Im Gespräch mit Svenja Sophie Jürgens & Klaus Zahn: Klimapositiv bauen mit System

Im Gespräch mit Svenja Sophie Jürgens & Klaus Zahn: Klimapositiv bauen mit System

Im Gespräch mit Svenja Sophie Jürgens & Klaus Zahn

Klimapositiv bauen mit System

Text: Julia Ciriacy-Wantrup | Foto (Header): © Sansert – stock.adobe.com

Foto: CRADLE ONE

Für den Gebäudebestand ist immer wieder die Rede vom Ziel der Klimaneutralität bis 2050. Doch welche Potenziale gibt es zur CO²-Reduktion, um nicht nur klimaneutral, sondern klimapositiv mit Blick aufs Ganze zu bauen? Wir sprechen darüber mit Svenja Sophie Jürgens, Projektleitung bei Cradle One, und Klaus Zahn, Projektentwickler und Architekt für Cradle One, die auch erklären, welche Aspekte darüber hinaus für ein ganzheitliches Konzept berücksichtigt werden sollten.

Auszug aus:

Was ist mit dem Begriff des klimapositiven Bauens gemeint?

Klaus Zahn: Wenn wir vom klimapositiven Bauen sprechen, meinen wir, dass die Gebäude, die wir auf unserem Planeten bauen, einen Mehrwert für die Umwelt und die Menschen erzeugen müssen. Das bedeutet, dass Städtebau, Architektur, Bauweisen und Baumaterialien so durchdacht sind, dass sie dazu beitragen die Biodiversität aktiv zu verbessern, statt sie zu verringern. Ein einfacher Vergleich stellt die Flächenversiegelung dar. Jedes Gebäude versiegelt durch Fundament, Zufahrten o. Ä. Fläche, wodurch auf den ersten Blick Tieren und Pflanzen Lebensraum genommen wird. Dies ist allerdings ein Trugschluss. Ein Gebäude kann beispielsweise durch eine Begrünung der Fassaden und Dächer mehr Biodiversität erzeugen, als ohne Bebauung vorhanden war, und somit einen positiven Mehrwert für die Umwelt schaffen. In Bezug auf die Baumaterialien wirkt sich u. a. die Verwendung von ökologisch sinnvollen Materialien wie Lehm und Holz positiv auf die Gesundheit und das Raumklima aus.

Welche sind die wirksamsten Maßnahmen zur CO²-Reduktion?

Svenja Sophie Jürgens: Für uns sind es ganz klar drei Punkte: Eine gute energetische Gebäudehülle, ein sparsames haustechnisches Konzept unter Einsatz regenerativer Energieträger und die Verwendung von nachwachsenden, natürlichen Baumaterialien, z. B. Holz statt Stahl oder Beton. CO²-Reduktion durch klimapositives Bauen ist nur ein Aspekt von vielen beim ganzheitlichen Planen und Bauen. Eine hohe Raumluftqualität ist von der Gewichtung mit am wichtigsten, da sie sich auf die Gesundheit und das Wohlbefinden auswirkt. Deshalb sollen nach Möglichkeiten nur Baumaterialien verwendet werden, die gesundheitlich unbedenklich sind und die Gesundheit der Bewohner fördern. Das sind dann auch Baustoffe, die am Ende der Lebenszeit leicht in die natürlichen Kreisläufe zurückgeführt werden können.

Welchen Stellenwert nimmt das Cradle-to-Cradle-Prinzip ein?

S. Jürgens: Cradle to Cradle (C2C), das übersetzt „von der Wiege zur Wiege“ bedeutet, ist ein wunderbarer Ansatz, um eine konsequente und logische Verfolgung richtiger und wichtiger Dinge zu beschreiben. Das Prinzip beschreibt, wie bei einem Produkt die Produktion, Nutzung und Wiederverwendung mitgedacht werden müssen, um negative Auswirkungen und Folgeschäden zu vermeiden und möglichst viele nützliche Effekte zu generieren. Wir sind sehr stolz darauf, Michael Braungart und Stadt. Haus.Mensch als Partner für Cradle One gewinnen zu können. Sie haben uns geholfen, jeden Schritt in der Projektplanung von Cradle One in Bezug auf C2C kritisch zu hinterfragen und gemeinsam nun ein Gebäudekonzept anbieten zu können, welches umfassend auf C2C ausgerichtet ist.

Wie setzen Sie dies bei Ihrem Konzept von „Cradle One“ um?

S. Jürgens: Der Impuls, Cradle One zu gründen, ist 2019 durch einen Vortrag von Michael Braungart entstanden, der den Vorstand des 81fünf-Holzbauverbands dazu inspiriert hat, das Thema aufzugreifen. In der Geschichte der 81fünf gab es über die Jahre immer neue, weiterentwickelte ökologische Hauskonzepte. Die Gründung von Cradle One zur Entwicklung eines kreislauffähigen Hauskonzepts war daher ein logischer nächster Schritt. Gemeinsam mit Partnern aus dem Netzwerk, externen Spezialisten aus dem Bereich TGA und natürlich dem Team um Prof. Michael Braungart haben wir ein durchgängiges Gebäudekonzept unter Berücksichtigung aller Einzelaspekte geschaffen. Was uns von Anfang an verbunden hat, ist der ganzheitliche, holistische Ansatz mit dem Menschen in der Mitte und der Natur als Kooperationspartner.

Welche Bedeutung hat Städtebau und Architektur in diesem Kontext?

K. Zahn: Lassen Sie uns mit einem Zitat des Klimaforschers Hans Joachim Schellnhuber aus dem letzten Jahr beginnen: „Es gab noch keine Epoche, in der die Menschen so scheußlich, so menschen- und klimafeindlich gebaut und gehaust haben wie heute.“ Damit meint er den obsolet gewordenen modernen Städtebau, dessen maßgebende Prinzipien mitverantwortlich für die heutige Klimakrise sind, weil es sich um fossilen Städtebau handelt. Um das zu verändern hat Schellnhuber 2021 das „Bauhaus der Erde“ gegründet, deren Basis eine biobasierte Kreislaufwirtschaft sein soll. Wir sehen uns damit in unserer Denkweise bestätigt und wollen gemeinsam mit Cradle One einen Beitrag dazu leisten. Es gab nie einen Stil für immer und ewig: Modern beschreibt im Deutschen auch einen Veränderungsprozess, bei dem das Unnütze ausgeschieden wird, das Nützende aber Nährstoff von etwas anderem wird. Insofern könnte man den Leitsatz „Alles ist Nährstoff von etwas anderem“ auf die moderne Architektur anwenden und diese weiterentwickeln.

ABBILDUNG: BRAUNGART EPEA – INTERNATIONALE UMWELTFORSCHUNG GMBH.

Welche weiteren Entwicklungsmöglichkeiten sehen Sie für den Bau und Betrieb von Gebäuden im Jahr 2050 und darüber hinaus?

K. Zahn: Wir wissen heute endgültig, dass wir zunächst einmal bis 2030 denken müssen, denn unsere CO²-Zeit läuft ab. Cradle One-Gebäude sind sorgfältig konzipiert, damit sie eine lange Lebens- und Nutzungsdauer gewährleisten können. Ebenso sind Möglichkeiten für eine veränderte, flexible Nutzung mitgedacht, sodass sie für andere Gegebenheiten angepasst werden können. Beispielsweise muss man sich die Frage stellen, wie viele Parkhäuser wir in Zukunft in Städten noch brauchen werden und wie bestehende Parkhäuser sinnvoll weitergenutzt werden können. Das Gleiche gilt für Büroräume, Hotels, aber auch für Tiefgaragen. Durch die Verwendung von geeigneten Baumaterialien behalten alle Stoffe ihren Materialwert und die Gebäude somit einen monetären Wert am Ende ihres Lebenszyklus, sodass sie zur Grundlage von etwas Neuem, anderem werden können. Uns ist es wichtig, Gebäude zu bauen, von denen Mensch und Natur heute und auch morgen noch einen großen Nutzen haben.

Das Gespräch führte Julia Ciriacy-Wantrup.

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