Mehrgenerationenwohnen in Windach: Zusammen unter einem Dach

Mehrgenerationenwohnen in Windach: Zusammen unter einem Dach

Realisierte Objekte

Mehrgenerationenwohnen in Windach: Zusammen unter einem Dach

Text: Michaela Allgeier | Foto (Header): © TANIA SCHMID FOTOGRAFIE

Selbstbestimmt leben und zugleich Gemeinschaft erfahren – das Interesse an nachbarschaftlich orientierten Wohnformen wächst. Vorbildliche Ansätze finden sich nicht nur in großen Städten, sondern auch im städtischen Umland sowie im ländlichen Raum. In der oberbayerischen Gemeinde Windach hat die MARO-Genossenschaft den denkmalgeschützten Pfarrhof saniert und 15 barrierefreie Mietwohnungen für jüngere und ältere Menschen geschaffen.

Auszug aus:

Jahrelang erlebten deutsche Großstädte einen regelrechten Boom. Doch inzwischen scheint das Leben dort an Attraktivität zu verlieren. Neben den meist hohen Kauf- und Mietpreisen für Wohnimmobilien in den urbanen Zentren hat offenbar auch die Corona-Pandemie zu einer veränderten Wohnortpräferenz beigetragen. „Vor dem Hintergrund, nicht mehr jeden Tag im Büro präsent sein zu müssen, werden weitere Entfernungen zum regulären Arbeitsplatz akzeptiert“, so der Immobilienverband Deutschland IVD Region Süd e. V. anlässlich des IVDMarktberichts „Münchner Umland“ vom Juni 2022. Einen angemessenen Anteil an preiswerten bzw. einkommensgeförderten Wohneinheiten zu schaffen, gilt jedoch als einer der größten Herausforderungen.

Genossenschaftliche Hilfe zur Selbsthilfe

Dieses Ziel verfolgt die 2012 gegründete und nicht gewinnorientierte MARO-Genossenschaft ausdrücklich (www.maro-genossenschaft.de). Das Unternehmen mit Sitz in Ohlstadt im Landkreis Garmisch-Partenkirchen setzt sich für ein selbstbestimmtes und nachbarschaftliches Wohnen unterschiedlicher Generationen in der Region Oberbayern ein. Neben freifinanzierten Wohnungen gehören kostengünstige Wohnungen für Singles, Paare und Familien zum Angebot. Die Rechtsform der Genossenschaft wurde sehr bewusst gewählt. Deren Mitglieder verstehen sich als Gleichgesinnte, die sich durch gemeinschaftliches Handeln im Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe gegenseitig fördern. Das bedeutet: Die Mieter der Wohnungen sind gleichzeitig Mit-Eigentümer und besitzen ein Wohnrecht auf Lebenszeit. Es gibt außerdem ein Entscheidungs- und Mitspracherecht im Rahmen der Mitgliederversammlung, etwa zur Verwendung des jährlichen Betriebsergebnisses.

Die MARO eG startete zunächst mit der Gründung von ambulant betreuten Demenz- und Pflegewohngemeinschaften. „Auf diese Idee kam ich, weil es im Münchner Umland seinerzeit so gut wie keine Alternativen zum Pflegeheim gab“, erklärt Martin Okrslar, einer von drei Vorständen. Die damit verbundenen Erfahrungen brachten ihn dazu, sich stärker mit dem Thema Mehrgenerationenwohnen zu beschäftigen. Neun solcher Wohnprojekte für Jung und Alt wurden bereits an unterschiedlichen Standorten realisiert. Fünf weitere befinden sich derzeit in der Bauphase. Um eine Wohnung zu erhalten, muss man Mitglied der MARO eG sein. In der Regel geht die Initiative zum Start eines Wohnprojekts von den jeweiligen Kommunen aus. Manchmal kommen auch Gruppen mit einem bebaubaren Grundstück auf die Genossenschaft zu, um ein Projekt umzusetzen.

In der Gemeinde Windach im Landkreis Landsberg am Lech hat die MARO eG den alten Pfarrhof mit städtebaulichen Mitteln des Freistaates Bayern saniert. Auf diese Weise sind drei Wohnungen sowie ein Gemeinschaftsraum entstanden. Zusätzlich wurde ein Anbau mit 12 Wohnungen einschließlich Balkon bzw. Gartenanteil auf einem Grundstück realisiert, das man von der Diözese erwarb. Von den 15 Wohnungen konnten 9 auf Grundlage der „Einkommensorientierten Förderung (EOF)“ der bayerischen Landesregierung finanziert werden. Für möglichst niedrige Nebenkosten sorgt der KfW 55-Standard.

1 | Lageplan
ABBILDUNG: SUNDER-PLASSMANN ARCHITEKTEN UTTING AM AMMERSEE

2 | Insgesamt wurden 15 Wohnungen einschließlich Balkon bzw. Gartenanteil realisiert.
FOTO: TANIA SCHMID FOTOGRAFIE

Barrierefrei und bedarfsgerecht

Die architektonische Planung übernahm die „Sunder-Plassmann Architekten Stadtplaner BDA GmbH“ aus Utting am Ammersee. „Wir legen bei all unseren Projekten Wert darauf, dass sich die Architektur unserer Gebäude gut ins Ortsbild einfügt“, betont Martin Okrslar. „Der denkmalgeschützte Pfarrhof steht neben der Kirche St. Peter und Paul und bildet ein Ensemble, das keinen Fremdkörper verträgt.“ Die Bauphase begann im April 2016; im Herbst 2017 fand der Einzug statt.

Alle Wohnungen einschließlich des Gartens sind nach DIN 18040-2 barrierefrei, aber nicht uneingeschränkt mit dem Rollstuhl nutzbar. Martin Okrslar begründet dies wie folgt. „Die Verkehrsfläche von rollstuhlgerechten Wohnungen führt zu deutlich höheren Kosten. Die Nachfrage ist zudem gering.“ Individuelle Wünsche der Bewohner, wie beispielsweise Haltegriffe im Bad oder bezogen auf die Höhe der Lichtschalter, wurden berücksichtigt.

Der Flächenanteil der Wohneinheiten spiegelt die unterschiedlichen Bedarfe der Mietparteien wider. So verfügt das Projekt über drei Wohnungen mit jeweils zwei Zimmern (52 m²) sowie über neun Wohnungen mit jeweils drei Zimmern (von 65 bis 84 m²) und über drei Wohnungen mit jeweils fünf Zimmern (102 m²).

Der Laubengang ist nicht nur ein Beitrag zur Raumeffizienz, sondern hat vor allem eine soziale Funktion. Dort sind Bänke und Nischen integriert, die den Austausch innerhalb der Nachbarschaft begünstigen.

Eine gestalterische Mitbestimmung wie sie in selbstorganisierten Baugruppen üblich ist, gibt es bei der MARO eG jedoch nicht. Der Wohnungs-Mix und die Größen der Wohnungen werden vorgegeben. Im Falle des Wohnprojekts „Alter Pfarrhof“ betraf das auch die Holzbauweise. Dennoch können die Mitglieder der Hausgemeinschaft ihren Einfluss geltend machen, etwa bei der Farbgestaltung der Außenwände, der Türen und Fenster. „Wir haben zwei Farbkonzepte zur Auswahl gestellt“, berichtet Okrslar. „Darüber wurde in der Gruppe ebenso abgestimmt wie über die Wahl der Fliesen.“

Eine Schlüsselrolle kommt dem Gemeinschaftsraum zu. „Dieser muss in jedem Wohnprojekt den besten Platz erhalten“, ist Okrslar überzeugt. In Windach befindet er sich im Erdgeschoss des ehemaligen Pfarrhofs und ist von außen einsehbar. Wenn man vorbeigeht, kann man durch die Fenster in die Küche schauen und sehen, was sich dort tut. Jeder hat seinen geschützten Privatbereich, aber die Architektur unterstützt die Bewohner gleichzeitig dabei, sich zu begegnen und Aktivitäten zu planen, wie gemeinsame Feiern.

3 | Grundriss
ABBILDUNG: SUNDER-PLASSMANN ARCHITEKTEN UTTING AM AMMERSEE

Bildung einer Hausgemeinschaft als begleiteter Prozess

Um ein möglichst harmonisches Zusammenleben sicherzustellen, lernen sich die künftigen Nachbarn bereits während der Planungs- und Bauphase eingehend kennen. Damit die Gruppe zusammenwachsen kann, finden regelmäßig Treffen statt. Deren Moderation übernehmen die jeweiligen Projektleitungen aus dem Team der 20 Mitarbeitenden der Genossenschaft.

Das Ziel: Alle Mitglieder sollen sich darüber klar werden, was das Zusammenwohnen bedeutet, und sich auf ein einheitliches Vorgehen verständigen. Die Bereitschaft, für den Erhalt des Wohnraums gemeinsam verantwortlich zu sein, spielt dabei eine wichtige Rolle. Geklärt wird u. a., wer bestimmte Hausmeistertätigkeiten übernimmt, um die Betriebskosten zu senken, oder was bei der Bewirtschaftung der Gebäude zu berücksichtigen ist.

Ein weiteres Thema ist das nachbarschaftliche Werteverständnis, das sich durch kleine Hilfen im Alltag ausdrückt. Doch diese Bereitschaft darf nicht zu überzogenen Erwartungen einerseits und einer Überforderung andererseits führen. Ein Beispiel: Für den Fall, dass ein Mitglied pflegebedürftig wird, bestellt es einen Pflegedienst. Dauerhafte pflegerische Unterstützung durch die Nachbarn kann man nicht erwarten.

Darüber hinaus besprechen die künftigen Bewohner, wie sich die Hausgemeinschaft bei Streitigkeiten untereinander verhält. Ein wiederkehrendes Konfliktthema sind Kinder und deren Bedürfnisse, sagt Okrslar. „Meist geht es dabei um Lärm. Gerade Personen ohne Kinder tun sich damit schwer.“ Wohnprojekte, die sich ausschließlich an ältere Menschen richten, hält er dennoch für keine gute Idee. „Wenn mehrere Bewohner nahezu gleichzeitig hilfe- oder pflegebedürftig werden, kann eine ganze Wohnstruktur wegbrechen.“

4 | Der Laubengang mit Bänken und Nischen begünstigt den Austausch innerhalb der Nachbarschaft.
FOTO: TANIA SCHMID FOTOGRAFIE

5 | Dem Gemeinschaftsraum kommt bei Mehrgenerationenprojekten eine Schlüsselrolle zu.
FOTO: TANIA SCHMID FOTOGRAFIE

Positiver Beitrag zur Quartiersentwicklung

Obgleich diese Wohnform zahlreiche Vorteile bietet, ist ihre Umsetzung anspruchsvoll und somit nicht für jeden das Richtige. Insgesamt stellt Martin Okrslar jedoch ein wachsendes Interesse fest. Das gilt nicht nur für die einheimische Bevölkerung. Für Zugezogene, die sich einbringen möchten, ist man in der MARO eG gleichfalls offen.

So stammen 60 % der Bewohner des Wohnprojekts „Alter Pfarrhof“ aus Windach, 40 % kommen von außerhalb, unter anderem aus München und sogar aus Kiel. „Alle beteiligen sich intensiv am sozialen Leben in der Gemeinde – etwa beim Sommerfest oder im Sportverein“, so Okrslar. Das Wohnprojekt sei inzwischen zu einem aktiven Teil der dörflichen Gemeinschaft geworden.

Aufgrund dieses Erfolgs will sich die MARO eG zukünftig noch stärker in der Quartiersentwicklung engagieren und unter anderem mit Tagespflegeinrichtungen und weiteren externen Akteuren in den Kommunen zusammenarbeiten.

Die Autorin


Michaela Allgeier
Michaela Allgeier arbeitet in Moers als freie Journalistin und ist auf den Themenbereich „Demografische Entwicklung“ spezialisiert. Ihr Interesse gilt vor allem den Themen Gesundheit, Pflege und Integration. In diesem Zusammenhang befasst sie sich regelmäßig mit Fragen der Quartiersentwicklung sowie mit neuen Wohnformen. Sie hat einen Abschluss als Diplom-Heilpädagogin (Schwerpunkt: Gerontologie) und als Germanistin.

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