Nachhaltiges Wohnquartier in der Stadt: Nachverdichtung in Offenbach

Nachhaltiges Wohnquartier in der Stadt: Nachverdichtung in Offenbach

Realisierte Objekte

Nachhaltiges Wohnquartier in der Stadt: Nachverdichtung in Offenbach

Text: Hendrik Tovar | Foto (Header): © FFM-ARCHITEKTEN. MARKUS RAUPACH

Auf einer 6.780 m² großen Innenhofbrache eines ehemals gewerblich genutzten Parkplatzes entstand mit dem „GustavsHof“ eine Wohnanlage, bestehend aus sechs Häusern mit 70 Wohnungen. Die Nachhaltigkeit des Projekts spiegelt sich in den Freiflächen, den Maßnahmen zur Ökologie, der Materialwahl und Bauweise sowie den Mobilitätsangeboten wider.

Auszug aus:

Städtebaulicher Leitgedanke der urbanen Nachverdichtung in der Gustav-Adolf-Straße 42 – 42 E in Offenbach ist neben der Reaktion auf örtliche Gegebenheiten, wie das Schließen einer Baulücke und der Anbau an eine vorhandene dreigeschossige Brandwand, die Schaffung eines formal eigenständigen „Wohnquartiers“ mit typisierten freistehenden Wohnhäusern.

Durch die winkelförmige Positionierung zweier Gebäudepaare aus einem viergeschossigen Laubengang-Maisonette-Typ und einem viergeschossigen Dreispänner entstehen parallel zu den Rändern der Blockrandbebauung im Osten und im Westen ruhige, private und grüne Freiflächen. Im Zentrum orientieren sich die Gebäude mit ihren Eingängen zu einem öffentlichen Hof.

Durch die winkelförmig angeordneten Gebäudepaare auf der trapezförmigen Grundstücksfläche bildet sich im Norden ein baulich gefasster Eingangshof. Die rückwärtige Freifläche mit altem Baumbestand, Kinderspielplatz und Boulepark öffnet sich im Süden zur grünen Umgebung der anschließenden Nachbargärten.

Die auf einer Höhe durchlaufende Oberkante der Flachdächer der fünf im Innenhof positionierten Gebäude unterstützt die urbane Raumbildung zum Eingangshof und nimmt gleichzeitig Bezug auf die Traufkanten der umgebenden gründerzeitlichen Bebauung. Das Gebäude in der Baulücke des Blocks zur Gustav-Adolf-Straße fügt sich mit seiner Trauf- bzw. Firsthöhe und Dachform als Mansard- bzw. Giebeldach in die angrenzende Nachbarbebauung ein.

Lageplan
ABBILDUNG: FFM-ARCHITEKTEN. MARKUS RAUPACH

Geländeschnitt
ABBILDUNG: FFM-ARCHITEKTEN. MARKUS RAUPACH

Erschließung und Infrastruktur

Das gewachsene umgebende Wohngebiet ist sehr gut mit öffentlicher Infrastruktur und Nahversorgung vor Ort ausgestattet. So befinden sich neben kleinen bestehenden Geschäften des täglichen Bedarfs gegenüberliegend zum Wohnquartier ein neu genutztes, denkmalgeschütztes Fabrikgebäude mit Einkaufsmöglichkeiten und Sozialeinrichtungen sowie ein unmittelbar angrenzender Park für alle Generationen.

Die öffentliche Erschließung ist aufgrund der geringen Entfernung zu Bahnhof und S-Bahn gesichert. Ein Umbau der Straßen zu Fahrradstraßen ist zum Teil schon vollzogen und wird weiter betrieben. Demzufolge konnte der notwendige Platz für Pkw-Stellplätze mit ca. 0,6 Pkws pro WE auf ein Minimum reduziert werden. Da eine zukünftige Reduzierung der erforderlichen Pkw-Stellplätze noch nicht abzusehen ist, wurde aus wirtschaftlichen Gründen auf den Bau einer Tiefgarage verzichtet. Die notwendigen Stellplätze im Eingangshof sind mit versickerungsfähigem Pflaster ausgestattet und mit Baumreihen durchgrünt. Sie bieten Vorhalteflächen für ggf. spätere Entwicklungen, Nachverdichtungen oder aber auch Entsiegelungen.

Die Erschließung per Pkw, Fahrrad und zu Fuß erfolgt über eine offene 5 m breite Durchfahrt von der Gustav- Adolf-Straße aus. Fahrradabstellflächen für Besucher und Kurzparkerbefinden sich im Innenhof.

In zwei Gebäuden sind im Untergeschoss große Fahrradkeller integriert, die über außen liegende Fahrradrampen erschlossen werden. Müllräume sind in die EG-Zonen der Sondertypenhäuser integriert, um die Freiflächen möglichst zu entlasten.

Nutzungsmischung

Für das Wohnquartier wurden unterschiedliche Wohnungstypen und Wohnungsgrößen geplant. So entstand eine ausgewogene Mischung mit Wohnungsgrößen von 1-Zimmer-Wohnungen mit der Größe von 39 m² bis 4-Zimmer-Wohnungen mit 105 m². Der Schwerpunkt liegt bei 3- bis 4-Zimmer- Wohnungen, um Familien innerstädtisch bezahlbaren Wohnraum zu bieten. 10 % der Wohnungen in drei Häusern werden öffentlich gefördert. Mehr als 20 % der Wohnungen in drei Häusern wurden barrierefrei gemäß DIN 18040 ausgebildet.

Haus 42 – Grundriss Erdgeschoss und Regelgeschoss
ABBILDUNG: FFM-ARCHITEKTEN. MARKUS RAUPACH

Haus 42 C und D – Grundriss Erdgeschoss und Regelgeschoss
ABBILDUNG: FFM-ARCHITEKTEN. MARKUS RAUPACH

Haus 42 B und E – Maisonette – Grundriss Erdgeschoss
ABBILDUNG: FFM-ARCHITEKTEN. MARKUS RAUPACH

Haus 42 B und E – Maisonette – Grundriss 1. Obergeschoss
ABBILDUNG: FFM-ARCHITEKTEN. MARKUS RAUPACH

Gestaltung

Für das Wohnquartier wurde eine eigenständige, charaktervolle Gestaltung gewählt. Grundstruktur und Unterscheidbarkeit der Häuser werden durch die freundliche, abgetönte Farbgestaltung erzeugt, deren Farbtöne der näheren Umgebung mit ihren warmen erdigen, aber auch graugrünen Putz- und Ziegeltönen entnommen wurden. Eigenständige kontrastierende Akzente setzt die Farbgestaltung der eingeschnittenen Laubengänge mit ihrem kräftigen Gelbton.

Hergeleitet aus der gründerzeitlichen Umgebung mit seinen plastisch hervortretenden Fenstergesimsen aus Naturstein, wurde dieses Motiv mittels der 30 cm breiten reliefartig abgesetzten Faschen der Fenster aufgenommen und neu interpretiert. Hierbei wirken die weißen Faschen als bindendes und belebendes Gestaltungsmerkmal für das ganze Quartier, in das auch die Vordächer und Balkone einbezogen sind.

Weiß pulverbeschichtete Sichtschutzelemente der Dachterrassen und Balkongeländer aus einfachem feinmaschigen Gitterrost gewähren Privatsphäre, lassen aber Sichtbeziehungen und Belüftung der Freiflächen zu. Die teilweise in der Höhe springenden grauschwarzen Fenster mit ihren einfachen integrierten Brüstungselementen aus Glas bilden einen starken Kontrast zu den umgebenden Faschen und tragen zur Belebung der Fassade bei.

Laubengang Haus 42 E mit Blick auf Haus 42 D
FOTO: FFM-ARCHITEKTEN. MARKUS RAUPACH

Ansicht Gartenseite Haus 42 C
FOTO: FFM-ARCHITEKTEN. MARKUS RAUPACH

Gebäudetypen

Für das Quartier mit den sechs Häusern wurden vier Gebäudetypen entwickelt, davon zwei Sondertypen.

Ein Sondertyp bildet der Baulückenschluss an der Gustav-Adolf-Straße als Zweispänner mit fünf Geschossen und acht Wohnungen. Ein zweiter Sondertyp ist der an der bestehenden Brandwand angebaute viergeschossige Baukörper im Westen mit zehn Wohnungen. Beide Sondertypen sind mit einem Aufzug barrierefrei erschlossen. Aufgrund der baulichen Gegebenheiten sind diese nicht unterkellert.

Für die vier freistehenden Gebäude wurde neben einem konventionellen Geschosswohnungsbau als Dreispänner mit jeweils elf Wohnungen ein besonderer Typ mit jeweils zwei Maisonette-Geschossen und jeweils 15 Wohnungen entwickelt. Die Maisonettewohnungen bilden eine Art zweigeschossiges Reihenhaus, welches vom öffentlichen Raum erschlossen wird. Die Eingänge der Maisonettewohnungen im 2. Obergeschoss werden per Treppe und offenem Laubengang erreicht. Dadurch bietet sich bei einem Großteil der Wohnungen gerade für größere Familien die Möglichkeit, innerstädtisch auf zwei Etagen zu leben.

Wohnungen

Sämtliche Wohnungen bleiben als Mietwohnungen im dauerhaften Bestand des Bauherrn und sind zeitlos und hell gestaltet. Alle Küchen in den Geschosswohnungen sind als offene Küchen zum Wohnraum geplant und werden natürlich belichtet und belüftet. Küchen in den Maisonettewohnungen mit hoher Belegungsdichte sind zum Laubengang bzw. zur Eingangsseite als abgeschlossene Küchen mit kleiner Sitzmöglichkeit geplant. Bäder erhalten eine zusätzlich feuchtraumgesteuerte Fortluft. Die Nachströmung erfolgt durch schallgedämmte Fenster und Rollladenlüfter. Die Treppenhäuser der Wohnungen sind mit hellem, warmgrauem Betonwerkstein belegt. Die Gestaltung der Treppenhauswände im Farbton des jeweiligen Gebäudes wirkt identitätsstiftend und schafft einen edlen Kontrast zu den weißen Türen und Metallstabgeländern.

Freiflächen

Die privaten Gebäudeseiten mit Mietergärten und Balkonen der vier freistehenden Gebäude sind der ruhigen Gartenseite der umgebenden Blockrandbebauung zugewandt. Alle Wohnungen verfügen im Erdgeschoss über Terrassen und Gärten, in den Obergeschossen über Balkone, Loggien oder Dachterrassen.

Alle für die Feuerwehr benötigten Flächen zwischen den Gebäuden sind begrünt. Die befestigten Flächen des kleinen Parks mit Spielmöglichkeiten für Kleinkinder, Sitzgelegenheiten und Bouleplatz sind als helle wassergebundene Decke ausgebildet. Der bestehende geschützte Baumbestand wurde während der Bauzeit gepflegt und gewässert und trägt heute mit seinen großen Laubbäumen erheblich zur Gesamtatmosphäre dieses kleinen Quartierparks bei.

Herausforderungen

Es gab zwei besondere Herausforderungen bei diesem Bauprojekt. Zum einen der relativ hohe und wechselnde Grundwasserstand, welcher sich schon zu Beginn der Planungszeit durch einen großen See auf der Baufläche angekündigt hatte. Hier musste für die freistehenden, unterkellerten Gebäude mit Stahlspundwänden, wie man es vom Kanalbau kennt, ein wasserdichtes „Becken“ geschaffen werden, das während der Bauarbeiten im Untergrund leergepumpt und vorgehalten werden musste. Eine weitere Schwierigkeit betraf die Baustellenlogistik, da sämtliche Baumaterialien nur über die kleine Durchfahrt an der Gustav-Adolf-Straße eingebracht werden konnten. Zu diesem Zweck wurde das Geschoss oberhalb der Durchfahrt erst zu einem späteren Zeitpunkt „eingehängt“, um so möglichst lange die Erschließung des Baufeldes mit schwerem Baugerät zu ermöglichen.

Treppenhaus Haus 42 A
FOTO: FFM-ARCHITEKTEN. MARKUS RAUPACH

Materialität und Nachhaltigkeit

Trotz Einhaltung des KfW-Effizienzhaus-55-Standards wurde das Bauvorhaben ohne Wärmedämmverbundsystem ausgeführt. Die Außenwände bestehen aus monolithischem hochwärmegedämmten Ziegelmauerwerk mit mineralischem Dämmputz, der im Neubau nur selten eingesetzt wird. Dies ermöglicht eine Wandstärke von 36,5 cm statt der üblichen 49 cm und schafft somit mehr Wohnfläche. Rollladenkästen, Deckenrandschalen, Attiken und Innenwände wurde ebenfalls konsequent in Ziegelbauweise umgesetzt. Zusätzlich bewirkt die durchgängige Ziegelbauweise eine Regulation und Speicherung der Bau- und Nutzungsfeuchte und sorgt so für wohngesundes Klima.

Die Grundlüftung zum Feuchteaustausch erfolgt über eine wartungsarme, kontrollierte Wohnraumlüftung mit Zuluft über Fensterfalzlüfter und Abluft in den Bädern. Die offene Laubengangerschließung im Maisonette-Typ ermöglicht bei 80 % der Wohnungen eine sehr gute Belichtung sowie das Durchlüften über Fenster und Türen. Putze und Farben im Außenbereich in mineralischer Bauart ermöglichen eine hydrophile Bauweise, welche ermöglicht, Feuchtigkeit aufzunehmen und wieder an die Außenluft abzugeben. So konnte auf eine chemische Ausstattung der Putze und Farben gegen Pilze und Algen verzichtet und eine wohngesunde, nachhaltige und gut recyclingfähige Bausubstanz geschaffen werden.

Alle Balkone und Vordächer der Haus- und Wohnungseingänge wurden kostengünstig als wasserdichte Betonfertigteile ohne weitere Abdichtung hergestellt. Vor Ort erfolgten nur der Anstrich und die Belegung mit Betonwerksteinplatten. Sämtliche Dächer der Flachdachgebäude sind extensiv begrünt und tragen zur Rückhaltung von Regenwasser bei. An den Fassaden der Häuser wurden Nistkästen für Mauersegler und Fledermäuse gestalterisch in die Fassade integriert.

Die Wärmeversorgung erfolgt durch Fernwärme, die mittels Verbrennung von Reststoffen und nachwachsenden Rohstoffen nachhaltig erzeugt wird.

Das Projekt wurde durch intensives planungs- und baubegleitendes Monitoring – vom Städtebau über Architektur, Freiflächen und Ökologie, Materialwahl, Energieverbrauch und Recyclingfähigkeit – begleitet und wird nun mit dem NaWoh-Qualitätssiegel „Nachhaltiger Wohnungsbau“ zertifiziert.

Projektdetails


Bauherr
Nassauische Heimstätte Wohnungs- und Entwicklungsgesellschaft mbH
Baukosten brutto (KG 300 + KG 400)/m²
11.600.000 €
Architekten
FFM-ARCHITEKTEN.
Tovar + Tovar PartGmbB
Leistungsumfang
LP 2 – 9
Planungs- und Realisierungszeitraum
2018 – 2021
Bauweise
monolithische Massivbauweise (Ziegel)
Anzahl der Wohnungen
70 Wohneinheiten in 6 Gebäuden
Primärenergiebedarf
durchschnittlich ca. 30,69 kWh/m² a
Wohnfläche insgesamt
5.524 m²
Endenergiebedarf
durchschnittlich ca. 59,02 kWh/m² a
Geschossfläche
6.025 m²
Energieversorgung
Fernwärme

Der Autor


Hendrik Tovar
Hendrik Tovar studierte nach seiner Ausbildung zum Bau- und Möbelschreiner an der TU Darmstadt Architektur. Im Jahr 2000 gründete er mit Cilia Tovar das Frankfurter Architekturbüro FFM-ARCHITEKTEN. Tovar + Tovar, das seinen Schwerpunkt im Wohnungsbau in allen Größen und Kategorien sieht. Er ist Mitglied im Bund Deutscher Architekten.

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