hoch. Deshalb entsprach die Berechnung des Beklagten lediglich dem allgemeinen Stand von Wissenschaft und Technik und nicht dem Stand der Technik. Im Gegensatz zum „Stand der Technik“ bezeichnet der „Stand von Wissenschaft und Technik“ einen technischen Entwicklungsstand, bei dem Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen wissenschaftlich begründet sind und sich in Versuchs- und Pilotanlagen als technisch durchführbar erwiesen haben.

Der praktische Anwender könne nicht einfach den Stand der Technik außer Acht lassen und stattdessen selber Lastsätze formulieren, mit denen ein erkennbares Risiko für die Ablehnung der Genehmigung durch die Bauordnungsbehörde einhergehe. Hierdurch läge eine riskante Planung vor, worüber die Klägerin ebenfalls hätte aufgeklärt werden müssen [5]. Dies widerspreche einer stillschweigend vereinbarten Beschaffenheit. Infolgedessen läge eine geringere statische Qualität der nicht als Einzelhäuser geplanten Reihenendhäuser bereits vor, weshalb der Klägerin Sanierungskosten von insgesamt 845.250 Euro zustünden. Der Beklagte ging in Berufung.

Gegenstand seines Auftrags seien nur Reihenhäuser gewesen, deren Standsicherheit als Einheit geschuldet war. Damit bestand auch kein höheres Standsicherheitsniveau für die 21 Endreihenhäuser. Es seien Vereinigungsbaulasten bestellt worden, ohne die die Häuser im Hinblick auf die Abstandsvorschriften gar nicht erst hätten gebaut werden dürfen. Eine mangelhafte Planung läge auch deshalb nicht vor, weil die DIN 1055-100 und ihr Anhang B bereits im Jahr 2003 dem Stand der Technik entsprachen.

Reihenhäuser müssen nur für sich standsicher sein, wenn sie auf verschiedenen Grundstücken stehen.
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Das Urteil des OLG

Das OLG Karlsruhe hob die erstinstanzliche Entscheidung auf und stellte einleitend fest:

Eine mangelhafte Planung liegt gerade nicht vor [6]! Die Klägerin habe unstreitig bestandskräftige Baugenehmigungen erhalten, womit der Beklagte seine Pflicht zur Erstellung einer dauerhaft genehmigungsfähigen Planung ordnungsgemäß erfüllt habe [7]. Die Tragwerksplanung sei auch nicht bauordnungsrechtlich unzulässig. Reihenhäuser müssen zwar gem. § 13 LBO BW für sich genommen standsicher sein. Allerdings nur dann, wenn die Gebäude auch auf verschiedenen Grundstücken stehen.

Sinn und Zweck von § 13 LBO BW ist es, dass der Abbruch baulicher Anlagen ohne Rücksicht auf den Nachbarn möglich sein soll. Steht allerdings eine bauliche Anlage auf ein und demselben Grundstück, gehört es notwendigerweise auch demselben Eigentümer. Dieser habe es selbst in der Hand, bei Umbau- oder Abrissmaßnahmen die Standsicherheit zu gewährleisten. Daher „müssen die einzelnen Gebäude weder für sich allein standsicher sein, noch hängt die Verwendung gemeinsamer, für die Standsicherheit erforderlicher Bauteile davon ab, dass technisch gesichert ist, dass die gemeinsamen Bauteile beim Abbruch eines der aneinanderstoßenden beiden Anlagen stehen bleiben können“.

Durch die vereinbarten Vereinigungsbaulasten verlassen nämlich die Nachbarn in gleicher Weise umfassend das wechselseitige Schutzregime des Bauordnungsrechts, als würden sie ihre Grundstücke zivilrechtlich zu einem Buchgrundstück vereinigen [8].

Zuletzt käme es für die Beurteilung der bauordnungsrechtlichen Zulässigkeit auch auf das Gesamtvorhaben an. Indem die Klägerin selbst die Leistungsphase der Grundlagenermittlung übernahm, welche bereits die Bestellung der vereinbarten Vereinigungsbaulasten vorsah, schuldete der Beklagte auch nur eine objektiv erforderliche und gerade keine aufwendigere Tragwerksplanung. Damit war die Klage abzuweisen.

Die Bedeutung für die Praxis

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe [9] macht deutlich, welche Auswirkungen die Vereinbarung einer Vereinigungsbaulast haben kann. Nicht nur, dass eine Bebauung eines Grundstücks ohne Beachtung der Abstandsflächen ermöglicht wird, sondern auch, dass die sonst nach § 13 Abs. 1 Satz 1 LBO BW zu beachtenden Vorgaben für die Tragwerksplanung einzelner Häuser – also auch Reihenendhäuser – keine Beachtung finden. Möchten zukünftige Bauherren eine ihrer Ansicht nach erforderliche umfassendere Tragwerksplanung erhalten, ist ihnen zu empfehlen, eine solche ausdrücklich in Auftrag zu geben. Aber Vorsicht: Die Landesbauordnungen von Bayern und Brandenburg kennen keine Vereinigungsbaulast, womit die Standsicherheit stets gewährleistet werden muss. Tragwerksplanern ist anzuraten, zur Tragwerksplanung erforderliche Lastensätze anhand des üblichen Planungsstandards, also der DIN 1055-100, zu formulieren. Zwar hat sich das Oberlandesgericht nicht mehr mit der Frage auseinandergesetzt, inwiefern der Anhang B der DIN 1055-100 zum Stand der Technik zählt, mit Blick auf die Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils sollten Tragwerksplaner dennoch keine unnötigen Risiken eingehen.

Quellen


[1] Landgericht Freiburg, Az. 14 OH 1/09
[2] Landgericht Freiburg, Urteil vom 11.12.2013, Az. 6 O 446/08
[3] Werner/Pastor, Der Bauprozess, 17. Auflage 2020, Rn. 1951
[4] DIN 1055-100:2001-03 Einwirkungen auf Tragwerke – Teil 100: Grundlagen der Tragwerksplanung – Sicherheitskonzept und Bemessungsregeln
[5] OLG Düsseldorf, Urteil vom 18.12.2009, I-23 U 187/09, in: BauR 2010,1255
[6] OLG Karlsruhe, Urteil vom 26.01.2018, 14 U 9/13, in: IBRRS 1021,0314
[7] OLG Düsseldorf, Urteil vom 18.12.2009, I-23 U 187/09, in: BauR 2010,1255
[8] OVG Niedersachsen, 04.03.2015, 1 LA 177/14, in: NVwZ-RR 2015,565
[9] BGH, Beschluss vom 04.11.2020, VII ZR 37/18 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)

Der Autor


Rechtsanwalt Stefan Reichert
Stefan Reichert ist Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht. Er ist Partner, Prokurist und Leiter der Kanzlei ECOVIS L+C Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in München.

www.ecovis.com

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