Kalte Nahwärme mit Erdkollektoren: Klimafreundlich heizen

Kalte Nahwärme mit Erdkollektoren: Klimafreundlich heizen

Energie, Technik & Baustoffe

Kalte Nahwärme mit Erdkollektoren: Klimafreundlich heizen

Text: Herbert Grab | Foto (Header): © Foto: R.-ANDREAS KLEIN – stock.adobe.com

Es klingt ein wenig paradox: ein kaltes Nahwärmenetz. Doch die Stadtwerke Neustadt am Rübenberge und Garbsen nördlich von Hannover versorgen die Bewohner des neuen Quartiers „Hüttengelände/Siemensstraße“ über ein solches Netz mit umweltfreundlicher Primärenergie aus der Erde – gekoppelt mit Wärmepumpentechnologie.

Auszug aus:

Fossile Energieträger kamen nicht infrage. Schließlich ist die Stadt Neustadt am Rübenberge schon seit Jahren Modellstadt für die Region Hannover. Die Verantwortlichen hatten dafür ein ehrgeiziges Klimaschutzprogramm entwickelt, zu dem nicht zuletzt eine klimaschonende Siedlungsentwicklung gehört.
Mit diesem Programm will die Stadt einen soliden Beitrag leisten, um die Emission von Treibhausgasen zu reduzieren. Die Verantwortlichen wollen so den Ursachen wie auch den Folgen des Klimawandels konsequent und überzeugend begegnen. Außerdem, so das erklärte Ziel, sollen andere Kommunen der Region von den Maßnahmen der Kommune lernen können.

Umweltfreundliches Konzept

Also war klar: Für die Wärmeversorgung des neuen Quartiers auf dem ehemaligen Hüttengelände wollte man nicht auf die übliche Lösung mit Gas setzen. Stattdessen suchten die Stadtentwickler nach einem Konzept, das eine umweltfreundliche und energieeffiziente Versorgung sicherstellen sollte.
Das Projekt hat eine für Neustadt erhebliche Dimension: 180.000 m² (18 ha) groß ist das frühere Hüttengelände, rund zwei Drittel davon sind Industriebrache. Dort wurde einst Eisenerz verhüttet und später Teerpappe hergestellt. In drei Bauabschnitten entsteht hier jetzt ein neuer Stadtteil mit 72 Einfamilienhäusern und 44 Mehrfamilienhäusern. Dazu eine Seniorenresidenz, ein Supermarkt und eine Kindertagesstätte.

Platz für tausend Bewohner

Wenn das Quartier komplett ist – geplant ist die Fertigstellung bis Ende 2022 – wird es mehr als tausend Bewohnern eine neue Heimat bieten. Mit mustergültiger Infrastruktur und klimaschonendem Energiekonzept. Neben dem ehemaligen Hüttengelände im Norden gehört auch eine bislang reine Ackerfläche zum Plangebiet: „Westlich Heidland“. Der erste Bauabschnitt gilt dieser rund 7,3 ha großen Fläche, deren Bebauung bereits weit fortgeschritten ist.
„Die ersten Bewohner sind schon eingezogen, die ersten Wärmepumpen laufen bereits“, erzählt Vladimir Tsintsiper. Er arbeitet seit vielen Jahren für den Wärmepumpenhersteller alpha innotec – unter anderem als Projektierer für Quartierslösungen. „Es gibt heute keine Kommune mehr, die eine Siedlung oder ein neues Quartier plant, ohne eine kostengünstige und umweltfreundliche Versorgung mit Wärmeenergie anzustreben. Und das ist nur mit einem intelligenten, großflächigen Einsatz von Wärmepumpen zu schaffen. Neustadt am Rübenberge ist ein gutes Beispiel dafür.“

Wärmepumpen von alpha innotec

Den Zuschlag für die Versorgung des neuen Quartiers in Neustadt hat alpha innotec bekommen. „Weil wir den dortigen Verantwortlichen einige sehr überzeugende Referenzanlagen in der Region präsentieren konnten“, wie Vladimir Tsintsiper nicht ohne Stolz anmerkt. „Und weil wir ein für ihre speziellen Anforderungen ausgezeichnetes Konzept vorgelegt haben.“ Installiert und betrieben wird das kalte Nahwärmenetz von „Leinenetz“, einer gemeinsamen Gesellschaft der Stadtwerke Neustadt und der Stadtwerke im benachbarten Garbsen. Die Projektplaner gehen für das ganze Quartier von einem Energiebedarf von etwa 2.500 MWh im Jahr aus.

Links im Bild sind die Ackerflächen zu erkennen, die im Zuge des ersten Bauabschnitts bebaut wurden
Foto: GEG NEUSTADT A. RBGE.

Städtebaulicher Entwurf für das Quartier „Hüttengelände/Siemensstraße“
Abbildung: GEG NEUSTADT A. RBGE.

Energie aus der Erde

Für die Versorgung der Häuser und Wohnungen des neuen Quartiers nutzt die Betreibergesellschaft einen Vorteil, der kleineren Projekten oft verwehrt ist: Sie holt den größten Teil der dafür benötigten Primärenergie aus einem in der Nähe verlegten Erdkollektorfeld. Die annähernd 15.000 m² Fläche hat Leinenetz von ihrem Besitzer, einem Landwirt, gepachtet. Das Besondere daran: Da die Kollektoren lediglich nicht überbaut werden dürfen, kann er sein Feld trotzdem ganz normal landwirtschaftlich nutzen. Eine weitere Energiequelle ist das Regenrückhaltebecken, das eigens für das neue Quartier gebaut wurde.
Von einer zentralen Pumpstation fließt frostsicheres Fluid in ungedämmten Leitungen in die einzelnen Häuser, wo sie den dort verbauten Wärmepumpen die Primärenergie liefern. Jedes Einfamilienhaus hat seine eigene Wärmepumpe, während die Bauträger und Investoren der Mehrfamilienhäuser mit unterschiedlichen Konzepten arbeiten: entweder dezentral, also mit einer Wärmepumpe in jeder Wohneinheit, oder mit einer zentralen Anlage für das ganze Haus.
Alle im Quartier installierten Wärmepumpen sind invertergesteuerte Modelle vom Typ alpha innotec SWCV in unterschiedlichen Leistungsgrößen, je nach Anforderung. Für die Versorgung bietet Leinenetz den Wohnungs- und Hauseignern bzw. Mietern zwei Modelle: Beim Basismodell kauft der Kunde die Wärmepumpe. Die Betreibergesellschaft sorgt gegen eine Gebühr für den reibungslosen Betrieb des kalten Nahwärmenetzes und die Bereitstellung der Primärenergie. Beim Premiummodell bleibt auch die Wärmepumpe Eigentum von Leinenetz. Der Kunde bezieht seine Heizwärme per Vertrag komplett vom Betreiber. In beiden Modellen rechnet Leinenetz den individuellen Bezug der alten Nahwärme über einen Wärmemengenzähler ab. Eine ebenso komfortable wie einfache Sache für den jeweiligen Haus- bzw. Wohnungseigner oder Mieter.

Weniger Energieverlust

Das kalte Nahwärmenetz liefert im Quartier den angeschlossenen dezentralen Wärmepumpen in der Regel Primärenergie mit einem Temperaturniveau zwischen 6 und 12 °C. Anschließend fließt das Fluid um ungefähr 2 °C abgekühlt wieder zurück in den Kreislauf.
Kalte Netze eignen sich gut für die Kombination mit Wärmepumpen, denn die geringe Temperaturdifferenz zwischen Wärmequelle und Vorlauftemperatur moderner Flächenheizsysteme wirkt sich positiv auf die Effizienz von Wärmepumpensystemen aus. Hinzu kommt: Die invertergesteuerten Wärmepumpen richten ihre Wärmeerzeugung genau am jeweils aktuellen Bedarf aus. Dadurch arbeiten sie immer am optimalen Betriebspunkt. Das steigert ihre Effizienz gegenüber anderen Modellvarianten deutlich.

Trinkwasserverordnung umgangen

Dezentrale Wärmepumpen, wie sie hier überwiegend zum Einsatz kommen, haben den Charme, dass die Erzeugung von Brauchwarmwasser der jeweiligen Wohnung obliegt. Damit entfallen jegliche Vorkehrungen, die getroffen werden müssten, um den strengen Vorgaben der Trinkwasserverordnung wegen Verunreinigung oder Legionellengefahr gerecht zu werden. Denn ein dezentraler Warmwasserspeicher, wie er bereits in einer kompakten Wärmepumpe integriert ist, hat üblicherweise ein Volumen von 200 l. Damit ist er als Kleinanlage von der regelmäßigen Kontrollpflicht ausgenommen, die für eine zentrale Trinkwasserversorgung bei einer Großanlage ab drei Wohneinheiten vorgeschriebenen ist. Hinzu kommt, dass damit jeder Haushalt selbst für die Energiekosten verantwortlich ist, die durch seine Brauchwasserbereitung anfallen. Die Stromversorgung der Wärmepumpe läuft wie bei anderen Haushaltsgeräten auch einfach über den wohnungseigenen Stromzähler.
Vladimir Tsintsiper ist überzeugt: Die neuen Stadtquartiere der Zukunft werden praktisch ausnahmslos auf der Basis solcher oder ähnlicher Versorgungskonzepte entstehen. „Wirtschaftlichere Lösungen gibt es nicht. Und es bringt die Energiewende im Sinne des Gesetzgebers und der ganzen Gesellschaft voran. Wir von alpha innotec haben deshalb ein Experten-Netzwerk geschaffen, das solche Projekte komplett realisieren kann – von der Machbarkeitsstudie und Projektierung über die Erschließung der Wärmequelle, den Bau des Versorgungsnetzes und die Installation der Wärmepumpen bis hin zum Monitoring. Und natürlich übernehmen wir auf Wunsch auch die Wartung und Betreuung der Anlage im laufenden Betrieb.“

Der Autor


Herbert Grab
ist Journalist und Autor. Schwerpunkte seiner Arbeit sind erneuerbare Energien und die dazugehörige Technologie. Er schreibt vorwiegend für Fachmagazine und als Ghostwriter für namhafte Experten.

www.digitmedia-online.de

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