Nachverdichtung und Aufstockung in München: Nachhaltige Transformation

Nachverdichtung und Aufstockung in München: Nachhaltige Transformation

Realisierte Objekte

Nachverdichtung und Aufstockung in München: Nachhaltige Transformation

Foto (Header): © ROBERT MEYER UND TOBIAS KARLHUBER ARCHITEKTEN

Die Sanierung von Wohnsiedlungen aus den 1960er-Jahren, insbesondere im geförderten Wohnungsbau, ist Herausforderung und Chance zugleich. Bei einer Wohnanlage in München konnte bei begrenztem Budget der Bestand angemessen modernisiert und nachverdichtet sowie die Freiflächen aufgewertet werden. Das Projekt erhielt von der Bayerische Architektenkammer zwei Auszeichnungen des neuen Labels KlimaKulturKompetenz, in den Kategorien Klimaanpassung und Flächensparen.

Auszug aus:

Die vier Gebäude in der Silberdistelstraße sind Teil der Mitte der 1960er-Jahre erbauten Großsiedlung Blumenau am westlichen Stadtrand Münchens, die durch Zeilenbauten und Wohnhochhäuser in durchgrünten Gruppierungen charakterisiert ist. Errichtet wurden sie von der „Baugenossenschaft München von 1871 e.G.“, einer der ältesten Baugenossenschaften Deutschlands. Ziel war es, qualitätsvollen und bezahlbaren Wohnraum für eine breite Bevölkerungsschicht zur Verfügung zu stellen.

Das Thema ist in München heute so aktuell wie damals, der Mangel an kostengünstigen Wohnungen ist eklatant. So war es naheliegend, im Zuge der anstehenden Sanierung des Bestands auch dessen Potenzial zur Nachverdichtung zu untersuchen. Vorbild für die Baugenossenschaft war das 2013 abgeschlossene Bauvorhaben von Robert Meyer und Tobias Karlhuber Architekten auf dem Nachbargrundstück.

Neben der energetischen Sanierung von drei Bestandsbauten aus dem Jahr 1964 konnte bei der Genehmigungsbehörde zusätzliches Baurecht in Höhe von circa 1.750 m² Wohnfläche in Form von Aufstockungen erwirkt werden. Die beiden bestehenden Zeilen wurden deshalb eingeschossig in vorgefertigter Holzbauweise aufgestockt, das Punkthaus zweigeschossig in Massivbauweise.

Ähnlich wie auf dem Nachbargrundstück mit den gleichen Haustypen konnte hier mit der Genehmigungsbehörde eine zweigeschossige Aufstockung der zwei Zeilenbauten abgestimmt werden sowie zwei weitere Nachverdichtungsmaßnahmen: den Ersatz des viergeschossigen Punkthauses durch ein neungeschossiges Wohngebäude (F1) sowie den viergeschossigen Neubau (N1) an der Krokusstraße.

Erster Bauabschnitt

Die ursprünglich 138 Wohnungen werden so um insgesamt 95 neue und teils geförderte Einheiten ergänzt. Die Maßnahmen werden in drei Bauabschnitten realisiert, der erste ist seit Dezember 2022 fertiggestellt. Er umfasst die Sanierung und Aufstockung eines Zeilenbaus sowie den Neubau an der Krokusstraße, einen langgestreckten Riegel. 16 Wohnungen von 55 bis 116 m² Wohnfläche verteilen sich auf die drei Obergeschosse, während das Erdgeschoss im aufgeständerten Bereich offene Pkw-Stellplätze sowie im geschlossenen Bereich Fahrradräume und eine Werkstatt aufnimmt. Im Untergeschoss wurde die bestehende Tiefgarage ersetzt, doch insgesamt reduzierte das neue Mobilitätskonzept die Pkw-Plätze zugunsten von 356 Fahrradstellplätzen.

Gestalterisch passt sich der Neubau mit einer Lochfassade, ähnlichen Fensterformaten und dem flach geneigten Dach mit knappem Überstand dezent an den Bestand und seine bauzeitliche Architektursprache an. Die großzügigen, durchlaufenden Balkone an der Westfassade setzen einen zeitgemäßen Kontrapunkt, ebenso wie die größeren Fenster der lichtdurchfluteten Innenräume. Als massiver, monolithischer Mauerwerksbau aus Wärmedämmziegeln und mineralischem Dickputz ist die Konstruktion robust und langlebig, sie reduziert Bewirtschaftungskosten und wartungsintensive Technik.

1 | Lageplan
ABBILDUNG: ROBERT MEYER UND TOBIAS KARLHUBER ARCHITEKTEN

2 | Wohngebäude F2 vor der Baumaßnahme
FOTO: ROBERT MEYER UND TOBIAS KARLHUBER ARCHITEKTEN

Sanierungsmaßnahmen

In den Bestandsgebäuden F2 (1. Bauabschnitt) und F3 (2. Bauabschnitt) am Süd- und Westrand des Grundstücks wurden umfangreiche Sanierungsmaßnahmen durchgeführt. Dazu zählten insbesondere die Modernisierung der Bäder, die Neuordnung der Kellerabteile sowie die Erneuerung der Haustechnik und Versorgungsleitungen. Im Zuge der Badsanierung mussten auf allen Wohnebenen – Erdgeschoss sowie 1. bis 3. Etage – die Wände sowie die durchgehenden Schächte in den Abstellkammern und Bädern geöffnet werden, um die neuen Versorgungsleitungen fachgerecht zu verlegen. Auch im Untergeschoss war es erforderlich, die Wände vor den Leitungssträngen zu öffnen. Eine Untersuchung der bestehenden Zu- und Abwasserleitungen aus den Jahren 1965/1966 hatte gezeigt, dass eine umfassende Erneuerung notwendig war, um die neuen Wohnungen der Aufstockungsmaßnahme anschließen zu können.

Die Sanierung der Versorgungsleitungen erstreckte sich in beiden Bestandsgebäuden jeweils über einen Zeitraum von etwa sieben Monaten, zumal die gesamten Leitungen anders geführt werden mussten. Parallel dazu wurde die Kellerfläche neu strukturiert. Da für die neu geschaffenen Wohnungen zusätzliche Kellerabteile erforderlich waren, wurden die vorhandenen Gemeinschaftsräume umgestaltet und die bestehenden Kellerabteile neu organisiert. In Zuge dessen mussten auch die Heizungsräume inklusive Technikraum für die neuen PV-Anschlüsse umziehen. Diese Prozesse dauerten rund sechs Monate.

Die ursprünglichen Linoleumböden wurden erneuert und Holzböden ausgebessert. Die Erschließung der Gebäude erhielt durch neue, verglaste Außenaufzüge an den Hauszugängen eine erhebliche Aufwertung. Die Bauarbeiten fanden weitestgehend im bewohnten Zustand statt. Für die Badsanierungen war es jedoch unumgänglich, dass jeweils die betroffenen Mieter für die Sanierungsdauer von ca. zwei Monaten ihre Wohnungen verlassen mussten. Der Großteil der Mieter konnte dabei durch ein ausgeklügeltes Konzept in freien Wohnungen auf dem Grundstück untergebracht werden. Die Sanierungsmaßnahmen am Bestandsgebäude F2 wurden im Mai 2022 und beim Bestandsgebäude F3 im Dezember 2022 erfolgreich abgeschlossen. Parallel zu den Sanierungsmaßnahmen wurden die Gebäude F2 und F3 um jeweils zwei Stockwerke in Massivbauweise aufgestockt.

3 | Wohngebäude F2 nach der Sanierung, der zweigeschossigen Aufstockung und dem Anbau von Außenaufzügen. Neugestaltung der Außenanlagen mit Urban-Gardening-Hochbeeten, Kleinkinderspielplatz und Holzpavillon für gemeinsame Bewohneraktivitäten.
FOTO: ROBERT MEYER UND TOBIAS KARLHUBER ARCHITEKTEN

4 | Luftbild Silberdistelstraße mit viergeschossigem Neubau (N1) auf der ehemaligen Parkplatzfläche mit PV-Anlage auf dem Dach und F2 mit PV-Anlagen auf den Dächern
FOTO: JONAS NEFZGER

Aufstockungsmaßnahmen

Die Aufstockung der Bestandsgebäude F2 und F3 führt die Bestandsarchitektur fort und kombiniert sie mit den gestalterischen Elementen des Neubaus: den großzügigen Fensterformaten und auskragenden Balkonen – im Gegensatz zu den bauzeittypischen Loggien der unteren Etagen. Unterschiedliche Putzstrukturen differenzieren subtil den Bestand von der Ergänzung. Das neu entwickelte Farbkonzept der Fassaden betont die Hauseinheiten und stärkt die Adressbildung.

Auf allen Dächern der Baukörper sind Photovoltaikanlagen mit einer Fläche von insgesamt 630 m² installiert. Im Mieterstrom-Modell liefern sie den vor Ort produzierten Strom ohne Benutzung des öffentlichen Stromnetzes direkt in die Wohnungen.

Auch das direkte Wohnumfeld wurde aufgewertet und die Aufenthaltsqualität verbessert. Die Außenräume und Freiflächen als gemeinsame Grünfläche sind geprägt vom gewachsenen Baum- und Gehölzbestand, der weitestgehend erhalten bleibt. Als neu geschaffene Angebote laden im nördlichen Bereich des Grundstücks ein offener holzverkleideter Pavillon sowie die angrenzenden Urban-Gardening-Hochbeete die Bewohner zu gemeinsamen Aktivitäten ein. Zur Erhöhung der Biodiversität wurde der vorhandene Gehölzbestand revitalisiert und durch heimische sowie klimaresiliente Pflanzenarten ergänzt. Zusätzlich kam standortgerechtes Wiesen- und Rasensaatgut zum Einsatz, darunter insektenfreundliche Wiesenblumen und -kräuter mit hohem Nährwert für Bienen. Das Anbringen von Nist- und Brutkästen unterstützt die heimische Vogelwelt. Die neu gestalteten Außenbereiche bieten eine hohe Aufenthalts- und Nutzungsqualität für alle Altersklassen. Ein gemeinschaftlich genutzter, überdachter Freisitz mit Werkzeugraum bietet Schutz vor Sonne und Hitze im Sommer. Für die jüngeren Bewohner stehen ein Kleinstkinderspielplatz sowie verschiedene Spielmöglichkeiten für Kinder im Alter von 7 bis 12 Jahren zur Verfügung, darunter ein „Himmel-und-Hölle“-Spielfeld, ein Klettergerüst mit Rutsche, Schaukeln und ein Spielhäuschen.

Im Zeitraum von September 2023 bis Mai 2024 erfolgte beim Gebäude F1 die Schadstoffsanierung, der Rückbau sowie die Erstellung der Baugrube mit den erforderlichen Verbau-Maßnahmen. Der Baubeginn der Baumeisterarbeiten für F1 befinden sich seit Juni 2024 in der Ausführung. Hier entstehen 51 geförderte neue Wohneinheiten verteilt auf neun Etagen. Im Erdgeschoss ist ein großer Gemeinschaftsraum vorgesehen. Zum aktuellen Zeitpunkt ist eine Fertigstellung der Arbeiten bei F1 für April 2026 geplant.

Über Robert Meyer und Tobias Karlhuber Architekten


Ein Schwerpunkt der Arbeit des mittelgroßen Architekturbüros, welches im Herzen Münchens angesiedelt ist und seit über 20 Jahren in der Isarmetropole sowie deutschlandweit Projekte bearbeitet, ist das Bauen für alle Menschen in der Stadt, also Wohngebäude unterschiedlicher Größenordnung und Ansprüche, auch im Mix mit Gewerbeeinheiten, wie Läden, Arztpraxen und Büros sowie Kindertagesstätten. Das Spektrum reicht von Neubau über Umbau und Sanierung bis hin zu Aufstockung und Nachverdichtung. Immer im Blick: die einzigartige Situation, der besondere Kontext.
www.meyerkarlhuber.de

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