Kreislaufwirtschaft in der Wohnungswirtschaft: Wegweiser für Urban Mining, Recycling und Re-Use

Kreislaufwirtschaft in der Wohnungswirtschaft: Wegweiser für Urban Mining, Recycling und Re-Use

Energie, Technik & Baustoffe

Kreislaufwirtschaft in der Wohnungswirtschaft: Wegweiser für Urban Mining, Recycling und Re-Use

Foto (Header): © KEN – STOCK.ADOBE.COM

Die 40-köpfige Pioniergruppe Kreislaufwirtschaft der Initiative Wohnen. 2050 (IW. 2050) hat Ende 2024 das 78-seitige Eckpunkte-Papier „Kreislaufwirtschaft in der Wohnungswirtschaft – eine Bestandsaufnahme“ erarbeitet. Es dient den derzeit 240 Wohnungsunternehmen des Branchen-Zusammenschlusses als Leitfaden für die oftmals komplexen Regularien und Vorgehensweisen rund um Urban Mining, Recycling und Re-Use von Baumaterialien.

Auszug aus:

Was sich bei der Abfalltrennung oder im Textil-Recycling seit vielen Jahren bewährt, ist mittlerweile auch fester Bestandteil der Wohnungsund Bauwirtschaft: Materialien aus Abriss- oder Sanierungsimmobilien gehören keinesfalls auf den Müll. Egal, ob Lichtschalter, Flurlampe, Holzparkett, Fenster oder Türen samt Rahmen – all dies sind wertvolle Rohstoffe. Sie können erneut zum Einsatz kommen, solange sie unversehrt sind, gesetzliche Bestimmungen und Garantieregelungen dies zulassen. Eine Zweitnutzung ist nicht nur kosten- und ressourcenschonend, sondern reduziert vor allem auch CO₂-Emissionen: Die aufwendige Neuproduktion von teurem Baumaterial fällt gar nicht erst an, zudem wird auf lange Liefer- und Transportwege verzichtet. Eine Win-win-Situation für Eigentümer, Bauherren und Mieter sowie ein weiterer wichtiger Schritt für die Wohnungswirtschaft in Richtung Klimaneutralität.

Reduktion von Ressourcen und CO₂

Fakt ist: In der deutschen Bau- und Immobilienwirtschaft werden derzeit rund 50% aller Rohstoffe eingesetzt und gleichzeitig 60% der bundesweiten Abfälle produziert. Genau hier setzt das Konzept der Kreislaufwirtschaft zur Rohstoffsicherung an: zirkulär statt linear! „Um Ressourcen und CO₂ einzusparen sowie die Wertschöpfung zu erhöhen, ist ein Umdenken gefragt: Eingesetzte Baumaterialien sollen lange und möglichst ohne Qualitätsverlust in geschlossenen technischen oder biologischen Kreisläufen geführt werden und nicht als Abfall enden“, so Felix Lüter, geschäftsführender Vorstand der 2020 gegründeten Initiative Wohnen. 2050 (IW. 2050). In Deutschland werden jährlich 485 Mio. t Rohstoffe verwendet – darunter Kalk, Gipsstein, Kies und Sand. Parallel fallen mehr als 200 Mio. t Bauabfälle an, die allerdings nicht alle für eine Sekundäranwendung infrage kommen. Durch zirkuläres Wirtschaften am Bau ließen sich jedoch bis zu 26% der Materialien reduzieren. Nach Angaben des Naturschutzbundes (NABU) gehen weltweit allein 8% der weltweiten Kohlendioxid-Emissionen auf das Konto der Zementproduktion, die sich seit 1990 vervierfacht hat. Weltweit entfallen 40% der CO₂-Emissionen auf den Bausektor. Besonders prekär: Neubauten verzeichnen bereits vor ihrer ersten Nutzung die Hälfte der CO₂-Emissionen ihres gesamten Lebenszyklus. Circular Economy, das Prinzip der Kreislaufwirtschaft, gilt daher auch international als branchenübergreifendes Modell der Zukunft.

Stark im Aufwind: zirkuläre Wertschöpfung

Im Bausektor wächst die zirkuläre Wert schöpfung seit Jahren und mit ihr das Angebot an Dienstleistungen und Hilfsmitteln. „Kreislaufwirtschaft“ heißt das Zauberwort für den Prozess der dauerhaften Nutzung wertvoller Rohstoffe über den ersten Lebenszyklus hinaus. Allerdings steckt die praktische Umsetzung vielerorts noch in den Kinderschuhen – auch bei zahlreichen Partnerunternehmen der IW. 2050. Wie und unter welchen Voraussetzungen Baumaterial aus Wohnungs- oder Bürobeständen erneut und nachhaltig beim Errichten eines neuen Gebäudes, im Zuge einer Aufstockung oder einer Umbaumaßnahme genutzt werden kann, hat der Verbund ein Jahr lang in seiner Pioniergruppe Kreislaufwirtschaft erarbeitet. Über 40 Teilnehmende um Gruppenleiter Dipl. -Ing. Joost Hartwig, ina Planungsgesellschaft mbH, Darmstadt, und Mitglied im Fachteam der IW. 2050, haben ihr Know-how und ihre Erfahrungen in einem 78-seitigen Leitfaden zusammengetragen – ein hilfreiches Nachschlagewerk für die 240 Partnerunternehmen, -verbände und -institutionen der IW. 2050. Fachlich begleitet wurde das Projekt von Prof. Dr.-Ing. Linda Hildebrand, Professorin des Fachbereichs Rezykliergerechtes Bauen der RWTH Aachen, sowie von weiteren Experten, die sich auf das Thema Nachhaltigkeit in der Beratung spezialisiert haben – wie etwa Timo Ernst, sustainable AG, München.

Das Papier liefert strukturiert Wissenswertes rund um Definitionen, Strategien, Anwendungsfälle, zeigt zentrale Herausforderungen, erläutert Prozesse zur Vorgehensweise und führt anhand konkreter Beispiele erprobte Lösungsmöglichkeiten auf – zur Nachahmung oder als Grundlage zur individuellen Weiterentwicklung durch die Unternehmen. Es geht ferner auf wirtschaftliche sowie aktuelle regulatorische Rahmenbedingungen auf EU- und Bundesebene ein: Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), EU-Taxonomie-Verordnung (ESG), Eco design- Richtlinie, Regulation on Con struction Products (RCP) und den Digitalen Produktpass (DPP). Gerade Letztere werden praxisnah im Kapitel „Hilfsmittel“ behandelt. Hier dreht sich alles um Produktpässe, Zirkularitätsindizes, den Gebäuderessourcenpass, bestehende nationale und internationale Materialkataster sowie Bauteilbörsen.

1 | Planungsprinzipien – Nachverwendung (Pre-Use) und Materialverbleib (Post-Use)
ABBILDUNG: LINDA HILDEBRAND

2 | K10, Leipzig
FOTO: MATTHIAS PRELL

Differenzierung: Pre-Use und Post-Use

Laut Eckpunkte-Papier ist zur Bestimmung von kreislaufgerechten Gebäuden die Einteilung in zwei Kategorien ratsam: Zum einen werden eingesetzte Produkte, die bereits eine vorausgegangene Nutzung hatten, in der Planung als Input oder Pre-Use erfasst. Neue Produkte und Materialien, die nach einer geplanten Nutzung weiterverwendet werden sollen, können direkt als Nachnutzung oder Post-Use bezeichnet werden. Dieser Unterschied ist entscheidend, denn erst durch diesen Wiedereinsatz von bereits genutzten Produkten ist eine signifikante Einsparung von Rohstoffen und Emissionen möglich. Das Vorhalten zur Mehrfachnutzung sichert ein klimaschonendes Potenzial auch in der Zukunft.

Für die Wohnungswirtschaft wurden im Leitfaden fünf Anwendungsfälle herausgearbeitet, basierend auf dem Lebenszyklus von Gebäuden: Neubau, Nutzung, Instandhaltung/ Instandsetzung, Modernisierung und Abbruch. Die Pioniergruppe empfiehlt dabei eine Fokussierung auf die Aktivitäten „Neubau“ und „Modernisierung“ sowie auf den Aspekt „Input“ – die Einbringung von Materialien in das Gebäude. „In diesen beiden Aktivitäten sind die ökologischen Einsparungen durch eine konsequente Kreislaufwirtschaft am größten,“ erklärt Joost Hartwig. Dabei kann es sich sowohl um wiederverwendete Bauteile als auch um Baustoffe mit einem Recyclinganteil handeln. Besonderes Augenmerk liegt bei den eingesetzten Materialien und Produkten auf der möglichen Wiederverwendbarkeit in der Zukunft. Im Zuge einer Modernisierung und des Abrisses sollten zudem die „Outputs“ – die aus dem zu modernisierenden Gebäude entnommenen Bauteile und Materialien – berücksichtigt werden.

3 | Gebrauchte Gasetagenheizungen
FOTO: GWW WIESBADENER WOHNBAUGESELLSCHAFT MBH

4 | Impact Hub Berlin im CRCLR-House
FOTO: STUDIO BOWIE

Beispiele aus der Praxis

Kreislaufwirtschaft wurde beim Leipziger Projekt „Neubau K10“ des Bauherrn Hausprojekt Klinge Zehn/ Architekten ASUNA durch die Verwendung schadstofffreier und recyclingfähiger Materialien realisiert. Eine nachhaltige Holzbauweise sowie energieeffiziente Technologien minimierten den ökologischen Fußabdruck. Alle eingesetzten Materialien sind wiederverwertbar oder können in den biologischen Kreislauf zurückgeführt werden. Die modulare Bauweise ermöglicht auch hier eine einfache Demontage und Wiederverwendung der Bauteile.

In eine gänzlich andere Richtung dachte die GWW Wiesbadener Wohnbaugesellschaft mbH: Bei der Umrüstung von Gebäuden für den Bezug von Fernwärme oder den Einsatz von Wärmepumpen werden die alten ausgebauten Gasetagenheizungen mit nach wie vor hoher Effizienz und in gutem Zustand nicht entsorgt, sondern eingelagert. Sie kommen später als Übergangslösung bei Havarien in anderen Gebäuden zum Einsatz. So können die Übergangsfristen des GEG bis zur vollständigen Umstellung auf erneuerbare Energien eingehalten werden, ohne Ressourcen für neue Geräte aufwenden zu müssen.

Das Impact Hub Berlin im CRCLR- House, entworfen von LXSY Architekten, zielt darauf ab, einen kollaborativen Co-Working-Space zu schaffen, der sich auf nachhaltige Entwicklung fokussiert. Durch die Wiederverwendung von Baumaterialien und das Design flexibler, reversibler Strukturen fördert das Projekt eine zirkuläre Wirtschaft. Rund 70% der Materialien sind recycelt oder nachhaltig. Die Gebäudeinfrastruktur ermöglicht das einfache Zerlegen und Wiederverwenden der Komponenten. Dies reduziert den CO₂-Fußabdruck und vermeidet Abfall. Zu den übertragbaren Prinzipien: Da wäre zunächst die Wiederverwendung von Materialien. Darunter fällt die Nutzung von recycelten und wiederverwendbaren Materialien aus Abriss-Baustellen und anderen Projekten. Ebenfalls von Bedeutung: Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Dazu zählt die Planung flexibler Raumstrukturen, die zukünftige Nutzungsänderungen ermöglichen. Nicht zuletzt: kreislauffähige Konstruktionen. Im Detail: Der Einsatz von rückbaufähigen und sortenreinen Konstruktionen, um Materialien nach ihrer Lebensdauer wiederverwenden zu können.

Um dem immer enger werdenden Wohnungsmarkt gerechter werden zu können und die Wohnungen ab einer Größe von vier Zimmern bedarfsgerecht zu belegen, hat die Volkswohnung GmbH, Karlsruhe, im Jahr 2023 mit ihrem Pilotprojekt „Freiraum statt Großraum“ ein Programm zur Wohnraum-Mobilisierung ins Leben gerufen. Mithilfe des Projekts können Mietparteien, die sich um mindestens ein Zimmer verkleinern möchten, bevorzugt mit kleineren Wohnungen versorgt werden. Um dies attraktiv zu gestalten, ist eine Mietpreis-Mitnahme bis zu 100% möglich. Vorteile für die Mieterschaft sind eine größere finanzielle Freiheit durch eine angepasste Miete, geringere Energiekosten, mehr Individualität durch eine persönliche Beratung bei der Wohnungssuche und mehr Lebensqualität im Alter mit weniger Barrieren. Die Volkswohnung hat sich dazu an rund 1.500 Mietparteien mit einem Anschreiben und einem Flyer gewandt. Voraussetzung war ein mindestens fünf Jahre alter Mietvertrag für eine Wohnung von mindestens vier Zimmern. Nach den erfolgten Rückmeldungen wurden persönliche Gespräche mit den Betroffenen geführt und rund 50 Mietgesuche erfasst.

Leitfaden zur Kreislaufwirtschaft
Der „Leitfaden zur Kreislaufwirtschaft“ steht IW. 2050-Mitgliedern kostenfrei zum Download zur Verfügung. Eine Mitarbeit in der Pioniergruppe ist für Partnerunternehmen, -verbände und -institutionen jederzeit noch möglich. Wohnungsunternehmen, die generell ein Interesse an einer Mitgliedschaft in der IW. 2050 haben, wenden sich an info@iw2050.de.

Über die Initiative Wohnen. 2050


Die Initiative Wohnen. 2050 (IW. 2050) ist ein bundesweiter Branchen-Zusammenschluss, gegründet 2020 in Berlin. Ihr Ziel: Die CO₂-Emissionen der teilnehmenden Wohnungsunternehmen und -genossenschaften gemäß dem Pariser Klimaschutzabkommen so zu minimieren, dass das globale Kleiner-1,5-Grad-Ziel eingehalten wird. Insgesamt vereinen die Partnergesellschaften der IW. 2050 über 2,1 Mio. Wohneinheiten, die bis spätestens 2045 klimaneutral entwickelt werden sollen. Die Initiative versteht sich als Unterstützer der Wohnungsunternehmen und ihrer Verbände beim Erreichen der Klimaziele – aus der Branche für die Branche. Unter den 240 Unternehmenspartnern (Stand Mai 2025) befinden sich sieben der zehn größten Wohnungsunternehmen in Deutschland. Zwei von ihnen haben es als erste deutsche Wohnungsunternehmen in das Ranking der „Europe‘ s Climate Leaders 2023“ der Financial Times in der Kategorie „Property“ geschafft: die Unternehmensgruppe NHW und die Vonovia SE. Mehr Informationen unter: www.iw2050.de

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