Wohnbauprojekt in Heilbronn und Berlin: Holz ist salonfähig

Wohnbauprojekt in Heilbronn und Berlin: Holz ist salonfähig

Realisierte Objekte

Wohnbauprojekt in Heilbronn und Berlin: Holz ist salonfähig

Text: Markus Lager | Foto (Header): © BERND BORCHARDT

Der Baustoff Holz gewinnt zunehmend an Bedeutung im Wohnungsbau – sowohl durch die gute Wohnqualität, aber auch dadurch, dass mit ihm eine wirtschaftliche Bauweise möglich ist. Zwei Beispiele des Architekturbüros Kaden+Lager zeigen die vielen Vorteile des Materials und die Möglichkeiten der Vorfertigung auf.

Auszug aus:

Bei urbanem Holzbau geht es vor allem um die Erweiterung der Möglichkeiten im geförderten, bisher meist öffentlichen, Mietwohnungsbau. Kaden+Lager entwickeln und planen mehrgeschossige Gebäude aus und mit dem Werkstoff Holz. Meist werden dabei auch konventionelle Baustoffe und -systeme eingesetzt: Die Konstruktion von Treppenhäusern beispielsweise legt den Einsatz von Stahlbeton vor dem Hintergrund von Brandschutz- und Tragwerksbelangen oft nahe. Es geht weniger darum, so viel Holz wie möglich einzusetzen, sondern eher um materialeffiziente und -gerechte Entwürfe. Dabei liegen die Vorteile des Holzbaus auf der Hand.

Vorteile des Holzbaus

Erstens handelt es sich beim Holz um eine nachwachsende Konstruktion. In lokalen (deutschen) Wäldern wächst das Holz, das man für ein Einfamilienhaus benötigt, in etwa sieben Minuten nach. Mit einem Drittel der jährlichen Holzernte wäre man in der Lage, den gesamten Neubaubedarf in Deutschland zu decken.

Zweitens werden Holzbauteile in der Regel präfabriziert, also in der Zimmerei abgebunden. Das bringt zum einen kontrollierbare Witterung mit sich, sodass bauphysikalisch sensible Anschlüsse, wie Fenster, Fassade etc., optimal hergestellt werden können. Weiter geht damit die Verbesserung der Arbeitsbedingungen einher. Was in mancher Ohren nach Wegrationalisierung von Baustellen-Romantik klingen mag, birgt großes Potenzial: Das Arbeiten auf der Baustelle ist vor allem für alternde Gesellen beschwerlich und führt dazu, dass diese sich anderweitig orientieren. Bei einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen können sie hingegen ihre immens wichtige Erfahrung produktiv einsetzen und die Qualität der Bauteile verbessern. Als Beweis für die Bedeutung von Erfahrung und Professionalität empfiehlt sich die Recherche über die Erfindung der Brille. Durch deren Verbreitung konnten Handwerker und Gelehrte bis zu 20 Jahre länger tätig sein. Die Folge war eine ganze Reihe wichtiger Erfindungen und Innovationen: Qualität und Innovation brauchen Erfahrung.

Der dritte Vorteil resultiert aus dem zweiten: Die Präzision der Bauteile gleicht dem Stahlbau. Somit wird das Delta zwischen CAD-Planung und CAM-Fertigung inklusive Montage – hier der kritische Punkt- auf der Baustelle – wesentlich kleiner. Auch Punkt vier ist Folge aus zwei plus drei. Durch mehr Planung und höhere Präzision kann die wertvolle Zeit auf der Baustelle verkürzt werden. Gut für die Umgebung, also die Stadt.

Fünftens kann der Holzbau gleiche Wärmedämmwerte bei weniger Wandstärke erreichen. Damit erreicht man mehr nutzbare Fläche auf gleichem Fußabdruck.

Sechstens können Holzbauelemente oder Teile davon leicht recycelt werden. Es gibt bereits komplette Gebäude aus wiederverwendetem Holz. Auch Holzwerkstoffe und Dämmung können sortenrein getrennt und wiederverwendet werden.

Bei der Vorfertigung können bauphysikalisch sensible Anschlüsse, wie Fenster, Fassade etc., optimal hergestellt werden.
FOTO: BRÜNINGHOFF

Lageplan des Projekts „Urbaner Holzbau“
PLAN: KADEN+LAGER

Ausrichtung der drei Punkthäuser
GRAFIK: KADEN+LAGER

Beispiele aus Heilbronn und Berlin

Das Anfang des Jahres fertiggestellte Projekt „Urbaner Holzbau“ (uh) in Berlin-Adlershof wie auch die beiden zur Bundesgartenschau (BuGa) realisierten Heilbronner Projekte SKAIO und FAMJU leisten starke Beiträge in Richtung eingangs genannter Verbreitung des Holzbaus. Bei SKAIO und FAMJU werden ökologische, wiederverwertbare Materialien verwendet. Innenraumluft und eine trockene, reversible Bauweise spielen eine große Rolle. Dafür sind die Gebäude etwas teurer in der Erstellung als beim Berliner Projekt. Besonders das Projekt „Urbaner Holzbau“ behauptet sich auch gegen konventionelle Bauweisen und ist preisneutral.

Urbaner Holzbau in Berlin-Adlershof

Der „Urbane Holzbau“ in Berlin-Adlershof verknüpft Wohnungsbau in wirtschaftlicher Bauweise, hoher Energieeffizienz und hochwertiger Architektur mit dem klima- und umweltfreundlichen Baustoff Holz. Die HOWOGE als städtische Wohnungsbaugesellschaft mit rund 62.000 Wohnungen im Bestand fungiert hier als Impulsgeber für innovative, serielle Bauweisen in Berlin.

Das Projekt, das nach dem Gewinn eines Generalübernehmer-Wettbewerbs geplant wurde und bei dem 42 Wohnungen entstanden sind, besteht aus drei würfelförmigen, nahezu baugleichen Punkthäusern. Diese serielle Bauweise trug zur Verschlankung des Planungsablaufs bei. Einige Stellplätze für Pkw befinden sich straßenseitig auf dem Grundstück (trotz nicht vorhandenen Stellplatzschlüssels in Berlin). Die Häuser selbst werden entlang eines parkähnlichen Weges erschlossen. Sie sind im jeweiligen Eingangsbereich um ein wenig Raumvolumen beschnitten, sodass eine geschützte Eingangszone entsteht. Hier befinden sich zudem Briefkästen und Fahrradstellplätze. Die vertikale Erschließung erfolgt über effiziente Stahlbetontreppen und über Aufzüge. Die Betonkonstruktion des innen liegenden Treppenhauskerns ist weitestgehend sichtbar belassen, die Böden farblich versiegelt.

Die Wohnungen selbst zeichnen sich durch logisch organisierte Grundrisse aus. Es wird von mindestens zwei Seiten belichtet und ein Großteil der Wohnungen verfügt über einen großen, vorgehängten Balkon. Es gibt drei Maisonette-Wohnungen in den Ober- und Staffelgeschossen. 16 der Wohnungen sind öffentlich gefördert und zu Einstiegsmieten ab 6,50 Euro je m² zu mieten.

Vorgefertigte Stahlbetonhohlkammerdecken liegen auf Kern (ebenfalls Stahlbeton), Stützen und Außenwänden (beides Holz) auf. Der Kern übernimmt die aussteifende Funktion und die Decken leiten diese Kräfte bzw. diesen Widerstand in die Außenwände in Holztafelbauweise weiter. Der hohe Vorfertigungsgrad durch komplett werkseitig hergestellte Bauteile, u. a. die Außenwände inklusive Holzfassade und Geschossdecken, führte zu einem beschleunigten Baufortschritt und damit zu einer kurzen Bauzeit. Auch vor diesem Hintergrund, nämlich dem Bauen mit standardisierten, vorgefertigten Elementen, spielt BIM eine neue wichtige Rolle.

Grundriss EG „Urbaner Holzbau“
PLAN: KADEN+LAGER

Grundriss 1. OG „Urbaner Holzbau“
PLAN: KADEN+LAGER

SKAIO und FAMJU

Kaden+Lager konnten sich gemeinsam mit der Stadtsiedlung Heilbronn beim Investorenauswahlverfahren zur Stadtausstellung Neckarbogen auf zwei Grundstücken durchsetzen. Im Rahmen der Bundesgartenschau 2019 galt es, den state of the art in puncto Wohnbau und Nachhaltigkeit auszustellen. Das Architekturbüro entwickelte zwei Gebäude in nahezu gleicher Holzbauweise – FAMJU und SKAIO. Dabei ging es um die Ausnutzung der Holzbau-Potenziale im Hinblick auf Wohnqualität, Vorfertigung, trockenes Bauen und Reversibilität.

Die Wohnqualität zeigt sich zum einen in den Baumaterialien, die der Bewohner vom Innenraum aus wahrnimmt. Die Decken aus Brettsperrholz und die Außenwände – einer Kombination aus Holzmassiv- und Holztafelbau – sind unbekleidet. Das heißt, das Massivholz wird als „ready surface“ eingesetzt, auf Bekleidung und Tapeten wird verzichtet. Der Bodenaufbau ist komplett trocken und besteht aus wechselweise installierten Schichten aus ungebundener Schüttung in Pappwaben und Gipsfaserplatten. Den Abschluss bilden trockener Heizestrich und Linoleum. Der Einsatz von Silikon und ähnlicher Bauchemie wurde weitestgehend vermieden.

Der andere Aspekt der Wohnqualität kommt in den gemeinschaftlich genutzten Bereichen zum Vorschein. Die Stadtsiedlung Heilbronn sah von der gemeinhin üblichen Installation einer Waschmaschine je Wohnung ab. Hintergrund ist der Wert, der dem Platzbedarf dafür einzuräumen ist:

1 m² × 12,– € (frei finanziert) × 12 Monate = 144,– €/a.

Stattdessen wurden hochwertige, App-gesteuerte Maschinen im sogenannten Waschsalon installiert. Dieser verdient seinen Namen durch die direkte Anbindung zum Hofgarten und die Ausstattung mit Küche und Gemeinschaftsküche. Weiter gibt es ein öffentliches Café, eine Dachterrasse für die Bewohner sowie einen Fahrradabstellraum, welcher direkt vom Fußweg aus betreten wird. Bemerkenswert daran ist, dass eine renditeverpflichtete Bauherrin vermeintlich vermietbare Fläche (deren Wohnqualität sehr wohl bestreitbar, aber eben seitens Investoren „gern mitgenommen“ ist) gemeinschaftlicher Nutzung zuführt und so Gemeinwohl und Wohnqualität merklich erhöht.

Der Grad der Vorfertigung variierte innerhalb der Bauteile: So wurden beispielsweise die großen Fensterflügel aus logistischen Gründen in situ montiert, während die Modulbäder als komplett vorgefertigte Räume auf die Baustelle geliefert und dort lediglich angeschlossen wurden.

Somit lagert man die komplexe Koordination mehrerer fehleranfälliger Gewerke, wie von Installateur, Fliesenleger und Elektriker, von der in der Regel engen Baustelle hinein in die Betriebe, wo die Bäder ähnlich wie in der Automobilindustrie an Fertigungsstraßen gefertigt werden.

Abgesehen von Keller und Sicherheitstreppenhaus aus Stahlbeton ist der gesamte Aufbau von SKAIO trocken und reversibel. Von der reinen Aluminiumfassade bis hin zum trockenen Heizestrich kann alles sortenrein zerlegt und entsorgt und wiederverwendet werden.

FAMJU ist mit vier Obergeschossen in ruhiger Lage an der Blockrückseite dem Familienwohnen gewidmet und über den Innenhof mit SKAIO verbunden.
FOTO: BERND BORCHARDT

Die Baumaterialien der Decken und Wände bleiben sichtbar.
FOTO: BERND BORCHARDT

Bei SKAIO werden ökologische und wiederverwertbare Materialien verwendet.
FOTO: BERND BORCHARDT

Eine Dachterrasse steht für die Bewohner von SKAIO zur Verfügung.
FOTO: BERND BORCHARDT

Fazit

Beide Standorte zeigen, dass der Holzbau einen neuen Status erreicht hat: Er ist vergleichbar geworden, kann und – vor allem – muss sich messen mit jeder anderen Bauweise. Holzbau erfährt Interessenszuwachs auf beiden Seiten, der hochqualitativ-prototypischen sowie beim „Modell Grundausstattung“. Bei Weitem nicht nur der „Urbane Holzbau“ in Berlin-Adlershof zeigt, dass Holzbauweise als hybride Konstruktion in jedem Wohnungsbau eingesetzt werden kann. Damit ist viel erreicht, denkt man an die Anzahl der Gebäude in Gebäudeklassen 4 und 5. Es gibt keine Ausrede mehr, Holz ist in der Breite einsetzbar. Auch die Stufe Hochhaus ist erklommen, SKAIO ist bezogen und wird seitens der Bewohner sehr geschätzt.¹

Was also kommt nun? Ganz einfach, der Holzbau ist salonfähig! In Salons kommt allerdings nur rein, wer die Regeln befolgt. Anders ausgedrückt: Nicht der Holzbau per se ist die Eintrittskarte, sondern die Architektur. Mit Holz.

¹ Wohnen mitten in der Bundesgartenschau: youtu.be/ HE xAXNviQ

Projektdetails „Urbaner Holzbau“


Bauherr
HOWOGE Wohnungsbaugesellschaft mbH
Nettokaltmiete
ab 6,50 €/m²
Fertigstellung
März 2019
Primärenergiebedarf
19,8 kWh/(m²a)
Anzahl der Wohnungen
42 Wohneinheiten, 16 davon gefördert
Spez. Transmissionswärmeverlust
0,331 [W/(m²a)]
Wohnfläche insgesamt
2.730 m²
Endenergiebedarf
72,2 kWh/(m²a)
Geschossfläche
3.480 m²
Energieversorgung
Fernwärme

Der Autor


Markus Lager
Geschäftsführer Kaden + Lager

Das Architekturbüro Kaden+Lager gilt als Wegbereiter des mehrgeschossigen Holz-Hybridbaus im innerstädtischen Bereich. Tätigkeitsschwerpunkt ist der Wohnungsbau, darüber hinaus hat das Büro erste Erfolge im kulturellen und schulischen Bereich zu verzeichnen. Kaden+Lager entwerfen, planen und bauen neben verschiedenen Baugruppenprojekten derzeit Mietwohnungen für Wohnungsbaugenossenschaften in Berlin, Hamburg und München. In Heilbronn führen sie den Nachweis, dass Bauen mit Holz auch über die Hochhausgrenze hinaus möglich ist. Das Projekt „SKAIO“ ist als derzeit höchster Holzbau Deutschlands mehrfach in der aktuellen Fachpresse veröffentlicht. Darüber hinaus hält Markus Lager Vorträge und gibt Vorlesungen, gibt Gastkritiken sowie interdisziplinäre Workshops an internationalen Hochschulen.

www.kadenundlager.de

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