Fassade: Farbig gestaltete Siedlungen

Fassade: Farbig gestaltete Siedlungen

Städtebau & Quartiersentwicklung

Fassade: Farbig gestaltete Siedlungen

Text: Achim Pilz | Foto (Header): © Achim Pilz

Bruno Taut lockerte große Siedlungen mit städtebaulichen Tricks und Farbe gekonnt auf. Seine erschwinglichen Wohnungen in Berlin sind inzwischen UNESCO Weltkulturerbe. In seiner Tradition gestaltete Erich Wiesner für Steidle Architekten das Turiner Olympiadorf. Barbara Eble-Graebener erzeugt im Ecoquartier Pfaffenhofen mit Holz Plastizität, Architekturbüro Manderscheid mit durchgefärbtem Kalkputz. Und auf pure Materialfarbigkeit setzen zwei Quartiere mit Sozialwohnungen durch lokalen Lehm.

Auszug aus:

Bruno Taut setzte sich als Architekt und Stadtplaner dafür ein, angemessenen Wohnraum zu schaffen. Bis 1916 gestaltete er die Gartenstadt Falkenberg mit Heinrich Tessenov – auch Tuschekastensiedlung genannt. „Durch ihre Farbkonzeption nimmt sie einen besonderen Platz im Berliner Siedlungsbau ein und dokumentiert gleichzeitig die baukünstlerische Wegbereitung der frühen Moderne zur Architektur des Neuen Bauens“, urteilt Winfried Brenne, der sie bis 2003 sanierte. Darauf erhielt sie den Deutscher Bauherrenpreis für „Hohe Qualität – Tragbare Kosten“ und eine Anerkennung als „Deutschlands schönste Wohnsiedlung 2005/2006“ des Deutschen Lackinstituts. 1921 entwarf Taut als Stadtbaurat in Magdeburg neben dem Generalsiedlungsplan auch 80 Häuserfassaden. In der späteren Hufeisensiedlung in Berlin-Briz von Taut und Martin Wagner sowie in der Waldsiedlung Onkel Toms Hütte mit Hugo Häring und Otto Rudolf Salvisberg, setzt er Farbe systematisch ein.

Hufeisensiedlung und Onkel Toms Hütte

Die Großsiedlung in Britz bot knapp 1.400 Wohnungen und 600 Reihenhäuser für Arbeiter. Die Häuserreihen werden durch Vor- und Rücksprüngen aufgelockert, die Straßen verlaufen nicht parallel zueinander, der Straßenraum wird mal breiter und verjüngt sich wieder. Fassaden, Türen und Fenster wurden mit roter, gelber oder blauer Farbe gestrichen.

Die Waldsiedlung hat insgesamt 1.915 Wohneinheiten in Mehrfamilien- oder Reihenhäusern. „Sie zeichnen sich durch einprägsame Außenräume, reizvoll verschobene Blickperspektiven und in die Tiefe gestaffelte Hauseinheiten aus“, hebt Winfried Brenne hervor, der die Siedlung bis 2002 nach denkmalpflegerischer restauratorischer Bestandsaufnahme instand setzte. Er stellte neben der durchdachten Farbigkeit von Fassaden, Fensterrahmen und Türen auch den ursprünglichen Glattputz wieder her. Weil sie einen neuen Typ des sozialen Wohnungsbaus aus der Zeit der klassischen Moderne darstellen, gehören die Gartenstadt Falkenberg und die Hufeisensiedlung mit anderen Großsiedlungen seit 2008 zum UNESCO Weltkulturerbe.

Die Hufeisensiedlung in Berlin-Briz von Bruno Taut und Martin Wagner wurde 2008 UNESCO Weltkulturerbe.
Foto: A. SAVIN, WIKICOMMONS

Fassaden, Türen und Fenster wurden mit roter, gelber oder blauer Farbe gestrichen.
Foto: Thomas Damson – stock.adobe.com

Wiesner | Steidle Olympisches Dorf in Turin

Der Künstler und Farbgestalter Erich Wiesner lehnt sich mit seiner Gestaltung des Olympischen Dorfes der Winterspiele 2006 in Turin an den frühen Bruno Taut an. Den Städtebau der drei Stadtblöcke mit 115.000 m² Geschossfläche für 250 Wohnungen entwarfen das für farbige Architektur bekannte Büro Steidle Architekten aus München und Benedetto Camerana aus Turin. Auf dem von ihnen vorgegebenen strengen Gestaltungsraster entwickelten unterschiedliche Architekten 41 Häuser, deren Fassaden Wiesner variationsreich gestaltet. Hauptmerkmal ist ein abrupter Wechsel intensiver Farben auf der Fassadenkante oder in Farbfeldern. Die stark und eigenständig wirkenden Farben zerschneiden die Formen der Baukörper und wirken dadurch modern. Zentral ist ein kräftiges Orange, zur Straße hin ein helles Gelborange. Im Zentrum des ersten Baufelds ist es etwas dunkler. Es reflektiert die Sonne und taucht so die angrenzenden Höfe in ein warmes Licht, das bis in die umliegenden Wohnungen strahlt.

Im Zentrum von Wiesners Farbskala für das Olympiadorf in Turin stehen zwei kräftige Orangetöne.
Foto: Achim Pilz

Innen- und Außenraum sind gleichwertig. Die freistehenden, siebengeschossigen Häuser erlauben diagonale Durchblicke. Zwischen ihnen entstehen unterschiedlich dimensionierte Plätze, Höfe und Nischen.
Foto: Achim Pilz

Zentrales Orange

Das stadträumliche Raster des Viertels bilden drei große schachbrettartige Felder, die hintereinander an eine bestehende Markthalle angrenzen. Auf diesen Feldern sind freistehende, siebengeschossige Häuser locker verteilt, sodass diagonale Durchblicke möglich sind. Ihre Grundrisse sind leicht gestreckt, mal quer, mal längs orientiert, sodass zwischen ihnen unterschiedlich dimensionierte Plätze, Höfe und Nischen entstehen. Der Außenraum wird so übersichtlich und bewohnbar. Sein Charakter ist stark durch Farbe geprägt. Sie löst die großen Kuben durch scharfkantige Wechsel von satten und hellen Farbtönen auf. Ähnlich wie bei Taut sind stärkere oder häufiger vorkommende Fassadenteile kräftig und geometrisch gefärbt. Das verleiht den reduzierten Gebäuden einen menschlicheren Maßstab und Zug. „Bei diesem Projekt sind die Hausfigur und der Raum, der sich bildet, gleichwertig“, beschreibt es Erich Wiesner.

Seine Farbpalette umfasst elf kräftige Farben. Die warmen Farben überwiegen. Sie gruppieren sich um ein leuchtendes Orange in die Richtungen Gelb und Rot. Als kalte Farben wählte er ein helles Blau und ein lichtes Grün; als neutrale Farben ein dunkles Grau, ein Kastanienbraun und zwei Schattierungen von Weiß. Die leuchtenden Farben sind überwiegend durch Weißtöne oder durch neutrale Farben voneinander getrennt.

Reich gegliedert: Das Ecoquartier Pfaffenhofen im Großraum München ist in drei „Dörfer“ unterteilt.
Grafik: EBLE MESSERSCHMIDT ARCHITEKTEN

Françoise-Hélène Jourda und Gilles Perraudin experimentieren mit Stampflehm. Seine horizontale Schichtung wird durch grobe, helle Zuschläge aufgelockert.
Foto: Achim Pilz

Stadtlandschaftliches Farbkonzept

Das Ecoquartier (EQ) in Pfaffenhofen an der Ilm wurde vom Architektenbüro Eble Messerschmidt Partner auf 21,7 ha geplant und wird aktuell fertiggestellt. Barbara Eble-Graebener entwarf mit ihrem Atelier „Lasuveda“ das städtebauliche Farb- und Materialkonzept für ca. 450 Bewohner in 114 Gebäuden (GFZ = 0,4). Das Quartier besteht aus drei Teilen: dem größten Solardorf, dem Berg- und dem Taldorf. Das Gestaltungsprinzip von Lasuveda ist auch hier „lebendige Mehrfarbigkeit“. Als Hauptfarbe des EQ wählte die Farbgestalterin deckend intensive Töne von Ocker bis Rot sowie Weiß und zentral auch Blautöne. Die erdigen Töne aus mineralischen Farbpigmenten sind von Haustyp zu Haustyp in unterschiedlichen Proportionen und auf verschiedenen Materialien in Qualität und Intensität aufeinander abgestimmt. Auf Putz wie auch auf Holz kommen die gleichen Mineralpigmente zum Einsatz. Ein warmes Hellgrau der Fensterrahmen im Solardorf bindet das Farbspiel zusammen. Im Berg- und im Taldorf sind die Rahmen je Haus in einem der drei Erdtöne beschichtet. Bei Holz-Alu-Elementen wurde das RAL Design-System gewählt, da es feinkörniger als das RALClassic-Farbspektrum ist.

Im Solardorf ist das zentrale Planetenhaus durch Blautöne herausgehoben. Eine Reihe von Langhäusern vermittelt zwischen ihm und der Landschaft – in einem Bogen von Ost nach Süd und einem Fächer im Norden (der sog. Harfe). Ihre Holz-Leisten-Fassade ist in den mineralischen Farbtönen gesättigt. Im Westen begrenzen das Solardorf und das Baufeld lockerer verbundene Einzel‑, Ketten- und Reihenhäuser mit einer weißen Putzfassade. Auch die Kettenhäuser im südöstlichen Taldorf und die Reihenhäuser des nordöstlichen Bergdorfs haben weiße Putzfassaden mit einer Zusatzfarbe aus den Erdtönen.

Für die Baugemeinschaft Olga07 realisierte Architekturbüro Manderscheid einen durchgefärbten Kalkputz. Eine Kammzugtechnik leitet in das Areal und das Gebäude.
Foto: MANDERSCHEID-ARCHITEKTEN.DE/JOHANNES M. SCHLORKE

Für die Baugemeinschaft Olga07 realisierte Architekturbüro Manderscheid einen durchgefärbten Kalkputz. Eine Kammzugtechnik leitet in das Areal und das Gebäude.
Foto: MANDERSCHEID-ARCHITEKTEN.DE/JOHANNES M. SCHLORKE

Farbige Erde

Auf pure Materialfarbigkeit setzt die französische Lehmbausiedlung „Domaine de la Terre“ von 1985, die 30 km von Lyon entfernt in L’Isle-d’Abeau in der Nähe von Villefontaine liegt. In dem experimentellen Viertel mit Sozialwohnungen ergibt sich die Farbigkeit der Fassade aus dem Material Lehm, der aus lokal geborgenem Material besteht. Schon seit Jahrhunderten dient die ockerfarbene Erde hier als Baumaterial. In den meisten Fällen wird der wasserlösliche Lehm allerdings durch einen Putz geschützt und verborgen. Bei diesem Projekt ist das nachhaltige Material in den Vordergrund gerückt. Durch die Verwendung als Lehmsteine, Stampflehm oder Lehmputz geben ihm die unterschiedlichen Architekten Struktur. Das aus 65 Sozialwohnungen bestehende Wohnquartier wurde vom belgischen Architekten Jean Dethier initiiert (Autor des Buchs „Lehmbaukultur – Von den Anfängen bis heute“, Edition Detail, 2019). Dieser besonders nachhaltige Ansatz wird auch aktuell im Großraum Paris verfolgt. Dort soll aus einem Teil des immensen Aushubs für die neue Metrolinie um Paris, des „Grand Paris Express“, in Ivry-sur-Seine mit dem Projekt „Cycle Terre“ ein ganzes Viertel für Sozialwohnungen entstehen.

Fokus Strukturputze

Wie man mit farbigen und strukturierten Putzen den Übergang zwischen Quartier und Gebäude gut gestaltet, zeigt das Architekturbüro Manderscheid bei seinen Projekten. Beim Bau der Baugemeinschaft „en famille“ im Tübinger Quartier Alte Weberei überraschten die Architekten 2014 mit einer Materialvielfalt, die ästhetisch ausgewogen und dabei kostengünstig ist. Das winkelförmige Gebäude für acht Wohneinheiten, eine Gewerbeeinheit und ein Familiencafé mit Laden weist mit einer markanten Ecke auf einen zentralen Platz. Sein in einem lebendigen Roséton gehaltener durchgefärbter Außenputz aus Kalk enthält keine der sonst oft üblichen Biozide. Durch die deutliche Kornstruktur mit wolkigen Farbverdichtungen wirkt der Putz sehr lebendig. Alle Kanten sind ohne Putzschienen handwerklich ausgeführt und geben dem Gebäude eine besonders schöne Plastizität. Die öffentlichen Bereiche – Gewerbefenster und Eingänge – sind in einer Sockelzone zusammengefasst, die ein angeworfener Putz mit rauer und etwas dunklerer Oberfläche betont. Die ein wenig zurückgesetzten und leicht mit schwarzem Eisenoxid abgedunkelten Putzfelder an der Attika lockern diese auf und vergrößern die Fenster optisch.

Einen der Wege in das Olga Areal in Stuttgart (QUARTIER Ausgabe 6.2019) prägt das Haus der Baugemeinschaft Olga07. Sein biozidfreier Kalkputz ist in einem hellen Ockerton durchgefärbt. Die Fassade gliedern eine zum Zugang ins Areal vorspringende Ecke, zwei schlankere Erker und horizontale sowie vertikale Elemente aus hellgrauem Waschbeton. Die Sockelzone des Gebäudes und einer der schlanken Erker werden durch eine vertikale Kammzugtechnik in einem etwas gesättigteren Ockerton betont und leiten so in das Areal. Erst dort öffnet sich das Haus mit einem Rücksprung.

Abbildung: BRAUN PUBLISHING

Buchtipp
Bruno Taut – Meister des farbigen Bauens in Berlin
Deutscher Werkbund Berlin e. V. (Hrsg.), Winfried Brenne
Braun Publishing 2008
170 Seiten
ISBN 978-3-03768-133-6
19,90 Euro

Abbildung: GTA VERLAG

Buchtipp
Über Putz – Oberflächen entwickeln und realisieren
Annette Spiro, Hartmut Göhler, Pinar Gönül (Hrsg.)
gta Verlag 5. Auflage 2018
304 Seiten
ISBN 978-3-85676-301-5
60,– Euro

Forschungsinstitut für Farbe
Das Haus der Farbe in Zürich (hausderfarbe.ch) ist die disziplinenübergreifende Bildungsstätte für Farbe und Gestaltung am Bau. Als Bindeglied zwischen Gestaltung, Planung und Handwerk engagiert sie sich für gestalterische Weiterbildungen, z. B. mit dem Diplomlehrgang Farbgestaltung, der Farbwerkstatt und der Farbakademie. Mit dem „A/O – Archiv für Oberflächengestaltung“ hat das Haus der Farbe eine Mustersammlung mit rund 400 handgefertigten Exponaten angelegt, die auch online verfügbar ist (ao.hausderfarbe.ch). Die Vielfalt der Materialien und Techniken inspiriert und überrascht. In einem Blog werden Referenzobjekte zur Mustersammlung, gelungene Experimente und neue Erkenntnisse vorgestellt.

Links


www.steidle-architekten.de
www.ecoquartier.de
www.eble-architektur.de
www.lasuveda.de
www.ateliersj.eu/manufacture-sur-seine
www.manderscheid-architekten.de

Der Autor


Achim Pilz
Achim Pilz publiziert seit 2002 zu Themen der nachhaltigen Gebäude und Siedlungen. Er ist freier Fachjournalist, Buchautor, Referent, Juror und Kurator. Als Baubiologe IBN ist er Chefredakteur von „baubiologie-magazin.de“. Er studierte Architektur an den Universitäten Wien, Aachen, Stuttgart und arbeitete in deutschen und indischen Architekturbüros.

www.bau-satz.net

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