Mixed-Use in Pforzheim und Wesseling: Urbanes Wohnen über dem Discounter

Mixed-Use in Pforzheim und Wesseling: Urbanes Wohnen über dem Discounter

Städtebau & Quartiersentwicklung

Mixed-Use in Pforzheim und Wesseling: Urbanes Wohnen über dem Discounter

Text: Michaela Allgeier | Foto (Header): © ALDI SÜD

Das städtische Leben ist derzeit von einer tiefgreifenden Dynamik geprägt. Angesichts der angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt, aber auch der demografischen Entwicklung stehen unkonventionelle Lösungen hoch im Kurs. Mixed-Use-Immobilien ermöglichen Synergieeffekte und stärken die Attraktivität von Quartieren. ALDI SÜD hat derartige Projekte in Pforzheim und Wesseling verwirklicht.

Auszug aus:

Bereits seit einigen Jahren haben Discounter wie ALDI SÜD und Lidl das Potenzial multifunktionaler Gebäude erkannt. Aufgrund baurechtlicher Vorgaben zur Kleinflächigkeit – es sind maximal 800 m² Verkaufsfläche erlaubt – ist oft eine neue Baugenehmigung erforderlich, wenn Filialen modernisiert oder vergrößert werden. Immer häufiger wird diese jedoch nur für eine Mixed-Use-Immobilie erteilt. Deshalb gilt die eingeschossige Bauweise inzwischen als Auslaufmodell. Ein weiterer Aspekt: Aufgrund veränderter Lebensgewohnheiten ist die „Stadt der kurzen Wege“ zum Leitbild der Quartiersgestaltung avanciert. Als Ursachen sind beispielsweise das Arbeiten im Homeoffice zu nennen, das auch nach der Pandemie weit verbreitet ist. Hinzu kommt der steigende Anteil älterer und immobiler Menschen, die auf ein wohnortnahes Versorgungsangebot angewiesen sind.

Überzeugt von der Idee, den Lebensmitteleinzelhandel mit der Schaffung von zusätzlichem Wohnraum unter einem Dach zu ermöglichen, hat die hessische Landesregierung eine Handreichung herausgegeben. Diese bündelt die wichtigsten Ergebnisse des Hessischen Supermarktgipfels, der im September 2019 stattgefunden hat. Dort waren Vertreter des Lebensmittelhandels, Architekten, Wohnungsbaugesellschaften und Kommune zu einem Austausch zusammengekommen. Die Handreichung richtet sich primär an kleinere Kommunen, um sie bei der Planung und Umsetzung entsprechender Vorhaben zu unterstützen. Ausdrücklich werden die Chancen betont, die sich durch eine Kombination von Supermärkten, Wohnformen sowie weiterer Nutzungen, z. B. Kindertagesstätten oder Praxen, für alle Beteiligten ergeben.

Vor rund zehn Jahren begann ALDI SÜD damit, Wohnungen über seinen Filialen zu bauen. Derzeit sind es rund 550 Wohnungen, weitere 2.000 sollen in den kommenden Jahren hinzukommen.

Beispiel Pforzheim

Nah dem Zentrum der baden-württembergischen Stadt Pforzheim hat ALDI SÜD auf dem Grundstück eines ehemaligen Telekom-Gebäudes einen fünfstöckigen Neubau mit einer Grundfläche von 2.800 m² errichtet. Baubeginn war im November 2022. Im Juni 2024 wurden die Filiale im Erdgeschoss und die darüberliegende Parketage mit Stellplätzen für 64 Pkws und 40 Fahrräder fertiggestellt.

1 | Auf dem Grundstück eines ehemaligen Telekom-Gebäudes entstand ein fünfstöckiger Neubau mit einer Grundfläche von 2.800 m².
FOTO: ALDI SÜD

2 | Schnitt
ABBILDUNG: LENNERMANN KRÄMER ARCHITEKTEN PARTGMBB

Betreutes Wohnen und Kita

Die oberen Etagen waren im Herbst 2024 bezugsfertig. Die Räume im zweiten Obergeschoss wurden an die Stadt Pforzheim vermietet. Dort betreibt die Karlsruher Lenitas gGmbH eine Kindertagesstätte. Auf einer Fläche von 900 m² gibt es Platz für vier Gruppen. Mieterin der darüberliegenden zwei Geschosse ist die SWB Wohnstift Betriebsgesellschaft mbH aus Bühl. In 43 Apartments unterschiedlicher Größe (30 – 75 m²) bietet sie Betreutes Wohnen an. Alle Wohneinheiten wurden mit Balkonen ausgestattet.

Die Vorbereitungen für das Projekt starteten im Sommer 2018. „Ende des gleichen Jahres haben wir das Grundstück mit der Altimmobilie gekauft“, berichtet Jan Riemann, Group Director Real Estate bei ALDI SÜD. Die Stadt Pforzheim hat das Projekt von Beginn an nicht nur begrüßt, sondern aktiv begleitet. „Wesentlich war dabei nicht nur der Lückenschluss in der Nahversorgung im Übergangsbereich von Innenstadt und angrenzenden Wohngebieten, sondern auch die Konzeption einer gemischt genutzten Immobilie“, sagt Oliver Reitz, Geschäftsführer des Eigenbetriebs Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim.

3 | Grundriss 2. OG
ABBILDUNG: LENNERMANN KRÄMER ARCHITEKTEN PARTGMBB

4 | Das Gebäude in Wesseling entstand auf der Parkplatzfläche.
FOTO: ALDI SÜD

Planerische und bauliche Herausforderungen

„Wir haben uns in allen Fragen eng mit dem Sozialamt und dem Planungsamt abgestimmt“, bestätigt Jan Riemann. Aus seiner Sicht ist eine verständnisvolle Kooperation mit Städten und Kommunen sowie mit Projektpartnern ein unverzichtbarer Erfolgsfaktor für derartige Vorhaben.

Mit dem Entwurf des Gebäudes wurde das Büro Lennermann Krämer Architekten PartGmbB aus Karlsruhe beauftragt, während Peter Gross Bau mit der Niederlassung Karlsruhe die Aufgabe des Generalunternehmers übernahm. Die Rahmenbedingungen erwiesen sich planerisch, baulich und logistisch als anspruchsvoll. Der Grund dafür: Die komplexe Mix-Use-Immobilie musste auf einem lediglich ca. 3.000 m² großen Innenstadtgrundstück in Hanglage erbaut werden. Damit sich die räumlichen Dimensionen des Neubaus harmonisch in die Bebauung des Umfelds einfügen konnten, wurden die unterschiedlichen Höhenniveaus durch eine Staffelgeschoss-Bauweise ausgeglichen.

Zudem galt es, die Lärmemission für die Nachbarschaft effektiv zu verringern. Die Lösung bestand darin, für die Warenanlieferung einen eingehausten, schallgeschützten Zugang vorzusehen.

Sowohl die Kita als auch die Senioren-Wohnungen erhielten überwiegend bodentiefe Fenster, die viel Licht durchlassen und so für eine angenehme Helligkeit sorgen. Das gesamte Gebäude einschließlich der sanitären Anlagen ist barrierefrei gestaltet und wird über Fernwärme beheizt. Es handelt sich um ein BEG/KfW-Effizienzhaus 55EE (GEG 2020).

Vertrauensvolle Kooperation

„Die Betreiber beider Einrichtungen waren bereits zu einem frühen Zeitpunkt in die Planungen eingebunden und konnten ihre Wünsche äußern“, berichtet Architekt Niklas Lennermann. So war es der SWB Wohnstift mbH wichtig, dass ein Pflegestützpunkt für das ambulante Pflegepersonal integriert wird.

Ein besonderes Highlight ist der großzügige Spielplatz, der auf einer Terrasse im erhöhten Innenhof entstand und über alle Gruppenräume der Kita erreicht werden kann. Für die Bewohner der Senioren-Wohnungen ist er ebenfalls zugänglich, sodass sich Jung und Alt begegnen können. „Auf dieses Detail haben sowohl die Stadt Pforzheim als auch die Betreiber großen Wert gelegt“, betont Lennermann. „Die Nutzungen Lebensmittel-Einzelhandel, Wohnen und Kindertagesstätte wurden in bester Weise in einem Objekt vereint“, lautet das Fazit von Oliver Reitz. „Zudem konnte eine ausreichende Zahl von Stellplätzen berücksichtigt werden.“ Seitens der Pforzheimer Wirtschaftsförderung sieht man darin eine Blaupause für weitere Nachnutzungen und Nachverdichtungen.

Beispiel Wesseling

Eine vergleichbare Immobilie errichtete ALDI SÜD in Wesseling bei Bonn. Das dreigeschossige Geschäfts- und Mehrfamilienhaus wurde in der Gotenstraße auf dem Parkplatz gegenüber der 1997 eröffneten Filiale erbaut. Trotz schwieriger Rahmenbedingungen konnten die Räume in einem Zeitraum von 14 Monaten bezogen werden. Mieterin im Erdgeschoss des Neubaus ist die Drogerie Rossmann. Die Niederlassung eröffnete Ende Oktober 2023.

5 | Jede Wohneinheit verfügt über einen überdachten Balkon.
FOTO: ALDI SÜD

Umweltschonendes Bauen

In den oberen zwei Etagen entstanden zehn Wohnungen. Es handelt sich um acht Dreizimmer-Wohnungen mit einer Fläche von jeweils 80 m² sowie zwei Vierzimmerwohnungen mit jeweils 104 m². Alle verfügen über einen überdachten Balkon, einen Aufzug und werden energieeffizient über eine Wärmepumpe beheizt. Separate Abstellflächen, ein Kinderwagenraum sowie ein Kinderspielplatz mit Spielwiese runden das Angebot ab.

„Wir haben uns 2020 erstmals mit der Stadt Wesseling in Verbindung gesetzt, um unsere Pläne für den Neubau eines Drogeriemarkts am Standort von ALDI SÜD vorzustellen“, so Jan Riemann. Diese Idee habe man gemeinsam weiterentwickelt und um die Komponente des Wohnungsbaus erweitert. Dabei sei es gelungen, neue Wohn- und Geschäftsräume zu schaffen, ohne zusätzliche Flächen zu versiegeln.

Die Autorin


Michaela Allgeier
Michaela Allgeier arbeitet als freie Journalistin und ist auf den Themenbereich „Demografische Entwicklung“ spezialisiert. Ihr Interesse gilt vor allem den Themen Gesundheit, Pflege und Integration. In diesem Zusammenhang befasst sie sich regelmäßig mit Fragen der Quartiersentwicklung sowie mit neuen Wohnformen. Sie hat einen Abschluss als Diplom-Heilpädagogin (Schwerpunkt: Gerontologie) und als Germanistin.

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