Genossenschaftliches Vorzeigeprojekt: Miteinander im Wiesental

Genossenschaftliches Vorzeigeprojekt: Miteinander im Wiesental

Realisierte Objekte

Genossenschaftliches Vorzeigeprojekt: Miteinander im Wiesental

Text: Michaela Allgeier | Foto (Header): © VIOLA EPLER

Die Vereinten Nationen (UNO) haben 2025 zum Internationalen Jahr der Genossenschaften ausgerufen. „Cooperatives Build a Better World“ – so lautet das Motto. Was gemeinschaftliches Handeln bewirken kann, zeigt das Aachener Wohnprojekt „Miteinander im Wiesental“ auf beeindruckende Weise. Das polygonale Gebäude erhielt den Architekturpreis NRW 2024 und den Architekturpreis Aachen 2023.

Auszug aus:

In Deutschland gibt es rund 2.000 Wohnungsgenossenschaften mit ca. 2,2 Mio. Wohnungen im Bestand, so der GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e. V. Anlässlich des Internationalen Jahres der Genossenschaften 2025 betont der Verband: „Wohnungsbaugenossenschaften stehen für bezahlbaren Wohnraum, demokratische Mitbestimmung und innovative Lösungen, die den Menschen und die Gemeinschaft in den Mittelpunkt stellen.“

Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass Genossenschaften als Rechtsform für Wohnprojekte sehr beliebt sind. Auch zum generationsübergreifenden Bauprojekt „Miteinander im Wiesental“ passen die genossenschaftlichen Prinzipien perfekt. Das vom Kölner Architekturbüro office03 entworfene Haus bietet optimale Voraussetzungen für ein solidarisches Zusammenleben, ohne dass individuelle Bedürfnisse, wie eine ausreichende Privatsphäre, zu kurz kommen.

Städtisches Grundstück per Erbpachtvertrag

Unter der Bauherrenschaft der Dachgenossenschaft Ko-Operativ eG NRW mit Sitz in Bochum wurde das fünfgeschossige Gebäude im Zeitraum von 2019 bis 2023 initiiert, geplant und erbaut. Das ca. 1.500 m² große Grundstück ist Bestandteil einer Brachfläche, die der städtischen Nachverdichtung dient. Die Stadt Aachen hat es dem Wohnprojekt für die Dauer von 99 Jahren über einen Erbpachtvertrag zur Verfügung gestellt. Entstanden sind 16 Wohnungen unterschiedlicher Größe, die von 47 bis 133 m² variieren. Aktuell haben dort 21 Erwachsene und 13 Kinder ihr Zuhause gefunden. Alleinlebende gehören ebenso dazu wie Paare und Familien. Die Altersspanne reicht von 3 bis 83 Jahren.

Jede Wohneinheit erhielt einen separaten Außenbereich. Das Haus hat einen Gemeinschaftsraum mit angrenzender Terrasse, eine Gästewohnung mit eigenem Bad, einen Wasch- und Trockenraum sowie Platz zur Unterbringung von Fahrrädern, Kinderwagen und Gehhilfen.

1 | Die Stadt Aachen hat das ca. 1.500 m² große Grundstück dem Wohnprojekt für die Dauer von 99 Jahren über einen Erbpachtvertrag zur Verfügung gestellt.
FOTO: STEFANIE MÜLLER

2 | Piktogramm
ABBILDUNG: ARCHITEKTURBÜRO OFFICE03

Sozial gemischte Bewohnerschaft

Erste Überlegungen gab es bereits 2014, wie Stefanie Müller und Alexa Bittner von der Hausgemeinschaft berichten. Durch einen Hinweis der Koordinationsstelle Bauen und Wohnen in Gemeinschaft der Stadt Aachen stieß man 2017 auf das Grundstücksangebot. Der Bebauungsplan sah ein mehrgeschossiges Gebäude mit einem 40%igen Anteil geförderter Wohnungen vor. „Das entsprach genau unseren Zielen“, betont Alexa Bittner.

Nachdem die Stadt Aachen dem Wohnprojekt grünes Licht erteilt hatte, lobten die Mitglieder einen Konzeptidee-Wettbewerb aus. Im Mai 2020 wurde das Architekturbüro office03 mit der Planung bis zum Bauantrag, später dann ebenfalls für die Ausführungsplanung und Bauleitung beauftragt. „Schon bei der Besichtigung des Grundstücks äußerte die Gruppe erste Wünsche, wie sie künftig wohnen möchte und was ihr wichtig ist“, sagt Architektin Maren Dominick. „Diese Informationen waren für den Entwurf sehr hilfreich.“

Zielorientierte Prozessentwicklung

Um alle Details zu klären, gründeten sich im Juni 2020 verschiedene Arbeitsgruppen. Diese befassten sich – unter anderem – mit der Finanzierung, dem Geschäftsmodell, Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit sowie einem Grünkonzept zur Pflanzung neuer Bäume und Sträucher. Damit die Diskussionen möglichst zielorientiert verlaufen konnten, übernahm Karin Hater, eine Expertin für die Prozessbegleitung von Wohnprojekten, die Moderation.

„Bei den AG-Treffen für den Bereich ‚Bau bzw. Architektur‘ ging es beispielsweise um die Gestaltung der Fassaden und der Bäder“, schildert Maren Dominick. „Wir sind auf partizipative Bauvorhaben spezialisiert – es ist aber immer wieder aufs Neue spannend, Gruppen in diesem Prozess zu begleiten.“

Bedürfnisgerechte Wohnungszuschnitte

Es erwies sich jedoch als Herausforderung, die Größe des Grundstücks trotz der schrägwinkligen Grenzen optimal zu nutzen. Daher entschieden sich das Team von office03 in Absprache mit den Wohnprojekt-Mitgliedern für einen polygonalen Grundriss, der sich im Inneren des barrierefreien Gebäudes fortsetzt. „Die Zuschnitte der Wohnungen wurden sehr individuell mit den zukünftigen Bewohnerinnen und Bewohnern entwickelt“, wie Maren Dominick erläutert. Zudem sollte von allen Wohnungen aus ein Blick ins Grüne möglich sein, etwa in die angrenzenden Schrebergärten oder auf das Gut Kalkofen. Ein weiteres Entwurfskriterium bestand darin, den Sonnenverlauf zu berücksichtigen, damit alle Bewohner in den Genuss von Sonnenstunden kommen. Auf ausdrücklichen Wunsch ist der Gemeinschaftsraum nach Westen hin ausgerichtet und wird somit durch die Abendsonne erhellt.

3 | Grundriss EG
ABBILDUNG: ARCHITEKTURBÜRO OFFICE03

4 | Grundriss 1. OG
ABBILDUNG: ARCHITEKTURBÜRO OFFICE03

Gemischtes Finanzierungskonzept

Im Dezember 2020 wurde das Wohnprojekt ein Teil der Ko-Operativ eG NRW. „Überzeugt hat uns der basisdemokratische Ansatz der genossenschaftlichen Rechtsform, bei der jede Stimme zählt“, sagt Stefanie Müller. Alle Mitglieder mussten Genossenschaftsanteile erwerben: 600 €/m² für die freifinanzierten Wohnungen, 400 € für Inhaber des WBS B und 200 € für Inhaber des WBS A. Diese werden im Falle eines Auszugs zurückerstattet. Zusätzliche Finanzmittel kamen von der sozialen Wohnraumförderung, über einen Kredit für energieeffizientes Bauen sowie ein Darlehen der Hausbank. Die ursprünglich kalkulierten Gesamtkosten stiegen jedoch im Verlauf der Bauzeit von 4,0 auf 6,2 Mio. Euro, weil sich die Baukosten drastisch erhöht hatten. Einsparmöglichkeiten waren deshalb ein wiederkehrendes Thema. Das führte beispielsweise dazu, dass für die Bodenoberfläche in den Wohnungen unterschiedliche Materialien zum Einsatz kamen. Vorab wurde ein Budget für Linoleum festgelegt. Wer stattdessen Parkett bevorzugte, zahlte einen Aufpreis.

3 | Grundriss EG
ABBILDUNG: ARCHITEKTURBÜRO OFFICE03

Vorteile der Holzrahmenbauweise

„Aufgrund der vorgefertigten Bauteile spart man gegenüber der Holzständerbauweise auf der Baustelle viel Zeit“, erläutert Maren Dominick. In der Regel sei das Erscheinungsbild eines Holzbaus sehr gerichtet bzw. quadratisch. „Der polygonale Baukörper war im Holzbau schon eine kleine Herausforderung, die wir mit unseren Tragwerksplanern von Walter Reif aus Aachen aber super lösen konnten.“ Die Fenster wurden ebenfalls aus Holz gefertigt. Aus Gründen der Statik und des Brandschutzes musste das Erdgeschoss jedoch in massiver Bauweise errichtet werden. Gleiches galt für das zentrale Treppenhaus, das als zusätzlicher Begegnungsraum der Hausgemeinschaft fungiert.

Eine ressourcenschonende Wärmepumpe mit Geothermienutzung und eine Photovoltaikanlage auf dem begrünten Dach versorgen das Haus mit nachhaltiger Energie. Aufgrund einer Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung sowie der dämmenden Wirkung der Außenbauteile entspricht es dem Passivhausstandard. Viele Fixkosten der Gemeinschaftsflächen begleichen die Mitglieder solidarisch. „Zu diesen Zweck“, erzählt Alexa Bittner, „organsiert die Dachgenossenschaft geheime Bieterrunden, sodass niemand weiß, wer sich beteiligt hat und in welcher Höhe.“ Diese Maßnahme verhindere es, dass unnötige Konflikte entstehen.

Nähe und Distanz im Einklang

„Die Gruppe ist mit der Wohnsituation sehr zufrieden“, fasst Stefanie Müller die Erfahrungen der ersten anderthalb Jahre zusammen. „Man verbringt regelmäßig Zeit miteinander, hilft sich im Alltag und kann sich doch jederzeit zurückziehen.“ Dass eine große Wohnung auf der zweiten Etage teilbar ist, sei ein weiterer Pluspunkt. „Alle sanitären Anlagen und Leitungen sind doppelt vorhanden“, sagt Alexa Bittner. „Das ermöglicht bei Bedarf eine sehr flexible Nutzung.“ Beide Bewohnerinnen bescheinigen dem office03 sowie Bauleiterin Ruth Schaller eine sehr konstruktive Art der Zusammenarbeit „Wir sind uns auf Augenhöhe begegnet“, sagt Stefanie Müller.

Auch Maren Dominick hat die Planungs- und Bauzeit in guter Erinnerung. Die Gruppe habe sich intensiv in zahlreiche Details eingearbeitet, was nicht selbstverständlich sei. Dass die Stadt Aachen eine Koordinierungsstelle für gemeinschaftliches Bauen eingerichtet hat, hält sie für vorbildlich. „So sollte es überall sein.“

Die Autorin


Michaela Allgeier
Michaela Allgeier arbeitet als freie Journalistin und ist auf den Themenbereich „Demografische Entwicklung“ spezialisiert. Ihr Interesse gilt vor allem den Themen Gesundheit, Pflege und Zivilgesellschaft. In diesem Zusammenhang befasst sie sich regelmäßig mit Fragen der Quartiersentwicklung sowie mit neuen Wohnformen. Sie hat einen Abschluss als Diplom-Heilpädagogin (Schwerpunkt: Gerontologie) und als Germanistin.

Mehr aus dieser Ausgabe

Alle Inhalte 3 Monate probelesen!

Mit Q+ erhalten Sie sofort Zugriff auf:

✔ alle Beiträge vergangenen Ausgaben
✔ alle Beiträge zukünftiger Ausgaben

Jetzt 3 Monate testen!

nur 3 /Monat
(zzgl. MwSt.)

Jetzt testen

Sie haben bereits einen Zugang?