Im Gespräch mit Christoph Becker: Künstliche Intelligenz (KI) – Softwaregestützte Architektur und Stadtplanung

Im Gespräch mit Christoph Becker: Künstliche Intelligenz (KI) - Softwaregestützte Architektur und Stadtplanung

Im Gespräch mit Christoph Becker

Künstliche Intelligenz (KI) – Softwaregestützte Architektur und Stadtplanung

Text: Julia Ciriacy-Wantrup | Foto (Header): © Brigida González

Neben ihrer Intuition und Erfahrung können Planer mittlerweile auf Softwaresysteme zurückgreifen, die sie bei der Architektur und Stadtplanung unterstützen. Wir sprechen mit Christoph Becker, Architekt und Strategy Manager für Spacemaker bei Autodesk, über Cloud-basierte KI-Software mit Fokus auf die frühen Planungsphasen.

Auszug aus:

Wie können KI-Softwaresysteme bei der Gebäude- und Stadtplanung unterstützen?

Die wachsende Urbanisierung in Kombination mit dem Bevölkerungswachstum und dem Klimawandel stellen Architektur und Stadtplanung vor große Herausforderungen. Mehr Stakeholder beteiligen sich an den Entscheidungsprozessen, Bauvorschriften und Standortbeschränkungen werden strikter. Gleichzeitig steht die Planungs- und Baubranche unter immer größerem wirtschaftlichem Druck. Unterm Strich bedeutet das, dass Planende die Baudichte und Raumnutzung maximieren müssen, während auch die Umwelt und Lebensqualität der Menschen berücksichtigt und Aufwand und Kosten so niedrig wie möglich gehalten werden. KI-gestützte Echtzeitanalysen können maßgeblich dazu beitragen, diese komplexe Aufgabe zu bewältigen und mehr Übersicht und Sicherheit im Rahmen von Planungs- und Bauvorhaben zu gewinnen.

Können Sie das an einem Praxisbeispiel aufzeigen?

Das Architekturbüro Cobe nutzte unsere KI-Software Spacemaker kürzlich für Planungsarbeiten in Albertslund, nahe Kopenhagen. Dabei ging es darum, das ehemalige Gefängnisgelände Vridsløselille in ein lebendiges neues Wohn- und Kulturviertel zu verwandeln. Die Baudichte und Lebensqualität der beiden kompaktesten Viertel wurden optimiert sowie die öffentlichen Räume mithilfe der Umweltanalysen der Software geplant. Für verschiedene Gebäude und Bereiche wurden in der Software diverse Entwurfsoptionen ausprobiert, um mehr Dichte zu schaffen. Dank Spacemaker konnten die angestrebten architektonischen Qualitäten und  Wohnkonditionen wie Tageslicht in den Wohnungen, Klimaund Windverhältnisse in den öffentlichen Räumen sowie Ausblick auf Park und See trotz des Bedarfs nach mehr Dichte erhalten. Anhand der Lärmanalysen konnte das Team zudem potenziell problematische Bereiche in der Nähe der umliegenden Straßen und Schienen ausmachen und frühzeitig entsprechende Maßnahmen einleiten. Die Software wurde außerdem sehr effektiv genutzt, um mit allen beteiligten Stakeholdern zu kommunizieren und die Argumentation für bestimmte Lösungen zu untermauern.

Was hat es mit generativem Design auf sich?

Generatives Design ermöglicht es Planenden, verschiedene potenzielle Bauszenarien digital zu testen und optimale Lösungen im Rahmen der gewählten Parameter zu finden. Sie erhalten sozusagen Zugriff auf eine risikolose virtuelle Testumgebung, die dazu inspiriert, auch neue, kreative Lösungsansätze auszuprobieren. Bislang gestalteten Planende erst und analysierten später, was allerdings zu Fehlern führen kann, die sich nur mit großem Aufwand wieder beheben lassen. Durch generatives Design gehen Planung und Analyse hingegen Hand in Hand und führen von einem sequenziellen zu einem iterativen Prozess. Planer haben Zugriff auf mehr mögliche Lösungen und Echtzeitanalysen. Iterationen sind auch jederzeit möglich, was ungemein dabei hilft, Projekte widerstandsfähiger gegen Veränderungen zu machen. In die Entwürfe fließen zudem Faktoren ein, denen bislang im Rahmen der Architektur und Stadtplanung eher weniger Beachtung geschenkt wurde.

So lassen sich mithilfe von KI etwa auch Lärmentwicklung oder Klima- und Lichtverhältnisse simulieren, wodurch sowohl Nachhaltigkeit als auch der Nutzungskomfort mehr in den Mittelpunkt der Quartiersplanung gerückt werden.

Wie kommt KI-Software in Bezug auf den Vergleich von Lebenszykluskosten verschiedener Ausführungsvarianten zum Einsatz?

In der frühen Planungsphase wird die Grundlage für bis zu 50 % der Wertschöpfung eines Gebäudes gelegt. Zudem entfallen bis zu 80 % der Gebäudekosten auf die zukünftigen Lebenszykluskosten, deren Entwicklung in späteren Planungs- und Bauphasen kaum noch beeinflusst werden kann. Es fehlte bislang allerdings an Technologien, um Unternehmen dabei zu unterstützen, in dieser wichtigen Phase effiziente und nachhaltige Entscheidungen zu treffen. Dank KI-gestützter Datenanalyse können Architekten bereits ganz zu Beginn der Planungsphase eine robuste Grundlage für die spätere Bewirtschaftung des Gebäudes legen. Es können verschiedene Varianten digital getestet und untersucht werden, wodurch z. B. maximal ressourcenschonende Boden- und Flächenplanung oder die bestmögliche Integration in die bauliche Umgebung erzielt werden.

Durch KI lassen sich Lärmentwicklungen sowie Klima- und Lichtverhältnisse simulieren.
FOTO: SPACEMAKER

Wie kann Software in Bezug auf klimafreundliche Planung unterstützen?

Dank KI-Methoden erhalten Nachhaltigkeitsthemen größeren Raum bei Entscheidungsfindungsprozessen. Ein gutes Beispiel ist die Mikroklimaanalyse von Spacemaker: Dadurch können Planende schnell und unkompliziert die thermischen Verhältnisse von Außenbereichen bewerten und so dem städtischen Wärmeinseleffekt entgegenwirken, der die Stadtplanung vor große Herausforderungen stellt. Aktuell wird der thermische Komfort allerdings oft erst dann berücksichtigt, wenn es schon zu spät ist, wodurch wichtige Bausteine der Nachhaltigkeitsstrategie einer Stadt verloren gehen und komplexe Probleme mit kostspieligen Umbauarbeiten behoben werden müssen. KI-Software kann hingegen dafür sorgen, dass eine wesentlich weiter vorausschauende Planung gleich zu nachhaltigen Ergebnissen führt, wodurch erhebliche Zeit- und Kosteneinsparungen erzielt werden.

Welche Zukunftsszenarien sind für die Architektur und Stadtplanung denkbar? Wohin können sich KI-gestützte Softwaresysteme in diesem Bereich weiterentwickeln?

Die Architektur wird in Zukunft sehr viel datengesteuerter und kollaborativer werden. Gleichzeitig wird durch Technologie eine stärkere Standardisierung der Prozesse ermöglicht, wodurch mehr Raum für Kreativität und Gestaltung entsteht. Die Immobilien- und Stadtentwicklung der Zukunft ähnelt mehr der Produktentwicklung, wo iterative Prozesse zu effizienten und passgenauen Design-Ergebnissen führen. Immer mehr KI-gestützte Tools werden uns zwar immer tiefere Einblicke gewähren, für mehr Vernetzung sorgen und Prozesse automatisieren, aber der Mensch bleibt dennoch immer zentral. Letztendlich sind es die Architekten, die die lokalen Besonderheiten, Bauvorschriften, gesellschaftliche und soziale Bedürfnisse und Beziehungen etc. tatsächlich verstehen. Dieses architektonische Gespür wird immer essenziell bleiben, aber dank KI erhält es robustere Entscheidungsgrundlagen.

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