Umnutzung für mehr Wohnraum: Aus Alt mach Neu

Umnutzung für mehr Wohnraum: Aus Alt mach Neu

Städtebau & Quartiersentwicklung

Umnutzung für mehr Wohnraum: Aus Alt mach Neu

Text: Michaela Allgeier | Foto (Header): © SOZIALBAU KEMPTEN

Die Umnutzung bestehender Gebäude birgt ein großes Potenzial, um mehr Wohnraum zu schaffen. Mit der „Sheddachhalle“ in Kempten wurde ein derartiges Projekt mit dem Deutschen Bauherrenpreis ausgezeichnet.

Auszug aus:

Bezahlbarer Wohnraum hat sich bekanntlich zu einem äußerst knappen Gut entwickelt. Vor allem in deutschen Großstädten liegen Angebot und Nachfrage inzwischen weit auseinander. Erschwerend kommt hinzu, dass Bundesbauministerin Klara Geywitz erst für die Jahre 2024 und 2025 damit rechnet, das jährliche Neubauziel von 400.000 Wohnungen – davon jede vierte eine Sozialwohnung – zu erreichen. Die Gründe dafür sind vielfältig: Neben den stark gestiegenen Baupreisen, dem Fachkräftemangel sowie steigenden Zinsen kommt fehlendes Bauland dazu. Vor diesem Hintergrund kann die Umnutzung bestehender Gebäude eine gute Möglichkeit sein, die Lage auf dem Wohnungsmarkt zu entschärfen.

Laut Statistischem Bundesamt entstehen etwa 63 % der Neubauwohnungen in Deutschland in Mehrfamilienhäusern. Aufgrund der noch hohen Genehmigungszahlen im 1. Halbjahr 2022 seien im Gesamtjahr 2022 mit 190.400 Wohnungen lediglich 1,6 % oder 3.100 Wohnungen weniger genehmigt worden als im Jahr 2021. Dieser Abwärtstrend habe sich im Jahresverlauf jedoch beschleunigt. „Im Dezember 2022 wurden in neu zu errichtenden Mehrfamilienhäusern nur 19.200 Wohnungen genehmigt, das waren 19,3 % oder 4.600 Wohnungen weniger als im Vorjahresmonat. Üblicherweise werden im Dezember besonders viele Mehrfamilienhäuser genehmigt“, teilte das Statistische Bundesamt im März 2023 mit.

Chancen für klimaschonendes Bauen

Eine Studie des Pestel Instituts mit dem Titel „Bezahlbarer Wohnraum 2022 Neubau – Umbau – Klimaschutz“ (Auftraggeber: Verbändebündnis „Soziales Wohnen“) sieht in der Umnutzung gewerblicher Flächen, insbesondere von Büroflächen, große Chancen: „Jedes Prozent Bürofläche, das wegen der dauerhaften Homeoffice-Ausweitung zu Wohnungen umgenutzt werden kann, lässt die Schaffung von rund 50.000 Wohnungen mit jeweils 70 m² zu.“ Unterschiedlichen Schätzungen zufolge gebe es in Deutschland 350 bis 380 Mio. m² Bürofläche, die zu Wohnflächen umgenutzt werden könnte. Allerdings sei es notwendig, dies politisch zu unterstützen und zu fördern. Das von Bundesbauministerin Klara Geywitz initiierte „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“ hat ein umfangreiches Maßnahmenpaket erarbeitet, damit sich der Bau von Wohnungen nicht nur kostengünstig, sondern zugleich klimagerecht bzw. ressourcenschonend realisieren lässt. Zu den Bündnispartnern gehören unter anderem Vertreterinnen und Vertreter der Länder, die kommunalen Spitzenverbände, die Wohnungs- und Bauwirtschaft sowie der Deutsche Mieterbund.

Einige der Maßnahmen zielen ausdrücklich darauf ab, die Umnutzung und den Umbau bestehender Gebäude voranzutreiben. So soll eine Expertise erarbeitet werden, die der Unterstützung von mehr Umnutzungen, Dachausbauten und Aufstockungen zu bezahlbaren Mieten dient. Als weitere Maßnahme ist die Stärkung der kommunalen Beratungsangebote zur Umsetzung von Wohnungstausch und Umbauprojekten durch Länder und Kommunen zu nennen. Zudem sollen rechtliche Hürden, die einer Umnutzung gewerblicher Gebäude ggf. entgegenstehen, identifiziert werden. Damit Umbauten, Umnutzungen sowie serielles Bauen und die Verwendung alternativer und innovativer Baumaterialien erleichtert werden, hat sich das Bündnis auf die mögliche Einführung von Innovationsklauseln in die Musterbauordnung und Übernahme in die Landesbauordnungen verständigt.

1 | Ansicht West
ABBILDUNG: HAGSPIELSTACHELUHLIG ARCHITEKTEN PART MBB

2 | Grundriss EG
ABBILDUNG: HAGSPIELSTACHELUHLIG ARCHITEKTEN PART MBB

Deutscher Bauherrenpreis 2022

Die hohe baupolitische Relevanz des Themas „Umnutzung“ belegt auch die Verleihung des Deutschen Bauherrenpreises 2022. Thomas Kaup, der Vizepräsident des „Bund Deutscher Architektinnen und Architekten“ (BDA), unterstrich, dass der Einsatz für bezahlbares Wohnen beim Deutschen Bauherrenpreis – neben der architektonischen Qualität – im Vordergrund stehe. Der Jury seien vor allem die vielen guten Beispiele für Umnutzung und Umbau des Bestands aufgefallen. Diese setzten ein Zeichen für verantwortliches Planen und Bauen angesichts des Klimawandels. Zu den in diesem Sinne ausgezeichneten Objekten gehört die „Sheddachhalle“ der Sozialbau Kempten Wohnungs- und Städtebau GmbH als Bauherrin und „Hagspiel/Stachel/Uhlig“ aus Kempten als verantwortliches Architekturbüro. Die Besonderheit hierbei: Es handelt sich um das denkmalgeschützte Gebäude einer ehemaligen Weberei und Spinnerei am Ufer der Iller, das nach einer intensiven Umbauphase eine neue Bestimmung erhalten hat. Insgesamt 46 neue Wohnungen sind dort entstanden, die trotz ihres exklusiven Ambientes bezahlbar sind.

Hochwertig und doch bezahlbar

Der Grund dafür ist das „Kemptener Modell“, das die Sozialbau entwickelt hat, damit sich auch Angehörige der Mittelschicht die Kosten für eine gut ausgestattete Wohnung leisten können. Die Mietpreise für 135 neu erbaute Wohnungen in drei Projekten, zu denen die Sheddachhalle gehört, wurden auf durchschnittlich 8 Euro/m² begrenzt. Das entspricht einer Reduzierung der marktüblichen Miete um rund 2 Euro/m².

Außerdem wurden rund 200 Wohnungen aus dem gesamten Bestand der Sozialbau, deren Sozialbindung endete, mit Mieten von rund 5,50 Euro/m² in Form der „mittelbaren Belegung“ an Besitzer eines Wohnberechtigungsscheins vermietet. Das Ziel besteht darin, die einseitige Belegung und Überforderung einzelner Wohnquartiere zu vermeiden.

3 | Im denkmalgeschützten Gebäude am Ufer der Iller sind 46 neue Wohnungen entstanden.
FOTO: SOZIALBAU KEMPTEN/span>

4 | Die Wohnanlage bietet drei unterschiedliche
Wohnungstypen, die um zwei Innenhöfe gruppiert sind.

FOTO: SOZIALBAU KEMPTEN

Neues Leben in historischen Gebäuden

Der planerische, technische und organisatorische Aufwand für das 15-Mio.-Euro-Projekt erwies sich jedoch als erheblich. Nach dem Erwerb der „Sheddachhalle“ im Jahre 2016 mussten zahlreiche Details mit dem örtlichen Denkmalamt und der Baubehörde abgestimmt werden.

Um den industriellen Charakter der 1897 errichteten Halle zu bewahren, wurde die Stahlkonstruktion mit den gusseisernen Säulen wiederverwendet. Diese bildete zugleich das Raster für die Wohnungen mit ihren unterschiedlichen Größen zwischen 50 und 135 m2. Zunächst wurden die Stahlstützen bis auf die Bodenplatte zurückgebaut, sandgestrahlt und nach einer Zwischenlagerung erneut aufgebaut. Bei den neu einzusetzenden Fenstern galt es, die Balance zwischen energetischen und optischen Vorgaben zu wahren, etwa bei der Wahl der Profile.

Weitere Herausforderungen stellten sich beispielsweise durch die Brand- und Schallschutznormen. Hinzu kam die Frage, wie es gelingen kann, neue Balkone an die historische Klinkerfassade anzubauen, denn hier war besonderes Fingerspitzengefühl gefragt. Um den Kostenrahmen trotz der komplexen Problemstellungen nicht zu sprengen, entschied sich die Sozialbau Kempten – in kontinuierlicher Absprache mit allen Beteiligten – für möglichst pragmatische Lösungen.

5 | Auch die Innenräume spiegeln – etwa mit dem Einbau von Stahltreppen – die industrielle Geschichte der Anlage wider.
FOTO: SOZIALBAU KEMPTEN

Wohnraum für unterschiedliche Bedürfnisse

Ein besonderes Plus dieser Wohnanlage besteht darin, dass sie drei unterschiedliche Wohnungstypen bietet und somit vielfältigen Lebensstilen entspricht. Die östlich gelegenen Wohnungen mit Blick auf die Iller verfügen über drei Ebenen und weisen die typischen Merkmale eines Reihenhauses auf. 20 kompakte „Back-to-Back-Wohnungen“ mit je eineinhalb Zimmern befinden sich im mittleren Teil des Gebäudes, während im westlichen Trakt Loftwohnungen mit zweieinhalb Zimmern eingerichtet wurden.

Die industrielle Note des Gebäudes wird durch den Einbau von Stahltreppen auch im Innenraum sichtbar. Alle Wohnungen sind mit Terrassen ausgestattet, die sich in zwei Innenhöfen befinden und das nachbarschaftliche Miteinander fördern.

Zwei Quartiersspielplätze sorgen dafür, dass sich nicht nur Singles und Paare, sondern auch Familien wohlfühlen.

Im Sommer 2019 konnten die neuen Wohnräume bezogen werden. Um den Wohnkomfort zusätzlich zu erhöhen, entstand im Untergeschoss des Gebäudes, wo sich früher die Webstühle befanden, eine Tiefgarage mit Platz für 80 Pkw sowie für Fahrräder. Die Bewohner der umliegenden Häuser können ebenfalls davon profitieren, was angesichts des zuvor herrschenden Parkplatzmangels einen zusätzlichen Mehrwert darstellt.

Fest steht: Die Sheddachhalle ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie es gelingen kann, den Erhalt historisch wertvoller Bausubstanz und den Bedarf nach modernen kostengünstigen Wohnformen zu verbinden. Das Projekt hat darüber hinaus zur Wiederbelebung des gesamten Stadtquartiers beigetragen und die Identifikation der dort lebenden Menschen mit ihrem Wohnort verbessert.

Quellen


DW Die Wohnungswirtschaft 12/2019
Zuletzt eingesehen am 13.04.2023:
www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/geywitz-wohnungsbauziel-101.html
www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/03/PD23_095_3111.html
www.mieterbund.de/fileadmin/public/Studien/Pestel-Studie_Bezahlbarer_Wohnraum_2022.pdf
www.bmwsb.bund.de/SharedDocs/downloads/Webs/BMWSB/DE/veroeffentlichungen/wohnen/buendnis-wohnraum/20221012-buendnis-massnahmen.pdf?__blob=publicationFile&v=4
www.bda-bund.de/2022/09/deutscher-bauherrenpreis-2022-verliehen

Die Autorin


Michaela Allgeier
Michaela Allgeier arbeitet in Moers als freie Journalistin und ist auf den Themenbereich „Demografische Entwicklung“ spezialisiert. Ihr Interesse gilt vor allem den Themen Gesundheit, Pflege und Integration. In diesem Zusammenhang befasst sie sich regelmäßig mit Fragen der Quartiersentwicklung sowie mit neuen Wohnformen. Sie hat einen Abschluss als Diplom-Heilpädagogin (Schwerpunkt: Gerontologie) und als Germanistin.

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