Quartiersentwicklung: Soziale Mischung in Wohnanlagen

Quartiersentwicklung: Soziale Mischung in Wohnanlagen

Städtebau & Quartiersentwicklung

Quartiersentwicklung: Soziale Mischung in Wohnanlagen

Text: Simone Bosch-Lewandowski, Dr. Lisa Küchel & Prof. Dr. Rotraut Weeber | Foto (Header): © FRANK WAGNE – stock.adobe.com

Soziale Mischung wird in neuen und bestehenden Wohnquartieren wieder zunehmend erwartet. Die Gesellschaft wird immer heterogener, der Zusammenhalt erscheint brüchiger. Dabei wäre es zu kurz gegriffen, die soziale Vielfalt nur an der Belegung der Wohnungen festzumachen. Vielmehr muss soziale Mischung in baulicher Vielfalt angelegt werden. Damit beschäftigt sich ein Forschungsprojekt von Zukunft Bau.

Auszug aus:

Wozu ist soziale Mischung gut? Dazu gibt es eine umfangreiche Debatte und wenig Empirie. Insgesamt ist das Meinungsbild in der Fachliteratur zum Leitbild der sozialen Mischung sehr vielstimmig und kontrovers. Die einen knüpfen überzogene Erwartungen an eine soziale Mischung. Sie meinen, Ärmere, Bildungsferne und Zugewanderte würden von den Kontakten mit besser gestellten Menschen in gemischteren Milieus auch persönlich profitieren. Ob das zutrifft, wird aber überwiegend bezweifelt.

Dagegen betonen bekannte Soziologen, unter anderen Walter Siebel, die Vorteile der Segregation für die Integration der Ausländer – die in der deutschen Debatte heutzutage sehr im Vordergrund steht. In ethnischen Communities helfen sich Migranten gegenseitig in der Fremde. Auch die Debatte zur sogenannten Arrival City zeichnet ein eher euphemistisches Bild von Segregation. Die Studien des amerikanischen Philosophen Robert D. Putnam belegen, dass in homogenen Nachbarschaften mehr Kommunikation, mehr Vertrauen, mehr soziales Engagement besteht als in sozial heterogenen Nachbarschaften. Allerdings befürwortet er nicht Segregation, sondern er setzt darauf, dass heutzutage bei der sozialen Vielfalt die Menschen auch lernen (oder lernen müssen), dieses „soziale Kapital“ milieuübergreifend zu entwickeln.

Stadt- und Sozialplanung sehen wie auch die meisten Wohnungsunternehmen und die öffentliche Meinung eine übermäßige ethnische und soziale Segregation aus vielerlei Gründen sehr kritisch. Das von der Forschungsinitiative Zukunft Bau geförderte Forschungsprojekt „Soziale Mischung und gute Nachbarschaft in Neubauquartieren. Planung, Bau und Bewirtschaftung von inklusiven Wohnanlagen“ hat untersucht, was die Bedingungen und Instrumente sind, damit soziale Mischung gelingt.

Quartiersbezogene Mischung

Soziale Mischung kann man mit sehr unterschiedlichen Konzepten realisieren. Sehr relevant für ihre Ausgestaltung ist der Maßstab der Mischung: Ist die soziale Mischung auf das Quartier bezogen? Geht es um die Bewohnerschaft benachbarter Häuser? Oder ist es eine kleinteilige Mischung im einzelnen Haus? Welche Maßstabsebene man für sein Mischungskonzept wählt, hängt auch davon ab, was man sich von sozialer Mischung verspricht.

Ob bei Neubauquartieren oder ergänzendem Neubau im Bestand, die Mischungskonzepte werden immer quartiersspezifisch entwickelt. Normstrategien gibt es dafür nicht. Um eine soziale Mischung sinnvoll umsetzen zu können, ist eine entsprechend große Wohnungsanzahl erforderlich. Deshalb verfolgen die Wohnungsunternehmen oft den Quartiersansatz statt eines Objektansatzes. Die Perspektive auf das Quartier und den örtlichen Bedarf leitet die Konzepte der Wohnungsunternehmen. Sie schauen sehr genau darauf, was für Wohnungen im Quartier fehlen – insbesondere auch für die eigene Klientel. Welche Wohnungen werden benötigt, damit schon im Quartier lebende Haushalte, die umziehen müssen, bleiben können? Sei es, dass sie umziehen wollen, weil der Haushalt größer oder kleiner geworden ist, weil man mit dem Altern eine kleine barrierefreie Wohnung sucht oder weil man Eigentum bilden möchte. Mit Neubau werden aber auch explizit neue Zielgruppen von außerhalb angesprochen.

Wohnungsunternehmen mit einem großen Bestand an ähnlichen Wohnungen – z . B. aus den 1950er- und 1960er-Jahren – verbreitern über viele Jahre hinweg durch ergänzenden Neubau ihr Wohnungsangebot und damit die soziale Mischung, dadurch verbessern sie auch das Image des gesamten Quartiers. Grundsätzlich kann in einem Bestandsquartier mit Wohnungsneubau in verschiedene Richtungen gemischt werden:

  • Mischung durch den Bau von geförderten und günstigeren Wohnungen, um einer Gentrifizierung entgegenzuwirken
  • Mischung durch den Bau verschiedener Wohnungsangebote, um einen breiten Wohnungsmix zu erhalten (mit barrierefreien Wohnungen, großen Familienwohnungen usw.)
  • Mischung durch den Bau von hochwertigeren und hochpreisigeren Wohnungen, um ein Quartier aufzuwerten

Die Hauptsache ist, dass es auf Quartiersebene eine breitere soziale Mischung gibt. Man muss nicht unbedingt die Wohnungen für verschiedene Nachfragegruppen kleinteilig mischen, aber kann dies durchaus. Die am Forschungsprojekt beteiligten Wohnungsunternehmen sind offen dafür, kleinteilig innerhalb eines Hauses geförderte und freifinanzierte Mietwohnungen zu mischen, und praktizieren dies erfolgreich. Nach der Befragung sind die Bewohner gleichermaßen zufrieden, ob innerhalb eines Hauses geförderte und freifinanzierte Wohnungen gemischt werden oder in benachbarten Gebäuden. Dies spricht für eine kleinteilige Mischung, weil dadurch das Image eines Hauses innerhalb einer Wohnanlage neutralisiert und pauschalen Vorurteilen vorgebeugt wird.

Beispiel Bruno-/Michelstraße in Würzburg
FOTO: WEEBER+PARTNER

Beispiel Feuerbacher Balkon in Stuttgart
FOTO: WEEBER+PARTNER

Ausgewogene Mischung

Das Verhältnis von Miete und Eigentum sowie von geförderten und freifinanzierten Wohnungen ist ein entscheidender Hebel zur Steuerung der sozialen Mischung. Die Wohnungswirtschaft empfiehlt als langfristig sozial ausgewogen ein gedritteltes Mischungsverhältnis der Finanzierungsformen: je etwa ein Drittel geförderte Mietwohnungen, freifinanzierte Mietwohnungen und (selbstgenutzte) Eigentumswohnungen – auch als „Hamburger Drittelmix“ bezeichnet. Die befragten Bewohner bestätigen diese Ausgewogenheit. Sie sind in Wohnanlagen mit einem sehr hohen Anteil geförderter Wohnungen weniger zufrieden. Die Rahmenbedingungen und Vorgaben von Kommunen und Ländern schränken die Unternehmen allerdings teilweise ein, das nach ihren Erfahrungen bestbewährte Mischungskonzept umzusetzen. Die Tendenz geht zur Vorgabe immer höherer Förderquoten. Die Wohnungswirtschaft sieht dies kritisch. Je höher die vorgegebene Förderquote ist, desto weniger projekt- und quartiersspezifischen Gestaltungsspielraum hat ein Wohnungsunternehmen bei der Konzeption seiner Projekte.

Bauliche Vielfalt

Ein vielfältiges, differenziertes Wohnungsgemenge ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor sozial gemischter Wohnanlagen und Quartiere. Denn ein breiter Wohnungsmix führt implizit zu einer sozialen Mischung der Bewohnerschaft. Dazu gehört zum einen die Mischung von Wohnungen mit unterschiedlicher Zimmeranzahl, zum anderen die Streuung von Wohnungsgrößen bei Wohnungen mit gleicher Zimmeranzahl, außerdem unterschiedliche Wohnungs- und Gebäudetypen. Ein Spektrum an größeren und kleineren 2‑, 3- und 4-Zimmer- Wohnungen bietet viele Wahlmöglichkeiten für Haushalte mit unterschiedlichem Budget, verschiedenen Haushaltsgrößen und individuellen Wohnwünschen. Die Mischung und Streuung von Wohnungsgrößen bringen verschiedene Zielgruppen und unterschiedliche Preisniveaus in eine Wohnanlage und in ein Haus. Für die Planung bedeutet die Entwicklung und Detailausarbeitung eines differenzierten Wohnungsgemenges natürlich einen größeren Aufwand, anstatt nur einheitliche, gleich große Wohnungstypen einzuplanen und schematisch zu stapeln. Aus Sicht der Wohnungsunternehmen ist dieser Aufwand jedoch gerechtfertigt und notwendig. Moderne digitale Planungsinstrumente erleichtern die Umsetzung dieser komplexen baulichen Vielfalt.

Auch Wohnformen für Zielgruppen mit besonderen Bedürfnissen wird Raum gegeben, dies trägt zu weiterer Vielfalt bei. Dazu gehören insbesondere Wohngruppen und Wohngemeinschaften für ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen. Es wird immer selbstverständlicher, gemeinschaftliche Wohnangebote für Menschen mit Assistenz- und Pflegebedarf dezentral in die Wohnanlagen einzubinden. Die Nachfrage nach Wohn-Pflege-Gemeinschaften in den Stadtquartieren wächst. Wichtige Aspekte in der Planung sind die Ausgestaltung der Privat- und Gemeinschaftsbereiche, der Grad der Barrierefreiheit, die Ausstattung mit Bädern sowie wie die Rückbaubarkeit zu Standardwohnungen. Die Wohnungsunternehmen brauchen Partner als Träger für solche Wohngruppen, die die Betreuung übernehmen und möglichst frühzeitig die Planung begleiten. Bei den Untersuchungsbeispielen äußern sich die Beteiligten mit dem Ergebnis zufrieden. Die Kontakte der Menschen in den gemeinschaftlich genutzten Wohnungen mit denen in benachbarten sind nicht unbedingt intensiv, Konflikte werden aber kaum genannt. Ein breites, vielgestaltiges Wohnungsangebot ist die Basis einer sozialen Vielfalt mit Haushalten in unterschiedlichen Lebenssituationen und mit unterschiedlichen Lebensweisen.

Beispiel Teichmatten in Lörrach
FOTO: WEEBER+PARTNER

Zusammenleben in der Nachbarschaft und im Quartier

Das Interesse an Kontakten in der Nachbarschaft hat in letzter Zeit wieder zugenommen – dafür sprechen die zahlreichen Nachbarschaftsplattformen. Zu einem befriedigenden Nachbarschaftsleben gehört es für viele, dass man zumindest einige Nachbarinnen und Nachbarn auch näher kennt und nicht gänzlich anonym zusammenlebt. Die Bewohnerbefragung zeigt einen Zusammenhang zwischen der Zufriedenheit mit der Nachbarschaft und den Kontakten in der Wohnanlage. Die mit der Nachbarschaft sehr Unzufriedenen kennen kaum Leute.
Und umgekehrt: Die mit der Nachbarschaft sehr Zufriedenen haben häufig Nachbarinnen und Nachbarn, mit denen man sich mal unterhält und auch mal aushilft. Diese soziale Komponente des Zusammenlebens, die Zufriedenheit mit der Nachbarschaft ist wichtiger Teil der Wohnzufriedenheit insgesamt.

In heterogenen Milieus und wenig nutzungsgemischten Quartieren ist hinreichend Kommunikation nicht immer ein Selbstläufer. Kontakte in Nachbarschaft und Quartier zu unterstützen, ist Teil bewusster guter Konzepte für eine soziale Mischung in Wohnanlagen und neuen Quartieren. Baulich-räumlich gilt es, ein Wohnumfeld zu gestalten, das auch zu Aufenthalt und Kommunikation einlädt. Zum Beispiel: Beiläufige Alltagsbegegnung findet insbesondere am Hauseingang und in den Erschließungsbereichen statt. Sie können so ausgestaltet sein, dass man hier auch einmal stehen bleibt, miteinander ins Gespräch kommt und sich als Nachbarn wahrnimmt.

Viele Wohnungsunternehmen, zumindest die gemeinwohlorientierten, betreiben mittlerweile auch Quartiersarbeit. Diese unterstützen Bewohnerinitiativen und Netzwerke, wirken bei der Stadtteilkoordination der Einrichtungen, Dienste und zivilgesellschaftlichen Gruppen im Quartier mit, kümmern sich um Menschen in sozialen Notlagen und halten dazu Kontakt zu den örtlichen sozialen Diensten. Nicht zuletzt unterstützen sie örtliche Events – wie Nachbarschaftsfeste oder Tauschaktionen. Einige Unternehmen bieten auch Gemeinschaftsräume an. Von Bewohnerseite wird eine Unterstützung örtlicher gemeinschaftlicher Aktionen teilweise auch erwartet.

Einzelne Wohnanlagen und Neubauquartiere dürfen jedoch nicht isoliert betrachtet und mit Anforderungen überfordert werden. Auch bei dem Thema Kommunikation ist der Quartiersbezug wichtig. Das örtliche Leben, auch die Netzwerke und Treffpunkte der Bevölkerung, entwickeln sich vorrangig um und mit den größeren Knotenpunkten des sozialen Lebens (Neudeutsch „Hubs“) – den Stadtteilzentren, Parks, Sporteinrichtungen,
Schulen, Kindertagesstätten, auch den Haltestellen des öffentlichen Nahverkehrs. Nicht zuletzt sind Läden und Gaststätten wichtige Kommunikationsorte im Quartier. Gerade für eine heterogene Bevölkerung ist es wichtig, dass Stadtquartiere eine Mitte haben.

Fazit

Die Diskussion zu sozialer Mischung und Segregation beim Wohnen wird heute nicht mehr als ein Entwederoder geführt, sondern offen. Die am Forschungsprojekt beteiligten Wohnungsunternehmen wollen ihre Quartiere explizit sozial mischen. Die Unternehmen wie auch die Bewohner haben mit Vielfalt in ihren Neubauten keine besonderen Schwierigkeiten. Die soziale Mischung beruht wesentlich auf verschiedenartigen Wohnungstypologien und Wohnformen mit vielgestaltigen Grundrissen für Haushalte in unterschiedlichen Lebenssituationen.

Zum Weiterlesen

Das Forschungsprojekt wird in der Schriftenreihe „Zukunft bauen: Forschung für die Praxis“ (Band 23) des Bundesinstituts für Bau‑, Stadt- und Raumforschung veröffentlicht und dort kostenfrei zu beziehen (zb@bbr.bund.de) sowie als Download verfügbar sein (www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/Veroeffentlichungen/ZukunftBauenFP/ZukunftBauenFP_node.html).

Beispiel Bruno-/Michelstraße, Würzburg

Stadtbau Würzburg GmbH
42 Eigentumswohnungen, 66 freifinanzierte und 40 geförderte Mietwohnungen in separaten Gebäuden gemischt

PLAN: WEEBER+PARTNER

Beispiel Feuerbacher Balkon, Stuttgart

Siedlungswerk GmbH Wohnungs- und Städtebau, Stuttgart
136 Eigentumswohnungen, 15 freifinanzierte und 45 geförderte Mietwohnungen teils innerhalb eines Gebäudes gemischt

PLAN: WEEBER+PARTNER

Beispiel Teichmatten, Lörrach

Städtische Wohnbaugesellschaft Lörrach mbH
29 freifinanzierte und 20 geförderte Mietwohnungen innerhalb der Häuser gemischt

PLAN: WEEBER+PARTNER

Das Forschungsprojekt
Das Forschungsprojekt vertiefte das Wissen über funktionierende soziale Mischung in Nachbarschaften, in denen auch ein beträchtlicher Anteil von preisgünstigen Wohnungen, unterschiedlichen Wohnformen sowie Haushalten mit erschwertem Zugang zum Wohnungsmarkt erwünscht sind. Weeber+Partner hat mit 14 Wohnungsunternehmen zusammengearbeitet und 16 von ihnen realisierte sozial gemischte Beispiele analysiert. Wichtig war, sowohl die Perspektive der Wohnungsunternehmen als auch die Perspektive der Bewohnerinnen und Bewohner zu erkunden. Basis für die Analyse war eine umfangreiche Empirie: Workshops mit den Experten der Wohnungsunternehmen, knapp 500 Bewohnerinterviews und Schlüsselpersonengespräche vor Ort. Dabei wurden alle Phasen der Projektentwicklung bis zur Bewirtschaftung in der ersten Nutzungszeit  einbezogen. Ziel war es, die Einzelfälle übergreifende, möglichst übertragbare Ergebnisse zu erarbeiten.

Die Autoren


Simone Bosch-Lewandowski
ist Architektin und Geschäftsführerin bei Weeber+Partner, Institut für Stadtplanung und Sozialforschung, Stuttgart/Berlin. Forschung, Evaluation und Beratung zum Wohnungsbau unter Einbeziehung der Nutzerperspektive sind ihre Arbeitsschwerpunkte.

Dr. Lisa Küchel
ist Stadtplanerin und Geschäftsführerin bei bei Weeber+Partner, Institut für Stadtplanung und Sozialforschung, Stuttgart/Berlin. Integrierte städtebauliche Konzepte auf Stadt- und Quartiersebene, Wohnforschung und Beteiligung sind u. a. ihre Arbeitsgebiete.

Prof. Dr. Rotraut Weeber
ist Mitinhaberin von Weeber+Partner und hat als Soziologin langjährige interdisziplinäre Erfahrungen in Planung, Forschung und Beratung bei Stadtentwicklung und Wohnungsbau, Demografie, angewandter Sozialforschung und partizipativen Verfahren.

www.weeberpartner.de

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