Energieversorgung: Software für Quartiersenergiekonzepte

Energieversorgung: Software für Quartiersenergiekonzepte

Energie, Technik & Baustoffe

Energieversorgung: Software für Quartiersenergiekonzepte

Text: Heike Erhorn-Kluttig, Simon Wössner, Eike Budde, Hans Erhorn | Foto (Header): © FRANK WAGNER – stock.adobe.com

Die Bundesregierung hat für Deutschland hohe Klimaschutzziele gesetzt. Bis zum Jahr 2050 soll u. a. der deutsche Gebäudebestand nahezu klimaneutral werden. Um dies zu erreichen, muss der Energiebedarf der Gebäude im Neubau und Bestand reduziert und die Energieversorgung umfassend auf erneuerbare Energieträger umgestellt werden. Dabei sind neben Energiekonzepten für Einzelgebäude auch Quartiersenergiekonzepte interessant. Das Fraunhofer-Institut für Bauphysik hat mit dem District Energy Concept Adviser ein Tool für die frühe Planungsphase von Quartieren entwickelt.

Auszug aus:

Energiekonzepte auf Quartiersebene ermöglichen aufgrund von Gleichzeitigkeitsfaktoren beim Energieverbrauch und Skalierungseffekten Kosteneinsparungen bei der Energieerzeugung, denen andererseits aber höhere Aufwände und Energieverluste bei der Wärmeverteilung gegenüberstehen. Das Fraunhofer-Institut für Bauphysik hat ein Tool für die frühe Planungsphase von Quartieren entwickelt [1], das es ermöglicht, den Energiebedarf von diversen quartierszentralen und gebäudeweisen Versorgungskonzepten in Kombination mit unterschiedlichen Hüllflächenqualitäten zu bewerten. Durch die Nutzung von Typgebäuden und vorkonfigurierten Hüllflächenniveaus und Anlagensystemen können die Gebäude schnell und einfach eingegeben und an die Realität oder Planung angepasst werden. In einem EU-Projekt [2] wurden die Funktionen des Tools um weitere Technologien, Typgebäude, Maßnahmenpakete und ein Kostenberechnungsmodul erweitert.

Energiekonzepte abbilden

Die Stärken des District Energy Concept Adviser (Energiekonzept-Berater für Stadtquartiere) liegen in der schnellen Abbildung eines Quartiers per Drag-&-Drop über Typgebäude (s. Abb. rechts oben) und in der Vielzahl der Vorkonfigurationen, etwa der baualtersabhängigen Hüllflächenqualitäten, der Anlagensystembestandteile und der Verwendung von Standardnutzerprofilen. Der Nutzer kann mit wenigen Anpassungen ein Quartier zügig abbilden. Durch die Kombination mit unterschiedlichen zentralen oder dezentralen Versorgungsvarianten und Gebäudequalitäten lassen sich schnell verschiedene Energiekonzepte erstellen und miteinander vergleichen. Die energetische Qualität des Quartiers kann über den Endenergiebedarf,den Primärenergiebedarf und die CO²-äquivalenten Emissionen bewertet werden. Derzeit haben bereits mehr als 1.500 Nutzer die deutsche Version des Softwaretools heruntergeladen.

Die Anpassung der Typgebäude auf reale Gebäude(gruppen) erfolgt in sieben Schritten (s. Abb. rechts unten):

  1. Auswahl des Typgebäudes über die Nutzungsart bzw. bei Wohngebäuden über die Gebäudeform; Eingabe der Summe der Nettogrundflächen bzw. Wohnflächen der zugehörigen Einzelgebäude; Bestimmung des energetischen Hüllflächenniveaus
  2. Festlegung des Heizungs- und Trinkwarmwasser-Erzeugungssystems
  3. Die Heizungs- und/oder Trinkwarmwassererzeugung kann ggf. mit einer thermischen Solaranlage ergänzt werden.
  4. Auswahl der Lüftungsart
  5. Wenn nötig, Auswahl und Umfang der Kühlung
  6. Festlegung des Beleuchtungssystems und der Qualität der nutzerabhängigen Geräte
  7. Abbildung des am Gebäude erzeugten Stroms aus erneuerbaren Energien

Der Nutzer kann die Hüllflächen genauer an die Realität oder Planung anpassen und die Art der Gebäudeautomation (Regelungen) bestimmen. Bei einer quartierszentralen Versorgung werden die Erzeugungsarten direkt in der Nahwärme bzw. -kälte und im Stromknoten definiert. Dabei ist auch eine Energieerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen möglich. Über das sog. „offene Typgebäude“ können auch komplexe Gebäude außerhalb des District ECA in Simulationstools berechnet und dann mit ihren energetischen Kennwerten dem Quartier zugeordnet werden. Die Software nutzt den Rechenkern zur DIN V 18599 – der Norm, die die Berechnungsmethode der EU-Gebäudeeffizienzrichtlinie (EPBD) national umsetzt. Das Rechenmodell wurde neben dem direkten Vergleich der Einzelgebäuderesultate mit der Software IBP:18599 auch anhand realisierter Projekte validiert.

Anwendung des District ECA mit Typgebäude-Bibliothek (oben rechts), Bewertungsfeld (oben links) und Sofortergebnissen (unten)
ABBILDUNG: FRAUNHOFER IBP

Die Anpassung der Typgebäude erfolgt in sieben Schritten: 1. Gebäudeinformation, 2. Heizung und Warmwassererzeugung, 3. Solarthermie, 4. Lüftung, 5. Kühlung, 6. Stromverbrauch, 7. Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien
ABBILDUNG: FRAUNHOFER IBP

Neue Funktionen im Tool

Im EU-Projekt MODER wurden zahlreiche Typgebäude ergänzt und alle Nichtwohngebäude als Mehrzonenmodelle abgebildet. Dies ging einher mit einer verbesserten Ergebnispräsentation in Tabellen, Diagrammen und Berichten sowie einer erneuten detaillierten Validierung. Die aktuelle Version des Energiekonzept-Beraters für Stadtquartiere ist als kostenfreier Download verfügbar unter: www.districteca.de

Neue Technologien und Maßnahmenpakete

Technologien wie weitere Wärmepumpentypen, unterschiedliche Kollektortypen, Frischwasserstationen für die Trinkwarmwasserbereitung, Gebäudeautomationsstufen und Speichervarianten innerhalb der Nahwärmeerzeugung erweitern die möglichen Energieversorgungsarten sowohl im Gebäude selbst als auch in der zentralen Versorgung durch eine Quartiersnahwärme. Vorkonfigurierte Maßnahmenpakete wie die umfassende bauliche Sanierung auf zwei unterschiedliche energetische Niveaus in Verbindung mit verschiedenen Heizungsvarianten ermöglichen den schnelleren Umbau des Ist-Zustands eines Quartiers in eine Sanierungsvariante. Neben dem durchschnittlichen Klima für Deutschland (Klimadaten für Potsdam) werden jetzt 14 weitere regionale Klimadaten angeboten.

Kostendatenbank als Grundlage der Ermittlung der Investitionskosten und Energiekosten des Quartiers
ABBILDUNG: FRAUNHOFER IBP

Vogelperspektive der Fertighauswelt Wuppertal
FOTO: BDF

Modul für die Kostenberechnung

Ein neues Toolmodul ermöglicht die Ermittlung der energierelevanten Investitionskosten und der zu erwartenden Energiekosten über eine Kostendatenbank (s. Abb. links). Diese basiert auf den Kostenkennwerten, die auch für die vorbereitenden Untersuchungen zur EnEV 2017 [3] verwendet wurden. Sie enthält Investitionskostenkennwerte für die unterschiedlichen Qualitäten der Gebäudehüllfläche sowie für alle Energieerzeuger in Kombination mit Speicherung, Verteilung und Übergabe. Diese Kennwerte werden an die Bauteil- oder Nettogrundfläche, die Leistung, Anzahl und andere relevante Größen angepasst. Für die Energieverbrauchskosten sind Kennwerte in Abhängigkeit vom jeweiligen Energieträger eingetragen. Die Datenbank kann vom Nutzer an regional niedrigere oder höhere Kosten und an andere Preisreferenzjahre angepasst werden. Zusätzlich haben Anwender die Möglichkeit, eigene Kosten einzutragen und damit eine projektbezogene Kostendatenbank zu erstellen und für ihre Berechnung einzusetzen.

Anwendungsbeispiel: Effizienzhaus Plus-Quartier in Wuppertal

In Wuppertal wurde 2013 eine Fertighausaustellung bestehend aus insgesamt 19 Einfamilienhäusern unterschiedlicher Hersteller errichtet (s. Foto links). Allen Häusern gemein ist der energetische Standard, es handelt sich um Effizienzhäuser Plus [4]. Um das Ziel einer positiven Jahresenergiebilanz zu erreichen, weisen die Häuser im Mittel die Gebäudehüllflächenqualität eines KfW-Effizienzhauses 55 auf, werden durch Wärmepumpen beheizt und wird über die Photovoltaik Strom zur Eigennutzung und Einspeisung ins Stromnetz erzeugt [5].

Anhand von diesem Quartier wird im Folgenden mit dem Energiekonzept-Berater für Stadtquartiere ein Vergleich zwischen zwei unterschiedlichen Hüllflächenniveaus mit zwei verschiedenen gebäudeweisen Versorgungsvarianten durchgeführt:

VARIANTE 1
Gebäudehülle in Kombination mit Fensterlüftung und einem Gasbrennwertkessel mit solarer Trinkwarmwasserbereitung auf EnEV 2016-Niveau

VARIANTE 2
Verbesserte Gebäudehüllen mit unterschiedlichen Lüftungsanlagen, unterschiedlichen Wärmepumpentypen und Photovoltaik – Effizienzhaus Plus-Niveau

Da die Gebäude in der Variante 2 mit ihren realen U-Werten, der jeweiligen Lüftungsanlage (Abluft oder Be- und Entlüftung mit hohen Wärmerückgewinnungsgraden), den eingesetzten Wärmepumpentypen (Außenluft, Abluft oder Erdreich) und den spezifischen Photovoltaikanlagen abgebildet werden, wurde mit 19 Typgebäuden gearbeitet (s. Abb. rechts). Oft können gleichartige Gebäude zusammengefasst und über ein Typgebäude bewertet werden. Die Tabelle links listet die Energie- und Kostenkennwerte auf , die auf die beheizte Wohnfläche bezogen sind. Die Gegenüberstellung zeigt, dass die energierelevanten investiven Mehrkosten von insgesamt 166 €/m² im Wesentlichen (zu 80 %) aus höheren Anlagenkosten entstehen. Demgegenüber entstehen verminderte Energiekosten von 11,6 €/m²a. Bei diesen Kosten sind noch keine Fördergelder für energieeffiziente Gebäude berücksichtigt.

Eingabe des Einfamilienhausquartiers ggf. in der Variante Effizienzhaus Plus
ABBILDUNG: FRAUNHOFER IBP

Interne Expertenversion

Neben der frei verfügbaren Version des Energiekonzept-Beraters für Stadtquartiere arbeitet das Fraunhofer-Institut für Bauphysik auch an einer internen Expertenversion, die es ermöglicht, die Gebäudegeometrie an Bestands- und bereits durchgeplante neue Gebäude anzupassen und weitere Technologien abzubilden. Die Berechnungen des District ECA können dabei über feingranulare Lastprofile genauer mit den dynamischen Wärme- und Stromerzeugerkennwerten abgestimmt werden. Die Autoren danken für die Unterstützung durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi, FKZ 0327400N), die EU (GA-Nr. 680447) und das Bundesbauministerium/BBSR (AZ SWD-10.08.18.7-15.48), ohne die die Entwicklung des Energiekonzept-Beraters für Stadtquartiere nicht möglich gewesen wäre.

Kennwert
Werte beinhalten auch den Nutzerstrom
Einheit
bezogen auf die Wohnfläche
Variante 1
EnEV 2016-Niveau¹
Variante 2
Effizienzhaus Plus-Niveau²
Endenergiebedarf kWh/m²a 144 − 10
Primärenergiebedarf kWh/m²a 164 − 18
CO²-äquivalente Emissionen kg/m²a 40 − 5
Energierelevante bauliche Kosten (Hüllflächen) €/m² 616 649
Energierelevante Kosten der Anlagentechnik €/m² 268 401
Summe der energierelevanten investiven Kosten €/m² 884 1.050
Energiekosten €/m²a 19,2 7,6

¹ Fensterlüftung, Gas-Brennwertkessel, solarthermische Warmwasserbereitung
² Verbessertes Hüllflächenniveau, Wärmepumpen, Photovoltaik

Quellen


[1] Erhorn-Kluttig, H.; Erhorn, H.; Weber J.; Wössner, S.; Budde, E.: Der Energiekonzept-Berater für Stadtquartiere. Ein Potenzialbewertungstool aus der Forschungsinitiative EnEff:Stadt. Fraunhofer IRB Verlag, ISBN 978-3-8167-9139-3

[2] EU Horizont 2020-Projekt MODER: Mobilization of innovative design tools for refurbishing of buildings at district level. Die Arbeiten des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik in MODER wurden innerhalb der Zukunft Bau Forschungsinitiative gefördert. Informationen zu den Projektergebnissen sind verfügbar unter cordis. europa.eu/project/id/680447 und www.baufachinformation.de/euprojekt-moder-mobilisierung-voninnovativen-design-tools-fuer-diesanierung-von-gebaeuden-aufquartiersebene/buecher/252208

[3] Maas, A.; Schlitzberger, S.: EnEV 2017 – Vorbereitende Untersuchungen. BBSR-Online-Publikation Nr. 16/2017

[4] Forschungsinitiative Effizienzhaus Plus: Webseite der Forschungsinitiative Effizienzhaus Plus. www.zukunftbau.de/effizienzhaus-plus

[5] Living Lab Wuppertal: Praxis-Vergleich verschiedener Speicherstrategien für Plusenergiehäuser in exemplarischen Wohnsiedlungen. www.zukunftbau.de/effizienzhausplus/forschung/effizienzhausplus-im-quartier

Die Autoren


Heike Erhorn-Kluttig, Simon Wössner, Eike Budde, Hans Erhorn
Heike Erhorn-Kluttig, Simon Wössner und Eike Budde sind Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut für Bauphysik (IBP). Hans Erhorn ist Principal Adviser des Fraunhofer IBP.

www.ibp.fraunhofer.de

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