Holz in der Aufstockung: Konstruktionsdetails und Ökobilanzierung

Holz in der Aufstockung: Konstruktionsdetails und Ökobilanzierung

Titelthema

Holz in der Aufstockung: Konstruktionsdetails und Ökobilanzierung

Text: Maren Fath, Michael Storck, Mike Sieder & Annette Hafner | Foto (Header): © RONSTIK – stock.adobe.com

Ressourcen müssen effizienter genutzt und neuer Wohnraum muss geschaffen werden – ohne dabei neue Flächen in Anspruch zu nehmen. Dabei stellen Aufstockungen zur Nachverdichtung bestehender städtischer Strukturen ein adäquates Werkzeug dar. Ein Forschungsprojekt der Ruhr-Universität Bochum und der TU Braunschweig erarbeitet dazu Konstruktionsdetails und bewertet die Aufstockungsmaßnahmen in ökologischer Hinsicht.

Auszug aus:

Ein wesentliches Teilziel der Klimaschutzlangfriststrategie der Bundesregierung ist es, in Deutschland bis 2050 einen annährend klimaneutralen Gebäudebestand zu erreichen. Der Primärenergiebedarf des Bestands muss zum Erreichen dieses Teilziels um etwa 80 % im Vergleich zu 2008 gesenkt werden [1]. Zusätzlich plant die Bundesregierung, die Flächenneuinanspruchnahme in Deutschland bis 2030 auf 30 ha pro Jahr gegenüber 58 ha im Jahr 2017 zu reduzieren. Gleichzeitig schreitet aber die Urbanisierung von Städten wie Berlin, München, Hamburg, Köln oder Frankfurt am Main weiter voran. In den genannten Städten wächst die Einwohnerzahl bereits überdurchschnittlich [2]. Aufstockungen reduzieren den Treibhausgasausstoß eines Bestandsgebäudes durch die Überbauung der obersten Geschossdecke mit beheiztem Raum und dem damit verbundenen gesamtflächenbezogenen Energiebedarf des Gebäudes. Holzbauweisen bieten sich aufgrund ihres geringen Gewichts für die Nutzung der Traglastreserven im Bestand besonders an. Ein hoher Vorfertigungsgrad trägt zu kurzen Bauzeiten bei. Bei der Planung einer Aufstockung ist jedoch besonders große Sorgfalt in der Detailplanung notwendig. Da die Holzkonstruktion der Aufstockung nicht wie üblich auf einer Bodenplatte gegründet wird, sondern auf der obersten Geschossdecke eines bereits bestehenden Gebäudes, besteht ohne genaue Planung ein Risiko der langfristigen Beeinträchtigung des Bestands durch Schäden infolge von Planungs- und Ausführungsfehlern. Aufgrund von fehlenden oder fehlerhaften Unterlagen zum Bestandsgebäude ist außerdem mit unsicheren Verhältnissen des Anschlussbereichs während der Maßnahme zu rechnen. Eine umfassende Erkundung des Bestands sollte vorab vorgesehen werden, um Bauverzögerungen zu verhindern.

Projekt Holz in der Aufstockung

Aufstockungen bieten eine Vielzahl von verschiedenen Konstruktionsmöglichkeiten, die neben Kosteneinsparungen auch ökologische Potenziale bieten. Im Rahmen eines Forschungsprojekts der Ruhr-Universität Bochum und der TU Braunschweig werden derzeit konstruktive Fragestellungen – hauptsächlich im Anschlussbereich Bestand an Aufstockung – sowie ökologische Vorgehensweisen herausgearbeitet. Das Forschungsvorhaben erarbeitet beispielhaft Aufstockungskonstruktionen, die Planern und Entscheidungsträgern dann frei zugänglich zur Verfügung gestellt werden. Dazu wird ein baukonstruktiver Detailkatalog mit verschiedenen Aufstockungskonstruktionen (Wand, Dach, Decke) in Holz erstellt, der neben konstruktiven Lösungen auch eine ökologische Bewertung beinhaltet. Insbesondere wird der Anschluss des Bestands an die neu zu erstellende Aufstockung untersucht und es werden Lösungen für typische Konstruktionen aus verschiedenen Baualtersklassen angeboten. Aus ökologischer Sicht wird eine transparente Vorgehensweise zur ökologischen Bewertung von Aufstockungsmaßnahmen erstellt und eine Integration der erarbeiteten Ergebnisse in eLCA vorgenommen. Im Folgenden werden erste Ergebnisse des Vorhabens vorgestellt.

Bauphysikalische Anforderungen bei der Aufstockungsplanung

WÄRMESCHUTZ
Das Gebäudeenergiegesetz (GEG) beinhaltet sowohl Anforderungen an Neubaumaßnahmen als auch an bestehende Gebäude. § 51 des GEG „Anforderungen an ein bestehendes Gebäude bei Erweiterung und Ausbau“ ist auf Aufstockungsmaßnahmen als Erweiterung eines bestehenden Gebäudes um beheizte Räume anzuwenden. Der Paragraf schreibt vor, dass bei einer Erweiterung eines Wohngebäudes „der spezifische, auf die wärmeübertragende Umfassungsfläche bezogene Transmissionswärmeverlust der Außenbauteile der neu hinzukommenden beheizten Räume das 1,2-Fache des entsprechenden Werts des Referenzgebäudes“ gemäß Anlage 1 des GEG nicht überschreiten darf. Die nachfolgende Tabelle gibt die wichtigsten Daten aus Anlage 1 des GEG an. Die Werte für das Referenzgebäude werden in diesem Fall nur auf den erweiterten beheizten Raum, also die Aufstockung, bezogen. Der Bestand selbst muss infolge einer Aufstockungsmaßnahme nicht zwangsläufig energetisch saniert werden, sofern durch die Maßnahme keine weiteren Änderungen am Bestand vorgenommen werden.

§ 9 GEG sieht für 2023 eine Überprüfung und ggf. eine Änderung der bestehenden Regelungen für zu errichtende Gebäude nach Teil 2 und für bestehende Gebäude nach Teil 3 vor. Der derzeitige Stand der Novellierung sieht keine Änderungen betreffend der dargestellten Inhalte zu Erweiterung und Ausbau bestehender Gebäude oder der Angaben zum Referenzgebäude vor [4].

Nummer Bauteile/Systeme Referenzausführung/Wert (Maßeinheit)
Eigenschaft
1.1 Außenwand (einschließlich Einbauten wie Rollladenkästen), Geschossdecke gegen Außenluft Wärmedurchgangskoeffizient U = 0,28 W/m²K
1.2 Außenwand gegen Erdreich, Bodenplatte, Wände und Decken zu unbeheizten Räumen Wärmedurchgangskoeffizient U = 0,35 W/m²K
1.3 Dach, oberste Geschossdecke, Wände zu Abseiten Wärmedurchgangskoeffizient U = 0,20 W/m²K

1 | Technische Ausführungen des Referenzgebäudes nach Anlage 1 GEG [3]

FEUCHTESCHUTZ
Zur Sicherstellung eines ausreichenden Feuchteschutzes müssen die Anforderungen nach DIN 4108-3 in Verbindung mit DIN 68800 eingehalten werden. Ist bei einer Aufstockungsmaßnahme eine zusätzliche lastverteilende Ebene auf der obersten Geschossdecke vorzusehen, muss besonders auf den Tauwasserschutz in der Luftschicht zwischen Bestandsdecke und neuer Fußbodenkonstruktion geachtet werden. Die Luftschicht muss luftdicht an alle Begrenzungsbauteile wie Außenwände oder Treppenhauswände angeschlossen
werden, um das Eindringen von Feuchtigkeit in die Luftschicht zu verhindern.

SCHALLSCHUTZ
Bauaufsichtliche Regelungen zum Schallschutz werden grundsätzlich in der DIN 4109 geregelt. Hierzu gehören auch Anforderungen an den Trittschallschutz, der im Rahmen einer Aufstockungsmaßnahme für die oberste Geschossdecke des Bestands von besonderer Bedeutung ist. Bei Aufstockungsmaßnahmen ist die oberste Geschossdecke, auf die aufgestockt wird, zuvor nicht für den dauernden Aufenthalt von Personen vorgesehen, sondern oft als Lagerfläche oder Trockenboden gedacht. Aus diesem Grund ist die oberste Geschossdecke selten ausreichend für den Trittschallschutz ausgelegt. Der Einbau einer neuen lastverteilenden Ebene hat hierbei den Vorteil, dass der Fußboden der Aufstockung schallschutztechnisch vom Bestand getrennt werden kann. Zusätzlich wird so sichergestellt, dass die ggf. nicht ausreichend tragfähige Bestandsdecke nicht durch eine veränderte Nutzlast infolge zukünftiger Wohnnutzung sowie einen neuen notwendigen Fußbodenaufbau belastet wird.

BRANDSCHUTZ
Bei einer Aufstockungsmaßnahme ändert sich durch die Anhebung der Höhe der obersten Geschossdecke oftmals die Gebäudeklasse des Gebäudes. Die maßgebenden Regelungen zum Brandschutz enthalten die jeweiligen Landesbauordnungen der Länder, welche im Folgenden aufgrund der Komplexität nicht weiter ausgeführt werden. Weitere Informationen zum Brandschutz bei Aufstockungsmaßnahmen können aber [5] entnommen werden.

Anschlusssituationen

Je komplexer ein Aufstockungsgrundriss geplant wird, umso vielfältiger werden die zu planenden Details. Im Sinne der Wirtschaftlichkeit von Aufstockungsmaßnahmen empfiehlt es sich, den Planungsaufwand durch eine Reduzierung der relevanten Details so gering wie möglich zu halten. Für flächendeckende und leicht duplizierbare Aufstockungsmaßnahmen bieten sich maßgeblich Gebäudeensemble der 1950er- bis 1980er-Jahre an, da diese aufgrund der Ensemblebildungen einfache und sich wiederholende Grundrisse aufweisen. So können mehrere Aufstockungsmaßnahmen mit geringerem Planungsaufwand durchgeführt werden, und die zu berücksichtigende Detailzahl verringert sich deutlich. In Abbildung 2 sind verschiedene Details dargestellt, die bei der Planung von Aufstockungen auftreten können.

Einige der Details werden im Folgenden beispielhaft dargestellt und erläutert.

2 | Prinzipskizze möglicher Details für den Anschlussbereich Bestand/Aufstockung: Detail A: Fassadengleicher Anschluss Außenwand Bestand/Außenwand Aufstockung Detail B: Auskragende Bestandsdecke Detail C: Loggia ausschließlich in der Aufstockung Detail D: Aufstockungsaußenwand auf auskragender Geschossdecke Detail E/F: Austritt Loggia/Dachterrasse
ABBILDUNG: MAREN FATH, IBHOLZ

Detail A – Fassadengleicher Anschluss Außenwand Bestand/Außenwand Aufstockung

Neben einem präzisen optischen Anschluss der Bestandsfassade und der Aufstockungsfassade muss bei einem fassadengleichen Anschluss vor allem auf entstehende Wärmebrücken geachtet werden. Sofern der Bestand zusätzlich zur Durchführung der Aufstockungsmaßnahme energetisch saniert wird, sind Wärmebrückenproblematiken relativ leicht einzugrenzen. Findet allerdings keine energetische Sanierung des Bestands statt, müssen die im Anschlussbereich entstehenden Wärmebrücken spezifisch untersucht und muss ggf. die Anordnung von Flankendämmung im Anschlussbereich vorgenommen werden. Wird für die Aufstockung eine neue lastverteilende Ebene vorgesehen, ist die Wärmebrückenproblematik von besonderer Bedeutung. Um sicherzustellen, dass in den entstehenden Hohlraum zwischen oberster Geschossdecke des Bestands und neuer Fußbodenkonstruktion der Aufstockung keine Außenluft eindringt, müssen die Wärmebrücken in diesem Bereich intensiv betrachtet werden. So können Schäden am Bestand und der Aufstockung vermieden werden.

Ist die oberste Geschossdecke ausreichend tragfähig und wird somit keine zusätzliche lastverteilende Ebene benötigt, wie in Abbildung 3 dargestellt, kann für die ideale Ausrichtung der Konstruktion eine Nivellierschwelle unmittelbar auf die Bestandsdecke oberhalb der Außenwandkonstruktion des Bestands angebracht werden. Bauphysikalisch muss im Übergang vor allem auf entstehende Wärmebrücken geachtet werden. Für den neuen Fußbodenaufbau sind die Anforderungen des Schallschutzes einzuhalten, und ein ausreichender Trittschallschutz ist vorzusehen.

Abbildung 4 zeigt einen fassadengleichen Anschluss bei Anordnung einer zusätzlichen lastverteilenden Ebene – hier als Massivholzdecke aus Brettsperrholz. Wird der Bestand nicht energetisch saniert und fällt also die eingezeichnete Dämmung der Bestandsaußenwand weg, so wird schnell die Wärmebrückenproblematik im Anschlussbereich deutlich. Wird keine ausreichende Flankendämmung am Bestand bzw. über den Anschlussbereich angebracht, kann dies schnell zu Feuchtigkeitskondensation im neu entstandenen Hohlraum, aber auch hohen Wärmeverlusten durch die oberste Geschossdecke des Bestands sowie durch die neue Fußbodenkonstruktion der Aufstockung führen. Da der Hohlraum unzugänglich ist, können weitreichende Feuchteschäden unentdeckt langfristige Schäden an Aufstockung und Bestand hervorrufen. Der Einbau von Revisionsöffnungen in der Fußbodenkonstruktion der Aufstockung stellt ein adäquates Mittel für eine frühzeitige Schadensentdeckung und -erkennung dar.

3 | Anschluss Außenwand und Fassadenübergang Bestand an Aufstockung ohne zusätzliche lastverteilende Ebenen
ABBILDUNG: MAREN FATH, IBHOLZ

4 | Anschluss Außenwand und Fassadenübergang Bestand an Aufstockung mit zusätzlicher lastverteilender Ebenen aus Brettsperrholz
ABBILDUNG: MAREN FATH, IBHOLZ

Detail E/F – Austritt Loggia/Dachterrasse

Die Abbildungen 5 und 6 zeigen den Austrittsbereich einer Loggia bei Anordnung einer neuen lastverteilenden Ebene. In Abbildung 5 wird ersichtlich, dass die Planung der Anschlussdetails bei Anordnung einer lastverteilenden Ebene keineswegs trivial ist. Wie zuvor bereits beschrieben, ist auch hier auf eine spezifische Untersuchung der Wärmebrückensituation für die lastverteilende Ebene zu achten. Ein weiterer herausfordernder Planungsaspekt ist bei diesem Anschluss die Herstellung einer luftdichten Ebene, da auch in den Hohlraum keine Luft von außen eindringen darf. Da der entstehende Hohlraum in der lastverteilenden Ebene sehr groß sein kann, muss dort von einer internen Konvektion der Luft ausgegangen werden. Eindringende Feuchtigkeit kann somit weit in die Konstruktion verteilt werden. Ebenso führt die eindringende Außenluft zu einer Abkühlung der Bestandsdecke und der neuen Fußbodenkonstruktion und so zu energetischen Verlusten. Zum Verschließen des Hohlraumes empfiehlt sich beispielsweise das Anbringen einer OSB-Platte im Anschlussbereich, welche luftdicht mit der restlichen Konstruktion verklebt wird – siehe Abbildung 5 Detailpunkt (1).

Im Übergang der Fassade zur Loggia muss die Außenwand der Holzkonstruktion wie im Sockelbereich eines Gebäudes vor Spritzwasser geschützt werden. Ebenso ist sicherzustellen, dass sich durch ein ausreichendes Gefälle des Fußbodens der Loggia von der Außenwand weg kein Regenwasser an der Fassade ansammeln kann – siehe Abbildung 5 Detailpunkt (2). Durch die Bestandsdecke hindurch kann dabei i. d. R. keine Entwässerung erfolgen, diese muss seitlich über angrenzende Außenwände oder entlang des Gefälles weg von der Außenwand geplant werden.

In Abbildung 6 wird der barrierefreie Austritt auf die Loggia dargestellt. Für einen ausreichenden Feuchteschutz muss in diesem Bereich eine Entwässerungsrinne vorgesehen werden, siehe Detailpunkt (3). Die Balkenlage in Detailpunkt (4) muss nicht nur nach oben hin abgedichtet werden. Da sich die Balken in einer exponierten Lage befinden, sollte zusätzlich eine Abdichtung vertikal entlang der Hirnholzenden der Balken bis auf die Bestandsaußenwand geführt werden.

5 | Anschlussdetail im Außenwandbereich einer Loggia bei Anordnung einer zusätzlichen lastverteilenden Ebene
ABBILDUNG: MAREN FATH, IBHOLZ

6 | Anschlussdetail im Austrittsbereich einer Loggia bei Anordnung einer zusätzlichen lastverteilenden Ebene
ABBILDUNG: MAREN FATH, IBHOLZ

Ökobilanz von Aufstockungsmaßnahmen

Um die Klima- und Ressourcenwirkung von Aufstockungsmaßnahmen bewertbar zu machen, können Ökobilanzen die Umweltwirkungen und Ressourcenverbräuche über den Lebenszyklus eines Gebäudes darstellen. Ökobilanzen, auch LCA-Analyse (Life Cycle Assessment) genannt, erfassen systematisch die Umweltwirkungen aus Produktions‑, Verfahrens‑, und Dienstleistungsprozessen eines Gebäudes entlang des Lebenszyklus und können über Anpassungen auch für Aufstockungsmaßnahmen angewendet werden. Die gewonnenen Informationen können z. B. zur Entscheidungsfindung über die Auswahl von Baumaterialien oder Heizsystemalternativen dienen.

Normative Grundlage zur Berechnung von Ökobilanzen im Gebäudebereich liefert die DIN EN 15978 [7]. Die Umweltwirkungen können unterschieden werden in betrieblich bedingte Wirkungen und die durch Bauprodukte ausgelösten Wirkungen. Normengrundlage für die Berechnung von Bauprodukten liefert DIN EN 15804 [8]. Der Lebenszyklus des Gebäudes unterteilt sich normgemäß in verschiedene Lebenszyklusphasen von der Herstellung (Modul A) über die Nutzungsphase (Modul B) bis hin zur Entsorgungsphase (Modul C) des Gebäudes. Für Aufstockungsmaßnahmen ergeben sich ökologische Vorteile durch Einsparungen der Herstellung von bestehenden Bestandsstrukturen, die Verringerung der Energien zum Betrieb des Gebäudes durch die Kombination einer Sanierung mit einer Aufstockung und durch die Schaffung von Wohnraum auf bereits bebauten Flächen ohne weiteren Flächenverbrauch.

Die positive Wirkung von Aufstockungen lässt sich durch die gegenüberstellende Ökobilanzierung von Aufstockungen mit dem Fall eines Abrisses des Gebäudes und Neubau an der gleichen Stelle nach aktuellem Baustandard verdeutlichen. Die Vorteile des Einsparens von Herstellungsenergien der Baumaterialien werden hierbei gegenüber potenziell eingesparten Energien durch einen verbesserten Wärmedämmstandard gestellt. Anhand einer Beispielrechnung wird im Folgenden die Rechenmethodik zur Ökobilanz von  Aufstockungsmaßnahmen vorgestellt und gezeigt, inwieweit sich Ergebnisse aus dem Vergleich Aufstockung gegenüber Abriss und Neubau über einen angenommenen Lebenszyklus von 50 Jahren ergeben.

Da die Ökobilanz vornehmlich für den Fall eines Neubaus entwickelt wurde, sind entsprechende Änderungen in der Lebenszyklusbetrachtung vorzunehmen. Angenommen wird, dass das untersuchte Produktsystem das Gesamtgebäude inklusive der Aufstockung und Bestandsbauteile umfasst. In Anlehnung an die in DIN EN 15804 und DIN EN 15978 werden die Lebenszyklusmodule angepasst verwendet. Abbildung 7 zeigt hierzu grafisch die angepassten Lebenszyklusmodule; das Verfahren kann sowohl für Aufstockungen als auch für Sanierungen verwendet werden. Es wird davon ausgegangen, dass zur Herstellung des neuen Gesamtgebäudes sämtliche Materialien, die aus dem Gebäude entfernt werden, wie z. B. der Dachstuhl, mitbilanziert werden. Diese werden in Modul C zum Zeitpunkt null (C0) ohne Berücksichtigung des biogenen Kohlenstoffspeichers bilanziert. Gleichzeitig verbleiben viele der Bestandsbauteile, etwa Decken und Wände, im Gebäude. Diese lösen keine Umweltwirkungen in der Herstellung aus, müssen aber über den Betrachtungszeitraum weiter instand gesetzt werden (B2-4 Bestand). Während der Maßnahme werden neue Gebäudeteile ins Gebäude eingebracht, etwa neue Fenster oder die gesamte Aufstockungskonstruktion. Diese Bauteile werden, ähnlich wie im Fall eines Neubaus sowohl in der Herstellung zum Zeitpunkt null (Modul A0) als auch in der Instandsetzung (B2-4 neue Bauteile) bilanziert. Der betriebliche Energieeinsatz durch Heizung und Warmwasserbereitung wird über 50 Jahre im Modul B6 berechnet. Am Ende des Lebenszyklus wird angenommen, dass das gesamte Gebäude bestehend aus Bestand und Aufstockung rückgebaut wird (C50).

7 | Grafische Darstellung der angepassten Lebenszyklusmodule für Aufstockungs- und Sanierungsmaßnahmen
ABBILDUNG: MICHAEL STORCK, LEHRSTUHL REB

Ökobilanz Berechnungsergebnisse

Um die Vorteilhaftigkeit von Aufstockungen aus ökologischer Nachhaltigkeitsbetrachtung darzustellen, wird eine real durchgeführte Aufstockungsmaßnahme im Vergleich zu einer fiktiven Neubaumaßnahme auf dem gleichen Grundstück, mit gleicher Kubatur, Wohnfläche und sonstigen gleichen Annahmen über einen Lebenszyklus von 50 Jahren betrachtet. Als Wirkungsindikator werden die Treibhausgasemissionen (Global Warming Potential – GWP) sowohl der Bauteile als auch im betrieblichen Energieeinsatz ermittelt. Das funktionale Äquivalent wird auf einen m² Bruttogrundfläche (BGF) festgelegt. Die Berechnungsgrundlage der Aufstockungsmaßnahme bilden die Ausführungspläne der Maßnahme. Für die Abriss-Neubau-Variante wurde ein typischer Neubaustandard aus massiver Konstruktion im energetischen Standard eines KfW-55 Gebäudes gewählt. In beiden Fällen wird die Energie zur Heizung des Gebäudes über Fernwärme zur Verfügung gestellt.

Die Ergebnisse sind in Abbildung 8 aufgeteilt nach ihrer Herkunft in verschiedene Bauteile dargestellt. Der Rückbau von Bauteilen zum Zeitpunkt null (C0) hat nur einen kleinen Anteil am Gesamtergebnis. Dies liegt vor allem an der fehlenden Mitberücksichtigung des biogenen Kohlenstoffspeichers. Großen Anteil am Gesamtergebnis erzeugen der betriebliche Energieeinsatz (Modul B6) sowie die Herstellung der Materialien A0 in beiden Varianten. Es zeigt sich, dass der verbesserte energetische Standard der Neubauvariante zwar Einsparungen auslöst, diese anteilig am Gesamtergebnis aber nur gering ausfallen. In der Abriss-Neubau-Variante übersteigen die durch die Materialien ausgelösten Umweltwirkungen die betrieblichen Energien. Dies verdeutlicht, dass zukünftige Emissionseinsparungen auch zu einem erheblichen Teil von der Wahl der Materialien abhängen und dass bei höheren energetischen Standards die Materialauswirkungen noch größeren Einfluss haben werden. Insgesamt zeigt sich, dass die Aufstockungsvariante über den Lebenszyklus nur etwa 68 % der CO²-Emissionen im Vergleich zum Abriss-Neubau verursacht.

Zur Verdeutlichung der Ergebnisse zeigt Abbildung 9 grafisch den kumulierten Verlauf der Emissionen über den angenommenen Lebenszyklus von 50 Jahren. Deutlich sind die verringerten Herstellungsemissionen in Modul A0 zu erkennen. Der betriebliche Energieeinsatz spiegelt sich hierbei in der Steigung der Kurve wider. Es ist zu erkennen, dass die Linie der Aufstockung zwar steiler verläuft, die Linien sich aber nicht schneiden. Die Sprünge innerhalb der Emissionen, beispielsweise im Jahr 2052, werden durch den planmäßigen Austausch und Ersatz von Materialien, beispielsweise der Fassade, ausgelöst.

Die dargestellten Ergebnisse beziehen sich auf eine Beispieluntersuchung und sind nicht ohne Weiteres auf andere Projekte skalierbar. Einflüsse wie das Vorhandensein von Schadstoffen, unterschiedliche Heizsysteme, Nutzung von gebäudenaherzeugten Energien, größere Flächenausnutzungspotenziale etc. konnten nicht berücksichtigt werden und sind projekt- und standortspezifisch. Generell sollte die Möglichkeit des Weiternutzens von Bestandsstrukturen im Vorfeld einer Maßnahme geprüft werden. Es ist eine deutliche Tendenz der ökologischen Vorteilhaftigkeit einer Aufstockungsmaßnahme gegenüber eines Abriss- und Neubau-Szenarios auszugehen.

Abriss-Neubau [ kg CO²-Äqu./(m² BGF · a) ] Aufstockungsmaßnahme [ kg CO²-Äqu./(m² BGF · a) ]
Modul C0 A0 B2-4 B6 C50 C0 A0 B2-4 B6 C50
Gründung 0 0,9 0 0,1 0 0 0,1 0
Außenwand 0,1 1 0,1 0 0 0,5 0,2 0,1
Innenwand 0,1 0,7 0,1 0,1 0 0,4 0,1 0,1
Decke 0,1 1,4 0,1 0,1 0 0,1 0,1 0,1
Dach 0,1 0,6 0,4 0,2 0 0 0,3 0,3
Fußboden 0 0 0,2 0,1 0 0 0,1 0,1
Treppen 0 0,1 0 0 0 0 0 0
Fenster 0 0,3 0,1 0,1 0 0,1 0,1 0,1
Türen 0 0,2 0 0,1 0 0 0 0,1
Balkon 0 0,2 0,1 0,1 0 0,2 0 0
Andere 0 0 0 0 0 0
Technik 0,3 0,3 0,2 0,1 0,1 0,2
Energie 5,6 6
Gebäude 0,45 5,77 1,27 5,63 0,99 0,04 1,39 1,16 6,01 1,04

8 | Berechnungsergebnisse globales Erwärmungspotenzial beider Varianten nach Bauteilen und Lebenszyklusmodulen
ABBILDUNG: DIE AUTOREN

9 | Entwicklung der CO²-Emissionen über den Lebenszyklus beider Varianten
ABBILDUNG: DIE AUTOREN

Literatur


[1] Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Hg., „Sanierungsbedarf im Gebäudebestand: Ein Beitrag zur Energieeffizienzstrategie Gebäude“, Berlin, 2014.
[2] BBSR, Startseite – Wachsende und schrumpfende Städte und Gemeinden in Deutschland [online]. Verfügbar unter: www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/startseite/topmeldungen/2020-wachsend-schrumpfend.html (Zugriff am 10. Juni 2021).
[3] Gesetz zur Einsparung von Energie und zur Nutzung erneuerbarer Energien zur Wärme- und Kälteerzeugung in Gebäuden: Gebäudeenergiegesetz – GEG, 2020.
[4] Melita Tuschinski, Freie Architektin + Fachautorin, Änderungen im Detail – GEG 2023 – Bundestags- Beschluss für die Novelle [online]. Verfügbar unter: geg-info.de/geg_
news/220712_geg_novelle_2023_beschluss_bundestag_bundesrat_aenderungen_im_detail.htm (Zugriff am 22. Dezember 2022).
[5] M. Fath et al., Leitlinie zur Vereinfachung der Planung und Durchführung von Aufstockungs-, Erweiterungsmaßnahmen als Nachverdichtungsmaßnahme in innerstädtischen Bereichen. Stuttgart: Fraunhofer IRB Verlag, 2019.
[6] M. Fath, M. Storck, M. Sieder und A. Hafner, „Aufstockungen von Bestandsbauten“ in Bauphysik-Kalender, 22. Jahrgang (2022), Holzbau, N. A. Fouad, Hg., Berlin: Ernst & Sohn, 2022, S. 497 – 516, doi: 10.1002/9783433611081.ch14.
[7] DIN EN 15978 – Nachhaltigkeit von Bauwerken – Bewertung der umweltbezogenen Qualität von Gebäuden – Berechnungsmethode. (2012) Berlin: Beuth Verlag.
[8] DIN EN 15804 – Umweltproduktdeklarationen – Grundregeln für die Produktkategorie Bauprodukte (2013). Berlin: Beuth Verlag.
[9] Slabik, Zernicke, Storck, Hafner (2022) A Methodological Approach for Life Cycle Assessment of Refurbishment Measures – From Building to Neighbourhood and Municipal Level – in Veröffentlichung.

Die Autoren


Dipl.-Ing. Maren Fath
TU Braunschweig im Institut für Baukonstruktion und Holzbau

M. Sc. Michael Storck
Ruhr-Universität Bochum im Lehrstuhl für Ressourceneffizientes Bauen

Univ.-Prof. Dr.-Ing. Mike Sieder
TU Braunschweig im Institut für Baukonstruktion und Holzbau

Univ.-Prof. Dr.-Ing. Annette Hafner
Ruhr-Universität Bochum im Lehrstuhl für Ressourceneffizientes Bauen

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