Städtebau & Quartiersentwicklung
Gedanken zur Baulandstrategie: Wohnungsbau braucht (mehr) Fläche!
Text: Prof. Dr. Torsten Bölting | Foto (Header): © AH_FOTOBOX – stock.adobe.com
In Deutschland gilt das „Primat der Innenentwicklung“. Viele Studien haben in den vergangenen Jahren erhebliche Innenentwicklungspotenziale ermittelt. Doch es will nicht gelingen, ausreichend bezahlbare Wohnungen zu bauen. Prof. Dr. Torsten Bölting erläutert, warum wir auch über neue Wohnungsbauflächen reden sollten.
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 6.2025
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„Deutschland ist gebaut!“ – Das war die vorherrschende These in den 2000er-Jahren. Insbesondere in der kurzen Nach-Wende-Wachstumsphase war es noch einmal zu einem Bauboom gekommen. Zugleich waren aber – nicht zuletzt auch in den neuen Bundesländern – teils erhebliche Flächen für den Bau von Wohn- und Gewerbegebieten ausgewiesen worden. Von diesen wurden einige bebaut, bis das Wirtschafts- und auch Bevölkerungswachstum zurückgingen. Allen war klar: Das war’s endgültig mit dem Wohnungsbau. Der lange Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg und dann der Wiedervereinigung war endlich abgeschlossen. Die Inanspruchnahme von täglich mehr als 100 ha für Siedlungs- und Industrieflächen konnte nicht auf diesem Niveau bleiben. Das 30-ha-Ziel wurde erfunden, um ursprünglich mit dem Zieldatum 2020 allzu ambitionierte Kommunen und Bauherren zu disziplinieren und dazu zu bringen, sorgsamer mit der – zwangsläufig endlichen – Ressource Grund und Boden umzugehen. Später wurde ausgehend von der EU sogar das „Netto-Null“-Ziel für 2050 definiert – von diesem Zeitpunkt an soll in der EU keine neue Fläche mehr für Siedlungs- und Verkehrsnutzungen in Anspruch genommen werden; jede Entwicklung müsste im Bestand stattfinden oder zumindest müssten entsprechend der Inanspruchnahme neuer Flächen „alte“ Siedlungs- und Verkehrsflächen aufgegeben werden.
30 ha – viel oder wenig?
Wirklich eine Vorstellung hat kaum jemand von den 300.000 m² Siedlungs- und Verkehrsfläche, die immerhin pro Tag (!) bis 2030 noch neu in Anspruch genommen werden dürften. Das entspricht etwa 60 Fußballfeldern am Tag – oder knapp 22.000 pro Jahr. Man könnte auch sagen: Jedes Jahr dürfte maximal eine Fläche halb so groß wie Duisburg oder etwas mehr als ein Zehntel Berlins zusätzlich für Siedlungs- und Verkehrszwecke in Anspruch genommen werden. Das ist viel, könnte man sagen. Oder auch wenig, wenn man bedenkt, dass Berlin mehr als 400-mal in Deutschland hineinpasst. Aktuell werden 14,5 % der Fläche Deutschlands – also knapp die 60-fache Fläche Berlins – für Siedlungs- und Verkehrszwecke genutzt, davon aber nur ein knappes Drittel für Wohnzwecke, was 4,0 % der Gesamtfläche entspricht. Der Rest sind Straßen, Gewerbeflächen oder u. a. Freizeit- und Erholungsflächen.
Deutschland doch noch nicht fertig gebaut?
In der Tat ging die Neuinanspruchnahme von Siedlungs- und Verkehrsfläche in der Folge deutlich zurück – auf heute knapp über 50 ha pro Tag. Doch in den letzten Jahren hat sich dieser Rückgang deutlich verlangsamt – und zugleich entstand neuer Druck auf die Fläche. Das hat mehrere Gründe. Zum einen bestand und besteht weiterhin Bedarf für Industrie- und Gewerbeflächen, um die wirtschaftliche Entwicklung zu unterstützen. Auch für Verkehrswege und andere Nutzungen werden Flächen benötigt. Schließlich ist es nicht zu einem Bevölkerungsrückgang gekommen; vielmehr wuchsen die Bevölkerungs- und Haushaltszahlen und zudem auch die Inanspruchnahme von Wohnfläche pro Kopf bis heute weiter. So wurde das 30-ha-Ziel zunächst um zehn Jahre verschoben – auf 2030. Doch seit mehr als zehn Jahren ist mittlerweile klar: Deutschland braucht immer noch deutlich mehr Wohnungen – vor allem in den Ballungsregionen und vor allem zu bezahlbaren Konditionen. Was also tun?
Die Lösung: Innenentwicklung!?
Das Bauen hat sich in den vergangenen Jahren verändert. Zum einen kam es zu einer deutlichen Trendwende vom individuellen Bau von Ein- und Zweifamilienhäusern zu Wohnungen im Geschosswohnungsbau. Zum anderen wurden und werden zunehmend neue Technologien ausprobiert, die (auch) für das „Bauen im Bestand“ geeignet sind. Angesichts vielerorts knapper und teurer Bauflächen gilt für viele die Neuschaffung von Wohnungen durch z. B. Aufstockungen, Anbauten oder Umnutzung anderer Gebäude als Königsweg, dem Wohnungsmangel zu begegnen. Zugleich wurde z. B. die Wohnraumförderung vieler Länder massiv ausgebaut, um dem Mangel zu begegnen; viele Programme in den einzelnen Ländern benennen heute explizit auch Innenentwicklungsstrategien als besonders förderwürdig. Verschiedene Studien haben in den vergangenen Jahren teils erhebliche Potenziale für Aufstockungen oder Umnutzungen von Bürogebäuden etc. identifiziert. Ein Jubel ging durch die Planergemeinde, ambitionierte Stadtentwickler freuten sich und alles schien klar: Problem gelöst, wir werden einfach dichter. Aber trotzdem zeigt sich: Es gelingt einfach nicht, ausreichend Wohnungen auf diesem oder einem anderen Weg zu errichten. Die Mangelsituation bleibt und wird sich angesichts der niedrigen Baugenehmigungszahlen sogar noch weiter verschärfen.
Innenentwicklungsstrategien sind der ökologisch beste Weg, Wohnungsbau zu betreiben. Natürlich kann es nicht Ziel sein, dauerhaft große, weitere Flächen für Wohnungsbau in Anspruch zu nehmen. Aufstocken, Anbauen, Umnutzen – alle diese Strategien werden zu Recht als gute Alternative zum Bau von Wohnungen auf freier Fläche gesehen. Und es gibt hervorragende und erfreulicherweise auch immer mehr Projekte, wo es gelungen ist. Nicht zuletzt durch serielle und modulare Bauweisen können die Kosten für Aufstockungen auch jedenfalls insoweit im Rahmen gehalten werden, als dass sie nicht noch teurer als Neubauten werden.
Doch in der Realität zeigt sich auch, dass diese Projekte und damit auch die Strategie insgesamt häufig mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sind. Eine Schlüsselrolle dabei spielen die Eigentümer von Grundstücken. Viele Kommunen sehen deren Unwillen oder Unfähigkeit, Grundstücke einer Wohnnutzung zuzuführen, als eine besonders große Hürde an. Daneben gibt es viele andere Hemmnisse, wie z. B. die komplexen Verfahren bei einigen Innenentwicklungsprojekten sowie die hohen Kosten, die teilweise damit verbunden sind. Eine beispielhafte Untersuchung anhand von Bochum zeigte, dass nach zehn Jahren nur knapp 15 % der ehemals ermittelten Potenziale für die Neuschaffung von Wohnungen z. B. durch Aufstockung oder Nachverdichtung innerhalb ausgewählter Stadtteile tatsächlich gehoben werden konnten. Man könnte auch sagen: „Immerhin 15 %“, andernorts ist es teils noch schwieriger. Auch große und leistungsfähige, gemeinwohlorientierte Wohnungsgesellschaften, die im Allgemeinen ein Interesse an der Weiterentwicklung des Wohnungsbestands und der Quartiere haben, erklären, dass viele realistische Potenziale z. B. für die Aufstockung in ihren Beständen schon gehoben sind. Manchmal lässt man technisch machbare Aufstockungen bewusst aus, weil man in diesem Fall auch in den Wohnungen der unteren Etagen modernisieren müsste und damit die Mietbelastung für viele Mieter auch dort steigen würde.
Wie geht es weiter?
Innenentwicklung, z. B. durch Aufstockung oder den Anbau an bestehende Objekte, ist die beste Variante, um Wohnraum zu schaffen – wenn auch nicht immer die günstigste. Doch es ist auch klar: Mindestens in den stark nachgefragten Regionen Deutschlands wird dies absehbar nicht reichen, um ausreichend Wohnraum für die wachsende Zahl der Haushalte bereitzustellen. Zugleich ist weder erkennbar noch zu erwarten, dass es gelingen könnte, große Teile der wachsenden Bevölkerung in die ländliche Peripherie umzulenken, wo es genug Wohnungen gibt. Zwar haben Studien gezeigt, dass z. B. gut angebundene Kleinstädte große Potenziale als Ausweichstandorte haben [3] [4]. Doch auch dort ist die Entwicklung vielfach fortgeschritten. Die Einzugsbereiche vieler Metropolen haben mittlerweile gewaltige Dimensionen erreicht, die Pendlerverflechtungen Münchens z. B. decken heute die gesamte südliche Hälfte Bayerns ab.
Deshalb muss es in wachsenden Regionen auch zeitweise um eine stärkere Orientierung in den Außenbereich gehen, um ausreichend Wohnraum zu schaffen. Der „Bau-Turbo“ ermöglicht das nun immerhin zaghaft, wenn (!) die Kommunen den Joker ziehen. Aber ob das geschieht und in ausreichendem Umfang, ist derzeit nicht abzusehen. Das 30-ha-Ziel ist bis 2030 nicht zu schaffen – sondern erst später, wenn die demografische Entwicklung in eine Stagnation und Schrumpfung der Bevölkerung führt. Deshalb sollte über eine erneute Verschiebung nachgedacht werden, um dem dringend benötigten Wohnungsbau ausreichend Raum zugeben. Zusätzlich sollte natürlich die Innenentwicklung auch weiter gefördert (und gefordert) werden.
Studie
Weitere Informationen zum Thema bietet die Studie „Wohnungsbau braucht (mehr) Fläche – Flächenneuinanspruchnahme und Innenentwicklung auf dem Prüfstand“.
Kostenloser Download unter: www.inwis.de/ueber-uns/publikationen
Quellen
[1] Umweltbundesamt: www.umweltbundesamt.de/themen/boden-flaeche/flaechensparen-boeden-landschaften-erhalten#flachenverbrauch-in-deutschland-und-strategien-zum-flachensparen (Stand 18.11.2025)
[2] Vgl. BBSR – Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (Hrsg.) (2022): Bauland- und Innenentwicklungspotenziale in deutschen Städten und Gemeinden. BBSR-Online-Publikation 11/2022, Bonn, März 2022. (45 ff.); gemeinsam mit einer parallel stattfindenden Befragung des Difu wurde eine repräsentative Stichprobe anhand von Gemeindegrößen gebildet; die Daten aus 692 Kommunen konnten berücksichtigt werden. Es hatten insgesamt 1.084 Kommunen an der Erhebung teilgenommen, aufgrund des äußerst umfangreichen Fragebogens konnte jedoch nur ein Teil berücksichtigt werden – die Ergebnisse wurden dann hinsichtlich der Gemeindegrößenklassen gewichtet.
[3] Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung mit Wüstenrot Stiftung (2022): Landlust neu vermessen. Wie sich das Wanderungsgeschehen in Deutschland gewandelt hat. Verfügbar unter: www.berlin-institut.org/fileadmin/Redaktion/Publikationen/Berlin-Institut___Wuestenrot_Stiftung_Landlust_ neu_vermessen.pdf (Stand 18.11.2025)
[4] BBSR – Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (Hrsg.) (2019): Zukunft Kleinstadt. Potenziale von Kleinstädten in peripheren Lagen, Bonn Online verfügbar unter: www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/veroeffentlichungen/sonderveroeffentlichungen/2019/zukunft-kleinstadt.html (Stand: 01.12.2025)
Der Autor
Prof. Dr. Torsten Bölting
Prof. Dr. Torsten Bölting repräsentiert an der EBZ Business School die Fächer Soziologie und Sozialwissenschaften und ist Geschäftsführer des Bochumer InWiS-Instituts. Der Stadtplaner hat für verschiedene Verbände in einer kritischen Betrachtung untersucht, inwieweit die Zielsetzungen zur Flächensparsamkeit erreichbar sind. Das InWIS arbeitet seit über 30 Jahren für unterschiedliche öffentliche und private Förder- und Auftraggeber an zahlreichen Studien zur Zukunft des Wohnens.






