Initiative Wohnen.2050: Erhöhter Handlungsdruck für die Wohnungswirtschaft durch EU-Klimaziele

Initiative Wohnen.2050: Erhöhter Handlungsdruck für die Wohnungswirtschaft durch EU-Klimaziele

Städtebau & Quartiersentwicklung

Initiative Wohnen.2050: Erhöhter Handlungsdruck für die Wohnungswirtschaft durch EU-Klimaziele

Text: Heike Dorothee Schmitt | Foto (Header): © Olivier Le Moal – stock.adobe.com

Bis 2050 muss der gesamte Gebäudebestand in Deutschland klimaneutral sein. Das setzt alle Akteure der Wohnungswirtschaft unter Druck. Die Initiative Wohnen.2050 bündelt in diesem Zusammenhang Knowhow und ist eine Plattform für die Zusammenarbeit: Ein erstes Resümee.

Auszug aus:

Das Europa-Parlament hat Ende September 2020 entschieden, das EU-Klimaziel für 2030 noch drastischer zu steigern. Im Kampf gegen den Klimawandel müsse der Ausstoß an Treibhausgasen bis 2030 um 60 % gegenüber den Werten von 1990 gesenkt werden. Bislang waren in dieser Frage zunächst 40 und dann 55 % gefordert. Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte bereits Mitte September eine Verschärfung angekündigt. Die Maßnahme, die mit knapper Mehrheit verabschiedet wurde, solle dazu beitragen, das Pariser Klimaschutzabkommen mit seinem Kleiner-Zwei-Grad-Ziel einzuhalten und die Überhitzung der Erde zu stoppen.

Diese neuerliche Entscheidung setzt alle Akteure der deutschen Wohnungswirtschaft nun noch mehr unter Druck, unabhängig von der Zahl ihrer jeweils verwalteten Wohneinheiten. Denn: Bis spätestens 2050 muss der gesamte Gebäudebestand in Deutschland klimaneutral sein. Dass auch hier gemeinschaftliches Agieren – wofür die Branche schon immer steht – gefragt ist, verdeutlicht der Erfolg der Initiative Wohnen.2050 (IW.2050). Ende 2019 ins Leben gerufen, Anfang 2020 in Berlin gegründet, bündelt sie Know-how und ist Plattform für Zusammenarbeit und Austausch. Auch kleinere Wohnungsunternehmen haben so die Chance, zeitnah zu einer effektiven Klimaschutzstrategie zu gelangen und ihren erforderlichen Finanzierungsbedarf sowie benötigte Zuschüsse konkret abschätzen zu können. Hinzu kommt das Ziel, gemeinsam von Politik und Wirtschaft besser gehört, verstanden und unterstützt zu werden.

Schon im Rahmen der konstituierenden Sitzung hatten sich die Partner der IW.2050 für die Rechtsform e. V. entschieden und einen professionell besetzten Vorstand gewählt. Die Initiative wird von einem Expertenteam unter Leitung des Geschäftsführenden Vorstands beraten. Gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit, um die Positionierung zu stärken, rundet das Angebot ab. Vernetzung und stetiger Austausch sind feste Bestandteile aller zum Einsatz kommenden Formate. Die Website www.iw2050.de verfügt über einen Login-Bereich für Partner, in dem exklusiv alle Dokumentationen der Veranstaltungen eingestellt werden. Neumitgliedern, die nach wie vor willkommen sind, ist somit ein schneller fachlicher Einstieg und Anschluss möglich. Die verabschiedete Satzung sieht Jahresbeiträge – je nach Unternehmensgröße – von 1.500 bis maximal 10.000 Euro vor.

Starke Stimme der Branche

„Wir haben keine Zeit, wir brauchen ungeheuer viel Geld, aber wir müssen es schaffen!“ Felix Lüter, Geschäftsführender Vorstand der IW.2050 brachte es schon bei der Gründung auf den Punkt. Fakt ist: Klimaschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe von historischem Ausmaß – und das schließt die Wohnungswirtschaft mit ihrem Versorgungs- und Sozialauftrag mit ein. In Anbetracht dieses Handlungsdrucks wurde Ende Januar 2020 in Berlin die IW.2050 gegründet. Von Anfang an als Unterstützer und Partner dabei: der GdW – Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, der VdW West, Verband der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft Rheinland Westfalen, und der VdW südwest, Verband der Südwestdeutschen Wohnungswirtschaft, sowie, als Bildungseinrichtung der Branche, die EBZ Business School GmbH. Mittlerweile umfasst der Kreis bereits 66 Wohnungsunternehmen und insgesamt neun Institutionen. Zahlreiche weitere Verbände sind inzwischen ebenfalls dabei: der Verband Sächsischer Wohnungsgenossenschaften (VSWG), der Verband der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft Sachsen (VdW Sachsen), der Verband der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft in Niedersachsen und Bremen (VdWNB), der Verband der Berlin-Brandenburgischen Wohnungsunternehmen (BBU) und der Verband der bayerischen Wohnungsunternehmen (VdW Bayern). Eine starke Gruppe, die derzeit über 1,6 Millionen Wohneinheiten vertritt und täglich wächst: Aktuell haben weitere 28 Interessenten aus zehn Bundesländern ebenfalls ihre Mitarbeit in Aussicht gestellt. Bundesweit nimmt dieser Zusammenschluss in der Wohnungswirtschaft schon jetzt eine Vorreiterrolle mit großem öffentlichen Engagement ein, denn auch für andere Branchen soll dieser Vorstoß richtungsweisend sein.

Axel Gedaschko, GdW-Präsident und Vorstandsvorsitzender der IW.2050, verwies schon bei der Gründungsversammlung auf das enge Zeitfenster und die hochgesteckten Ziele: „Um das postulierte Zwei-Grad-Ziel und einen klimaneutralen Gebäudebestand bis 2050 zu erreichen, gilt es, den Einsatz noch einmal deutlich zu erhöhen. Jedes Unternehmen braucht hierfür zwingend eine klare Perspektive und einen verlässlichen Entwicklungspfad für die nächsten 30 Jahre, um politisch, strategisch und operativ handlungsfähig zu sein. Nur mit vereinten Kräften können nötige Entscheidungen für die Zukunftssicherheit aller gefällt werden. Die Branche braucht eine starke gemeinsame Stimme, um der Bundespolitik die Dimension der Herausforderung zu verdeutlichen.“

Forderung nach politischem Gehör

Die IW.2050 versteht sich als Unterstützer-Netzwerk von Wohnungsunternehmen und ihren Verbänden. Politisches Ziel ist es, aus der Umsetzungsperspektive der Unternehmen Handlungsbedarfe und Forderungen für die politische Arbeit des GdW auf Bundesebene und für die Arbeit der Regionalverbände auf den Landesebenen bereitzustellen. Neben dem interdisziplinären Austausch, der zeitnahen Entwicklung von Konzepten und Lösungsstrategien wird gemeinsam mit dem Dachverband aktiv die finanzielle Unterstützung seitens der Politik eingefordert. Denn: Das Erreichen der Pariser Klimaziele bis 2050 stellt nicht nur für kleinere Wohnungsunternehmen eine immense Aufgabe dar. Auch für mittlere und große Vertreter der Branche werden die Investitionen, die für die Klimaneutralität notwendig sind, die eigenen Finanzmittel deutlich übersteigen. Insbesondere, da die Unternehmen eine Vielzahl anderer wesentlicher Herausforderungen zu meistern haben. Allem voran das Schaffen und den Erhalt bezahlbaren Wohnraums in angespannten Mietmärkten. Wissenstransfer steht daher bei der Initiative besonders im Fokus. Axel Gedaschko konstatiert: „Die meisten unserer GdW-Mitgliedsunternehmen haben weniger als 20 Mitarbeiter. Für sie ist es unmöglich, alles selbst umzusetzen. Daher ist partnerschaftliches Handeln so wichtig!“

IW.2050 als Plattform für alle Partner

Der Zusammenschluss agiert als Plattform nach dem bewährten Open-Source-Prinzip, da einerseits Know-how eingebracht, parallel aber auch vom Wissen und den Erfahrungen anderer Partner profitiert wird – klassisches Benchmarking. Hinzu kommt das Setzen von Berechnungs- und Bilanzierungsstandards, inklusive Lösungen und Tools für die ressourcensparende Entwicklung von unternehmensspezifischen Wegen zur Klimaneutralität. All dies wird gemeinsam erarbeitet und ausgetauscht, Erfahrungen aus Pilotprojekten geteilt und dokumentiert. So bekommen auch kleinere Wohnungsunternehmen die Chance, sich ökonomisch und ökologisch zu positionieren. Die IW.2050 will vor allem auch genau diese ansprechen, sich der Allianz anzuschließen. Denn die Fragestellungen sind überall gleich: Wie ermittle ich mein CO²-Budget? Wie erstelle ich meine Konzern-Energiebilanz? Muss ich meine Modernisierungsquote steigern? Wenn ja: Um wie viel genau?Was sind geeignete technische Maßnahmen? Wie finanziere ich all das?

Mit Postkarten, die Aufmerksamkeit erregen und bewusst provozieren sollen, macht die Initiative Wohnen.2050 bei zahlreichen Veranstaltungen auf ihr dringendes Anliegen aufmerksam.
Foto: IW.2050

Der Vorstand der Initiative Wohnen.2050 (v. l. n. r.):
Geschäftsführender Vorstand Felix Lüter (Leiter des Kompetenzcenters Nachhaltigkeitsmanagement der Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte I Wohnstadt),
Schatzmeisterin Snezana Michaelis (Vorständin der Gewobag Wohnungsbau-Aktiengesellschaft Berlin),
Vorstandsvorsitzender Axel Gedaschko (Präsident GdW – Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen),
Stellvertretende Vorständin Julia Antoni (Geschäftsführerin der bauTega und Bereichsleiterin Unternehmensentwicklung und Kommunikation bauverein AG) und
Stellvertretender Vorstand Dr. Thomas Hain (Leitender Geschäftsführer der Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte I Wohnstadt).

Foto: IW.2050 / Walter VorJohann

Erste beachtliche Ergebnisse

Seit März 2020 hat das Netzwerk 28 Online-Fachveranstaltungen mit jeweils bis zu 80 Teilnehmern durchgeführt. Schon nach wenigen Monaten liegen drei praxisnahe Excel-Werkzeuge vor, die es den Partnern ermöglichen, individuell eine eigene Ist- und Ziel-CO²-Bilanz für ihre Klimaschutzstrategie zu ermitteln. Neben dem interdisziplinären Austausch von Wissen und Erfahrungswerten, der zeitnahen Entwicklung von Konzepten und Lösungsstrategien wird aktiv der Dialog mit der Politik angestrebt.

„Heute anstoßen, was wir bis 2050 erreichen wollen“

„Mit bloßen Lippenbekenntnissen und Green Washing ist es heute längst nicht mehr getan – damit sind die hochgesteckten, in Paris multilateral vereinbarten Klimaziele sicherlich nicht zu erreichen. Das gilt ganz besonders für uns in der Wohnungswirtschaft. Wir denken von jeher in größeren Zeiträumen. Was wir in 20 oder 30 Jahren erreichen wollen, müssen wir heute anstoßen. Oder andersrum: Was wir heute bauen, steht auch in Jahrzehnten noch. Meine Einschätzung: Wir sind als Gesellschaft mittlerweile gut unterwegs, haben uns jedoch spät auf den Weg gemacht“, fasst Dr. Thomas Hain, Stellvertretender Vorstand der IW.2050 und Leitender Geschäftsführer der Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte I Wohnstadt (NHW), die Situation zusammen. Sein Konzern war die treibende Kraft für die Gründung der Initiative. Letztendlich gehe es ihm auch darum, das Thema in all seinen Facetten zu leben, umzusetzen und als integrativen Bestandteil in eine vorhandene Unternehmens-DNA zu übertragen – in alle Geschäftsfelder hinein und hin zu jedem einzelnen Mitarbeiter. Auch das habe die Initiative im Auge.

Es geht um mehr als nur die Hülle

Größte Herausforderung für die ganze Branche ist die Modernisierung ihrer Wohngebäude, die nicht selten zwischen den 1950er- und 1970er- Jahren errichtet wurden. Technisch, so Felix Lüter, sei es durchaus möglich, ein Bestandsgebäude so zu modernisieren, dass es Klimaneutralität erlangt. Hierzu bedarf es neben einer guten Hülle vor allem erneuerbarer Energien in der Wärmeversorgung. Für den Geschäftsführenden IW.2050-Vorstand ist damit ein Paradigmenwechsel im Bausektor eingeleitet. Als Leiter des Kompetenzcenters Nachhaltigkeitsmanagement der Unternehmensgruppe Nassauische Heimstätte I Wohnstadt (NHW) identifiziert er eine weitere Stellschraube: Die Modernisierungsquote in der Wohnungswirtschaft muss massiv gesteigert werden! Derzeit beträgt sie 1 % – zu wenig, um die Klimaziele bis 2050 zu erreichen. Es müssten mindestens 2 % sein, ausbaufähig auf 3 %, denn das ist das EU-Ziel. Eine Größenordnung, von der die Wohnungsunternehmen bisher nur träumen können …

Initiative Wohnen.2050
Die Initiative Wohnen.2050 (IW.2050) ist ein bundesweiter Branchen-Zusammenschluss. Das Ziel: die CO²-Emissionen der teilnehmenden Unternehmen gemäß dem Pariser Klimaschutzabkommen so zu minimieren, dass das globale „Kleiner-Zwei-Grad-Ziel“ eingehalten wird. Die Initiative versteht sich als Unterstützung der Wohnungsunternehmen und ihrer Verbände zur Erreichung der Klimaziele – aus der Branche für die Branche. Unter den bislang 66 Unternehmenspartnern sind sieben der zehn größten Wohnungsunternehmen in Deutschland. Insgesamt vereinen die Gesellschaften über 1,6 Millionen Wohneinheiten, die bis 2050 klimaneutral entwickelt werden sollen.

www.iw2050.de

Die Autorin


Heike Dorothee Schmitt
Inhaberin hd…s agentur für presse und öffentlichkeitsarbeit, Wiesbaden

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