Im Gespräch mit Dr. Corinna Hölzer
PikoParks erobern urbane Räume
Foto (Header): © PETER MÜLLER
FOTO: STIFTUNG FÜR MENSCH UND UMWELT
Mit kleinen, naturnah gestalteten Parkanlagen sorgen PikoParks für einen Mehrwert für das soziale Miteinander, die Artenvielfalt und Klimaanpassung. Dr. Corinna Hölzer, Stiftungsleiterin der Stiftung für Mensch und Umwelt in Berlin, bringt uns diesen neuen Grünflächentyp näher.
Auszug aus:
QUARTIER
Ausgabe 5.2025
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Frau Hölzer, was macht die Flächen der PikoParks so besonders?
Ich beschreibe PikoParks gerne als Mini-(N)aturparks von 300 bis 900 m² Größe. Piko kommt von piccolo, das bedeutet „klein“. So ein ökologisch wertvoller Minipark ist das Gegenteil von langweilig und bietet schöne und interessante Aufenthaltsmöglichkeiten für Anwohner. Anstelle von üblichem, kurzgeschorenem Rasen und Zierhecken gibt es Beete mit heimischen Wildpflanzen, Trockenmauern, Totholz, Natursteinen und allerlei Naturmodulen. So entstehen naturnahe Lebensräume, die in Stadt und Land ja leider immer seltener werden. Dabei sind sie angesichts des dramatischen Artenschwunds von unschätzbarem Wert!
Können Sie den Begriff der Naturmodule bitte näher erklären?
Unter Naturmodulen verstehen wir kleine Strukturen, wie sie in der Natur vorkommen und die wir im Garten nachbauen können. Das Inventar des Naturgartens, sozusagen. Da geht weitaus mehr als nur eine ebene Rasenfläche! Dazu gehören z. B. sogenannte „Käferkeller“, die man oberirdisch kaum wahrnimmt. Es werden dazu Löcher etwa ein Meter tief, ein Meter breit in den Boden gegraben. Die Löcher werden mit kleinen Ästen, Borke und Laubblättern gefüllt, sodass Käferlarven sich darin entwickeln können. Das sind mit etwas Glück Hirschkäfer oder Nashornkäfer und vielerlei andere Käfer. Natürlich benötigen viele andere Insekten ebenfalls Kinderstuben und übrigens auch Überwinterungsmöglichkeiten! Das vergessen die Leute oft. Auch Igel brauchen Winterquartiere aus Ästen und Blättern. Zum Inventar eines PikoParks gehört auch liegendes Totholz wie Birke, Pappel oder Kiefer. Das wird direkt auf dem Erdboden hübsch angeordnet und umrahmt von z. B. Glockenblumen. Das dient vielen Käfern als Nahrungsgrundlage und zur Eiablage. Stehendes Totholz hingegen organisieren wir mithilfe von harter Robinie oder Eiche.
Erklären Sie den Anwohnern diese Naturmodule, werden sie akzeptiert?
Tatsächlich erleben wir unterschiedlichste Reaktionen. Da gibt es Anwohner, die sich sehr über die Umgestaltung vor ihrer Haustür freuen und sich sogar bereiterklären, bei der anschließenden Pflege mitzuhelfen. Andere Menschen sind eher skeptisch und können sich mit einer Trockenmauer so gar nicht anfreunden. Es gibt einfach noch viel Unwissenheit und auch Vorurteile, auch Sehgewohnheiten, nicht zu vergessen unser ausgeprägter Ordnungssinn. Daher ist Umweltbildung ein zentrales Element bei unserer ganzen Stiftungsarbeit. Wir wecken das Verständnis mithilfe von netten kleinen Infotafeln, bieten Führungen an, organisieren schöne Einweihungsfeiern für die von uns geplanten PikoParks, Wissensquiz und Tombola inklusive. Da kommt eigentlich immer Applaus, die meisten Menschen staunen, wie schnell sich eine doch eher langweilige Fläche in eine Blühoase mit interessanten Strukturen, Mulden und kleinen Hügeln verwandeln kann! Besonders schön sind unsere gemeinsamen Pflanzaktionen.
Dann haben Sie es wohl nicht bei dem einen PikoPark belassen, oder?
Stimmt. Der neue Grünflächentyp Piko Park wurde ja 2017 vom Wissenschaftsladen Bonn e. V. entwickelt. Unsere Stiftung begann Ende 2020 mit dem ersten PikoPark in Berlin mit der Wohnungsbaugenossenschaft „Freie Scholle“. Seitdem sind wir im PikoPark-Fieber und machen Berlin gerade zur Stadt der PikoParks! Ist ja auch eine riesige Stadt, dazu macht sich die Dürre breit, sodass es Sinn ergibt, auf natürlichen Klimaschutz zu setzen.
Was bedeutet „natürlicher Klimaschutz“?
Ganz langsam spricht sich herum, dass mehr Biodiversität mit einer Auswahl von trockenheitsverträglichen, heimischen Pflanzen, nicht nur Insekten und dadurch Igel, Vögel, Frösche und Eidechsen fördert. Dass die Aufenthaltsqualität auch für uns Menschen steigt. Diese Flächen sind eben auch klimafit! Wir säen und setzen mindestens 60 Pflanzenarten in so einen PikoPark. Diejenigen, die sich dort langfristig wohlfühlen, brauchen viel weniger Wasser als z. B. Hortensien oder Rhododendren. Wir setzen also nicht auf ein Pferd, sondern auf die Vielfältigkeit der Natur. Wobei wir als Gärtner mittels fachlicher Pflege eingreifen und überhandnehmende Pflanzen durchaus entfernen.
Können Sie ein Beispiel für einen gelungenen PikoPark nennen?
Ach, ich liebe jeden Einzelnen! Bisher sechs in Berlin, gerade starten wir mit weiteren Anlagen durch. Tatsächlich sind wir besonders angetan von „unserem“ ersten PikoPark in Berlin-Reinickendorf, weil er so vielseitig von den Anwohnern genutzt wird. Thai Chi, Kindergeburtstage, Klassik im PikoPark, Führungen, gemeinsame Pflege – schön ist das. Vor zwei Jahren erhielt er den European Award for Ecological Gardening 2023, ein Jahr davor den Reinickendorfer Bauherrenpreis 2022. Auch die Kampagne „Tausende Gärten – Tausende Arten“ war begeistert und verlieh ihm die Auszeichnung „Gold“. Der PikoPark befindet sich auf der Fläche der Baugenossenschaft „Freie Scholle“ zu Berlin eG und zählt 80 Meter Trockenmauer aus Sandsteinen, Sand- und Kalkmagerbeete, Käferkeller, Totholz und eine große Wildbienennisthilfe.
Sie haben sogar einen Handlungsleitfaden für Planer und den Garten- und Landschaftsbau entwickelt, nicht speziell für PikoParks, aber für naturnahe (Wohn) Anlagen …
Stimmt, er bietet auf 136 Seiten praktische Hilfen aus der Praxis für die Praxis – mit konkreten Anleitungen rund um die naturnahe Planung und Umsetzung hin zu begleitenden Kommunikationsmaßnahmen und der anschließenden Pflege. Daraus entwickelte sich dann unser Online-Kurs „Naturnahes Grün“, den alle Interessierten zeitlich und räumlich unabhängig durcharbeiten können. In Form von Lehrvideos, Quizeinheiten und Arbeitsblättern erhalten die Teilnehmer einen guten Überblick über naturnahe Gestaltung und Pflege von Freiflächen, wir hoffen, es schließen sich noch viele dem PikoPark-Fieber an!
Weitere Informationen:
www.stiftung-mensch-umwelt.de