Energiequartier Feldafing: CO₂-neutrale Wärme und Strom

Energiequartier Feldafing: CO₂-neutrale Wärme und Strom

Realisierte Objekte

Energiequartier Feldafing: CO₂-neutrale Wärme und Strom

Text: Arthur Dornburg | Foto (Header): © RALF LUETHY – FIELD OF VIEW.MEDIA

Die Gemeinde Feldafing am Starnberger See versorgte seit Jahren ihre Turnhalle und die benachbarte Anlage für Betreutes Wohnen mit Wärme aus einer konventionellen erdgasbefeuerten Heizzentrale. Im Rahmen einer Sanierungsmaßnahme hat die Gemeinde nicht nur eine vollständig CO₂-neutrale Wärme- und Stromversorgung realisiert, sondern auch benachbarte kommunale Gebäude als Quartierslösung in das Gesamtenergiekonzept miteingebunden.

Auszug aus:

Im Allgemeinen bieten Neubauvorhaben viele Ansätze für klimafreundliche Energieversorgungskonzepte. Was aber geschieht mit dem gesamten Altbaubestand? Die Gemeinde Feldafing hat in ihrem Projekt „Energiequartier Feldafing“ im Rahmen einer Sanierungsmaßnahme eine klimafreundliche, wirtschaftliche und versorgungssichere Lösung realisiert. Die konsequente Quartierslösung, die pro Jahr rund 302 Tonnen CO₂ einsparen soll, wurde als kommunales Modellprojekt im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative (NKI) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) mit rund 260.400 Euro gefördert. Erste Überlegungen einer klassischen KfW-Förderung – die GEG-Förderung gab es zum Projektstart noch nicht – waren schnell verworfen worden. Die Gemeinde hatte sich stattdessen entschlossen, mit einem ambitionierteren Anspruch die Möglichkeiten im Rahmen der nationalen Klimaschutzinitiative zu beantragen. Die Zusage der Förderung erfolgte 2021 – ab diesem Zeitpunkt hat das Projektteam vier Jahre lang Zeit, das Fördergeld einzusetzen.

Angefangen haben die Überlegungen zum „Innovationspaket Energiezentrale“ wegen der nötig gewordenen Turnhallensanierung, in deren Zuge auch die entsprechende Heizungsanlage – ein alter Gaskessel – ausgetauscht werden sollte. Mit der Planung und Umsetzung wurde im Dezember 2018 das PEWU Feldafing beauftragt. In Zusammenarbeit mit dem Ingenieurbüro Bluemove Consulting GmbH hat das Kommunalunternehmen in der Folge das Konzept für das „Energiequartier Feldafing“ erstellt und immer wieder überarbeitet. Dabei hat sich das Vorhaben schnell zu einer umfassenden, sektorübergreifenden Quartierslösung entwickelt, die das umliegende Areal miteinbezog und später noch weitere Klimaschutzpläne anstieß. Im ersten Schritt wurde überlegt, an die neue Heizzentrale in der Turnhalle auch die benachbarten Gebäude des Betreuten Wohnens, des Kindergartens, des Feuerwehrhauses und des Polizeigebäudes anzuschließen. Das Betreute Wohnen war schon in der Vergangenheit aus der Turnhalle mit Wärme versorgt worden. Die Anbindung der weiteren Gebäude, die bis dato mit eigenen Gaskesseln versorgt wurden, sollte neu hinzukommen und nach Fertigstellung der neuen Energiezentrale per weiterer Nahwärmeleitungen erfolgen.

Ersatz für Gaskessel

Aus heutiger Sicht ist der konsequente Schritt der Gemeinde beachtenswert. Selbst eine Lösung, bei der ein Gaskessel zur Spitzenlastabdeckung eingesetzt wird, wurde schnell verworfen. Der Einsatz von Erdgas lediglich zur Erzeugung von Wärme in Gaskesseln ist künftig nur noch schwer vorstellbar. Das ändert sich perspektivisch auch nicht durch Biogas oder Wasserstoff. Diese klimafreundlichen Energieträger sind zu teuer, aber auch zu kostbar für reine Heizzwecke. Sie werden in anderen Anwendungen, wie der Industrie oder in Teilen des Mobilitätssektors, dringender benötigt. Doch von Anfang an: Für das Feldafinger Projekt wurden grundsätzlich im Rahmen eines Variantenvergleichs diverse andere Optionen hinsichtlich CO₂-Einsparung und Wirtschaftlichkeit überprüft. Auf Wunsch des Gemeinderats wurde auch der Einsatz von PV-Anlagen auf den Dächern weiterverfolgt. Dabei ging es hauptsächlich darum, wie der PV-Strom in das Zusammenspiel von BHKW und Wärmepumpen eingebunden werden kann. In Summe wurden folgende Ansätze untersucht:
— Grundlast-BHKW zzgl. Wärmepumpe (WP) & PV
— Grundlast-BHKW zzgl. Pellets & PV
— vollständige Wärmeversorgung über BHKWs inkl. Power to Heat (P2H)
— Kombination aus BHKW, Wärmepumpen, Schichtspeicher und P2H
Als wichtigstes Ergebnis der Untersuchungen stellte sich heraus, dass der lokale Stromüberschuss der größte Hebel bei der CO₂-Einsparung sein wird. Neben der kohlendioxidfreien Wärmeversorgung kann auch der gesamte Eigenstrombedarf der betroffenen Gebäude mit „Feldafinger Ökostrom“ gedeckt werden. Zudem reicht der zusätzliche Stromüberschuss aus, um sektorenübergreifend auch den lokalen Fuhrpark CO₂-frei zu bewegen.

Eine Beheizung mit Holzpellets musste verworfen werden, da eine Zufahrt für LKWs nicht möglich war. Eine Lösung ausschließlich mit Wärmepumpen hatte Nachteile in der Wirtschaftlichkeit. Überdies könnte nur ein sehr kleiner Teil des zusätzlichen Strombedarfs durch eigenen Solarstrom abgedeckt werden. Vor dieser Herausforderung stehen künftig viele Bestandsimmobilien. BHKW-Lösungen, mit und ohne Wärmepumpen, komplettierten den Variantenvergleich. Somit hat sich das Resultat einer differenzierten und technologieoffenen Betrachtung als zukunftsweisend erwiesen und würde auch heute noch so entschieden und realisiert werden.

1 | Übersicht über die Energieströme im Feldafinger Energiequartier. Die Gesamtheit aller umgesetzten Maßnahmen, in Kombination mit Wärme- und Stromspeicher sowie entsprechender Power-to-Heat-Anlagen, bildet die Grundlage einer ganzjährigen Versorgungssicherheit mit ausreichender „Stromautarkie“.
ABBILDUNG: BLUEMOVE CONSULTING GMBH

BHKW als Brückentechnologie

Am wirtschaftlichsten war zunächst eine konsequente BHKW-Lösung. Grundlage hierfür ist eine erweiterte „Stromautarkie“. Kritisch wurde jedoch auch hier bereits 2020 der Einsatz von Erdgas bewertet. Aus heutiger Sicht und in Anbetracht der Ereignisse um den Krieg in der Ukraine gilt das mehr denn je. Eine BHKW-Lösung ohne die Nutzung von Biogas bzw. Biomethan und eine Vorbereitung auf H₂-ready ist künftig in der Immobilienwirtschaft schwer vorstellbar. Oft wird als Ergänzung zu den volatilen Energiequellen aus Sonne und Wind der Bedarf von Grundlastkraftwerken propagiert. Diese führen jedoch zu unnötigen Abschaltvorgängen der gewünschten nachhaltigen Energieerzeugung und verursachen daher hohe Zusatzkosten. Wichtiger sind „flexible“ Kraftwerke, die schnell und bedarfsgerecht zu- oder abgeschaltet werden können. BHKW werden daher für eine effiziente und funktionierende Transformation des Gebäudesektors als Brückentechnologie benötigt. Gerade die dezentrale Anwendung mit hohen Gesamtwirkungsgraden durch eine umfangreiche Wärmeauskopplung hat hier auch Vorteile gegenüber großen Gaskraftwerken. Überdies kann der Strom direkt am Verbraucher bedarfsgerecht erzeugt werden und ermöglicht somit einen wirtschaftlicheren markt- und netzdienlichen Betrieb der Gesamtanlage.

Um aber auch den Einsatz von wertvollem, CO₂-neutralem Gas möglichst gering zu halten, wurde eine Kombination aus BHKW und Wärmepumpen realisiert. Die Wärmepumpen werden, soweit möglich, mit eigenem Solarstrom betrieben. Im Spitzenlastfall läuft ein kombinierter Betrieb mit den BHKWs. Diese sichern den zusätzlichen Eigenstrombedarf und die effiziente Bereitstellung höherer Vorlauftemperaturen. Durch diese „Kombilösung“ besteht die Möglichkeit einer erweiterten CO₂-Reduktion. Zudem lässt sich der Einsatz von Erdgas möglichst gering halten. Der geringe Gasbedarf erleichtert dann auch die Verfügbarkeit von Biomethan und künftig den Einsatz grünen Wasserstoffs.

Basis der künftigen Betriebssicherheit ist ein angemessenes Speicherkonzept. Für die Wärmeversorgung wurde ein großer Schichtwärmespeicher vorgesehen. Das reduziert Nachteile aus taktenden Aggregaten und ermöglicht kurzfristig auch eine strom- bzw. netzdienliche Betriebsweise. Als „Stromsenke“, aber auch zur Spitzenlastabdeckung sowie zur Ausfallsicherheit wurde eine Power-to-Heat-Anlage (P2H) eingeplant. Ein zusätzlicher Stromspeicher ermöglichte erweiterte Flexibilität auf der Stromseite. Der Bau der BHKW-Anlage mit Wärmepumpe wurde freihändig vergeben. Den Zuschlag erhielt die Energieoptimierer GmbH. Die Inbetriebnahme der Heizanlage erfolgte im September 2022, der Bau der Nahwärmeversorgung wurde im September 2023 abgeschlossen.

Feldafing versorgt kommunale Gebäude CO₂-frei mit Energie
Das Projekt Energiequartier hatte eine große Signalwirkung in der Gemeinde. Über das Projekt hinaus wurde 2022 bereits vom Gemeinderat fraktionsübergreifend und einstimmig beschlossen, dass sämtliche kommunalen Gebäude möglichst kurzfristig komplett CO₂-frei mit Energie versorgt werden. Im Wesentlichen bedeutet das die konsequente Belegung kommunaler Dächer und Flächen mit PV-Anlagen sowie die vollständige Beseitigung von Gaskesseln in den nächsten Jahren. Für das größte gemeindeeigene Gebäude, dem Bauhof, wurde kurzfristig die Installation einer großen PV-Anlage verabschiedet. Innerhalb kürzester Zeit konnten bereits vor Weihnachten 2022 erste Module installiert werden. Durch den geringen Eigenstromverbrauch im Bauhof resultiert ein großer Stromüberschuss. Das führt zur Anbindung an das benachbarte „Energiequartier“. Das passt gut zur Ankündigung des Verbands Wohnen in unmittelbarer Nähe zum Energiequartier, einen weiteren Neubau zu planen. Auch dieser kann dann mit Wärmepumpen aus dem lokalen „Stromüberschuss“ komplett CO₂-frei versorgt werden.

Perspektiven mit Wasserstoff
in Quartieren

Derzeit wird die technologische Erweiterung der Quartierslösung in Feldafing auf den Einsatz von Wasserstoff vorbereitet, auf dessen 100 %igen Einsatz BHKWs leicht umzurüsten bzw. schon H₂-ready sind. Sinnvoll und praktikabel sind die lokale Produktion und Zwischenlagerung aus temporären Stromüberschüssen. Dem Wasserstoff kommt dann die Rolle des Langzeit- bzw. Saisonspeichers zu. Im Rahmen der Rückverstromung dient er als Kraftstoff für die BHKWs. Berechtigt ist hier sicher der Einwand der Effizienzfrage, welche sich jedoch durch die Verwertung von „Energieüberschüssen“, welche ja teilweise zur Abschaltung von Anlagen führt, relativiert.

Die Autoren


Arthur Dornburg
Dipl.-Ing. Arthur Dornburg ist Geschäftsführer der bluemove consulting GmbH & bluemove mobility GmbH. Der leidenschaftliche Pionier im Bereich erneuerbarer Energien verfügt über langjährige Erfahrungen in den Bereichen Biogas und Solartechnik, Energie-Contracting, Blockheizkraftwerke, Energiezentralen und Fernwärmenetze.
www.bluemove-consulting.de

Andreas Keller
Dipl.-Ing. Bauingenieurwesen
Vorstand PEWU-Feldafing KU

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